Pussy Riot: Auf Teufel komm raus
Weil sie in einer Kirche Gott, den Präsidenten und den Patriarchen beschimpften, stehen in Moskau drei Musikerinnen vor Gericht. Schauprozess!, ist die Welt sich einig. Und tatsächlich kam die Aktion Wladimir Putin gerade recht. Dabei waren ihre Aktionen anfangs total egal – sogar dem Kreml.
Dieser große braun getäfelte Saal im Moskauer Bezirksgericht ist ein Ort mit Geschichte, und dass die sich darin gerade wiederhole, sagen nicht wenige. Sagt beispielsweise Stanislaw Samuzewitsch. Er ist der Vater von Jekaterina, 28, die Musikerin bei der Band Pussy Riot ist – und damit eine der drei Angeklagten in dem Prozess, der am Montag begonnen hat. Bevor es offiziell losgeht, erklärt der Vater den Medienvertretern, dass das Urteil ohnehin feststehe, weil das ganze Verfahren vom Kreml gesteuert sei. Ein Schauprozess sei das, ein Exempel werde statuiert.
Auch die Besucherbänke im Gerichtssaal füllen sich am ersten Prozesstag bis auf den letzten Platz. Dann setzt sich das ungewöhnliche Verfahren in Gang.
Bevor die Anklage verlesen wird, melden sich bereits die drei Anwälte der Band zu Wort. Sie wollen Stellungnahmen der Angeklagten verlesen. Sie dürfen. Sie verlesen nacheinander, dass die jungen Frauen ihre Schuld nicht anerkennen. Dass sie sich aber bei den Nebenklägern entschuldigen wollen, falls sie deren Gefühle verletzt hätten. Sie hätten lediglich anprangern wollen, dass der Patriarch vor der Präsidentschaftswahl in Russland Wahlwerbung für den Kandidaten Wladimir Putin gemacht habe. Die Anwälte verlesen auch, dass die Band ihren Auftritt möglicherweise für einen „ethischen Fehler“ halte.
Ihr Auftritt: