Eurovision Song Contest: Baku baggert
Hier singen bald die Finalisten des Eurovision Song Contests. Aserbaidschans autoritäres Regime will die Hauptstadt als moderne Metropole präsentieren – Geld spielt keine Rolle. Historische Gebäude und ihre Bewohner sind da nur im Weg.
D as Haus sieht aus, als wolle es sich verstecken. Es ist so schmal, dass es zur Hauptstraße hin auf jedem Stockwerk nur ein einziges Fenster hat. Weil es sich an ein riesiges Nachbargebäude mit 20 Fenstern lehnt, erscheint das Häuschen noch winziger.
Der Blogger Ali Novruzov hält hier gern, wenn er Besuchern sein Baku zeigt: „Für mich ist es ein Denkmal der Rechtsstaatlichkeit.“ Denn vor fast hundert Jahren, als der Prunkbau nebenan errichtet werden sollte, weigerte sich der Eigentümer des kleinen Grundstücks, sein Land zu verkaufen. „Es ist dem Mann, der den Palast gebaut hat, nicht gelungen, den anderen zu vertreiben.“ Diese Anekdote ist für den 26-jährigen Aserbaidschaner deshalb so wichtig, weil es genau diese Sicherheit für die Bürger Bakus nicht mehr gibt.
Ali Novruzov, ein Mann mit schwarzen Locken und Drei-Tage-Bart, dokumentiert in seinem Blog, wie seine Stadt sich verändert hat – und wie das Baku, das er liebt, Stück für Stück verloren geht. Häuser, die er noch vor ein oder zwei Jahren fotografiert hat, sind inzwischen dem Erdboden gleichgemacht. Ein historisches Viertel mit Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert wurde zerstört, um Platz zu machen für teure Neubauten. Die einstigen Bewohner mussten an den Stadtrand ziehen.
Jeder Eigentümer bekomme eine Ersatzwohnung oder umgerechnet 1500 Euro pro Quadratmeter als Ausgleich, behaupten Behördenvertreter in Baku. Doch diese Summe erhalten offenbar nur wenige. Viele Bürger klagen darüber, dass sie nur unzureichend entschädigt worden seien und in weitaus schlechtere Wohnungen umsiedeln mussten. In manchen Fällen wurden die Bewohner so schnell aus den Häusern vertrieben, dass sie nicht einmal mehr ihre Habe mitnehmen konnten.
Ähnlich rabiat gebärden sich die Sicherheitskräfte. Sie gehen massiv gegen Demonstranten vor, die gegen Zwangsenteignungen protestieren. Journalisten aus Baku, die über solche Kundgebungen berichteten, wurden kürzlich brutal zusammengeschlagen.
Artikel ausländischer Medien über die Zerstörung von Häusern und die Vertreibung der Bewohner passen dem Regime von Staatspräsident Ilham Aliyev derzeit gar nicht ins Konzept. Denn am 26. Mai wird in Baku das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) stattfinden. Für dieses Ereignis hat das Regime einen dreistelligen Millionenbeitrag ausgegeben – über die genauen Kosten will offiziell niemand reden. Doch es steht fest, dass die Ausgaben höher sind als in jeder anderen Gastgeberstadt zuvor. In den Wochen vor dem Wettbewerb wird auf den zahlreichen Baustellen rund um die Uhr gearbeitet. „Wir haben die Chance zu zeigen, dass wir ein Teil Europas sind“, sagen die Veranstalter. Die aserbaidschanische Führung will den ESC nutzen, um Baku als glitzernde, moderne Metropole zu präsentieren – und damit auch das eigene Bild in der Weltöffentlichkeit zu schönen.
Der Abriss von Häusern habe mit dem Song Contest nichts zu tun, sagt Ali Hasanov, Berater von Staatspräsident Ilham Aliyev. „Der Hauptgrund dafür ist, der Stadt eine Form zu geben. Die Gebäude störten das Bild und die Infrastruktur.“ Tatsächlich haben die Vorbereitungen für den ESC die Entwicklung nicht ausgelöst, aber beschleunigt. Baku erlebt einen radikalen Umbruch, als solle die Metropole mit aller Gewalt in die Zukunft katapultiert werden. Architekten aus der ganzen Welt planen Neues, Hochhäuser mit Fassaden aus sandfarbenem Stein und Glas entstehen. Finanziert werden sie durch das Öl, welches seit Jahren Milliarden von Dollar einbringt und eine Elite schwerreich gemacht hat. Ein Dubai des Kaukasus soll die Stadt nach dem Willen der Machthaber werden, und tatsächlich haben die beiden Städte Gemeinsamkeiten: den Ölreichtum, die durch einen gemäßigten Islam geprägte Gesellschaft, die futuristischen Wolkenkratzer.
Doch Baku ist nicht neu aus einer Wüste entstanden. Die „Stadt der Winde“ hat eine jahrhundertealte Geschichte – und anders als manche Hauptstadt in Ländern der ehemaligen Sowjetunion blieb ihr Kern weitgehend verschont von der sowjetischen Albtraumarchitektur. Flaniert man innerhalb der mittelalterlichen Festungsmauern der Altstadt, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehört und daher von Abrissplänen verschont bleibt, scheint die Zeit langsamer zu laufen. Männer spielen Nard, eine Art Backgammon, Händler bieten nahe dem Palast der Schirwanschahs Teppiche zum Verkauf, und in einem Innenhof wird ein Hammel geschlachtet.
In Aserbaidschan haben über die Jahrhunderte Perser und Türken, Russen und Europäer ihre Spuren hinterlassen. Diese verschiedenen Einflüsse prägen das Bild bis heute. Selbst die Bäume in den Parks wurzeln in Mutterboden aus der ganzen Welt: Weil die Halbinsel Abscheron, auf der Baku liegt, karges Land war, brachten Schiffe, die im Hafen von Baku ankamen, Erde aus ganz Europa mit. Wer das nicht tat, musste hohe Strafzölle bezahlen.
Das war in einer Zeit, als sich Baku in Aufbruchstimmung befand: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde auf der Halbinsel Öl entdeckt, und die Stadt erlebte ihren ersten Boom. Im Jahr 1900 kam die Hälfte des Öls weltweit aus Aserbaidschan. Die Rothschilds und die Brüder Nobel zog es nach Baku – wie auch die neureichen Einheimischen, die im Umland auf Öl gestoßen waren. Stolz ließen diese Porträts von sich malen, die selbstverständlich ihre Ölquelle im Hintergrund zeigte; sie zogen in eine Villa am Ufer des Kaspischen Meeres und wohnten dort so lange, bis ein veritabler Palast fertig war. Diese zeigen noch immer mit Erkern und Türmchen, Ornamenten und Balkonen den Wohlstand ihrer Erbauer.
Doch nicht nur Paläste stammen aus jener Zeit, sondern auch die vielen zwei- oder dreistöckigen Häuser, die für das Zentrum Bakus so charakteristisch sind. An den Balkonen ranken Weinreben empor, über die Dächer streunen Katzen. Gerade diese Häuser sind es allerdings, die den Abrissbaggern zum Opfer fallen. „Was während des ersten Ölbooms gebaut wurde, wird während des zweiten abgerissen“, sagt der Blogger Novruzov. „Eine Bande von Leuten ohne Geschmack hat schon die halbe Stadt zerstört.“ Auch gegen diese Pläne gibt es Proteste, doch die Einwände der Bürger werden ignoriert. „Sie hören nicht auf uns“, sagt er.
In anderen Ländern der früheren Sowjetunion, etwa in der Ukraine, haben Stadtplaner längst erkannt, dass Altbauten aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende ein Schatz sind, im westukrainischen Lwiw (Lemberg) etwa wird das Alte liebevoll restauriert. Davon ist Baku weit entfernt. Die Investoren kommt es viel teurer, die mehr als hundert Jahre alte Substanz aufzumöbeln, als sie abzureißen und stattdessen Hochhäuser mit Büros und Luxusappartements hinzustellen. „Baku ist heute eine schreckliche Stadt“, sagt Mehman Aliyev, der die Entwicklung schon lange kritisch begleitet. Der Chef der unabhängigen Nachrichtenagentur Turan sagt, dass die Umgestaltung Bakus auch eine politische Dimension hat: Die teuren Grundstücke in der Innenstadt gingen an Leute, die der Führung des Landes – also dem autoritär regierenden Präsidenten Ilham Aliyev – nahestehen. „Bauen im Zentrum ist ein Monopol der Präsidentenfamilie“, sagt der Journalist. Die bisherigen Bewohner werden verdrängt, „die Familie“ mache dabei hübschen Gewinn.
Obwohl es in Baku eine zahlungskräftige Elite gibt, sind die Luxusläden im Zentrum leer. Kunden sieht man selten, weil die Waren zu teuer sind. Ein Markenanzug koste hier viermal so viel wie in Berlin, erzählt einer, der beide Städte kennt. „Diese Geschäfte werden zur Geldwäsche genutzt“, sagt der Journalist Aliyev.
Die Korruption ist eines der größten Probleme des Landes. In einer Umfrage gab jeder Vierte an, vergangenes Jahr Schmiergeld bezahlt zu haben. Im staatlichen Ölfonds sind bereits mehr als 60 Milliarden Dollar gesammelt – das Geld wird zum großen Teil für Infrastruktur-Projekte ausgegeben, die alles andere als transparent sind. Oppositionelle schätzen, dass dabei die Ausgaben vier- bis fünfmal höher sind als die tatsächlichen Kosten. Wer der Spur des Geldes folgt, stößt am Ende immer wieder auf den Clan um den Präsidenten.
Seit fast 20 Jahren herrscht die „Familie“ über das Land im Südkaukasus: Aserbaidschan ist der einzige Staat der früheren Sowjetunion mit einer dynastischen Herrschaftsnachfolge. Der heutige Staatschef Ilham Aliyev übernahm das Präsidentenamt 2003 von seinem Vater Heydar – und regiert noch autoritärer. Im Parlament gibt es keine echte Opposition, politische Gegner werden unter Druck gesetzt, Regimekritiker, Blogger und Journalisten sitzen im Gefängnis. Im vergangenen Jahr, kurz nach Beginn des Arabischen Frühlings, ließ Aliyev Proteste in Baku niederschlagen, Demonstranten verhaften. Nach dem Mord an einem kritischen Reporter 2005 breitete sich in den Medien Selbstzensur aus. Nähe oder Distanz zum Präsidentenclan entscheiden über berufliche Karrieren – und lukrative Geschäfte. Dass Geld im Überfluss da ist, zeigen die Fußgängerunterführungen an der Uferpromenade. Dort sind Wände und Böden aus Marmor, Ornamente und Spiegel schmücken die Decken. Wer sich nur im Zentrum von Baku bewegt, bekommt die Armut außerhalb nie zu Gesicht. Den Weg vom Flughafen in die Stadt säumen hohe Mauern. Man kenne Baku erst, wenn man auch hinter diese Mauern geblickt habe, sagen die Leute.
Aber welche Vision haben die Machthaber von ihrer Stadt, was ist dieses Neue, das auf den Trümmern des historischen Baku entsteht? Drei fast fertige Hochhäuser ragen in den Himmel, ihre geschwungene, spitz zulaufende Form soll an Flammen erinnern – Aserbaidschan gilt als „Land des Feuers“. Ali Novruzov kann darüber nur den Kopf schütteln. „Furchtbar“ findet er die Türme, die zum neuen Wahrzeichen werden sollen. „Reißzähne“ werden sie im Volksmund genannt.
Ein anderer Blickfang der Stadt wird von den Einwohnern erst recht belächelt: Auf einer Landzunge im Meer weht in 162 Metern Höhe die aserbaidschanische Flagge. Der Fahnenmast, ein Lieblingsprojekt des Präsidenten, war einmal der höchste der Welt – bis die Tadschiken im vergangenen Jahr einen höheren bauten; sie entschieden damit den skurrilen Wettbewerb, den sich mehrere Autokraten seit Jahren liefern, vorerst für sich. Doch nun soll Baku einen Wolkenkratzer bekommen, höher als das bisher welthöchste Bauwerk, das Burj Khalifa in Dubai.
Bakus aktuelles Prestigeobjekt liegt gleich hinterm Fahnenmast. Die Crystal Hall, in der das ESC-Finale stattfinden soll, darf aber vorerst niemand aus der Nähe sehen. Polizisten stoppen jeden, der ein Foto von der Baustelle oder auch nur vom zweithöchsten Fahnenmast der Welt machen will. Das sei verboten, sagen sie. Warum? Eine Begründung gibt es nicht. Wer Fragen stellt, wird aufgefordert, seinen Pass vorzuzeigen. Weitere Polizisten kommen drohend näher. Bilder von einem unfertigen, unordentlichen Baku sind vor dem ESC nicht erwünscht. Heute stören am Flaggenplatz nur noch Bagger und Lastwagen das Bild. Die mehrstöckigen Wohnhäuser, die hier standen, sind dem Erdboden gleichgemacht.
Am Ende stand nur noch ein einziges Haus. Einige Bewohner wehrten sich vehement gegen seinen Abriss. Doch die Behörden drehten ihnen Wasser und Gas ab und begannen mit der Zerstörung des Gebäudes, noch bevor auch die letzten ausgezogen waren.
Claudia von Salzen, Claudia von Salzen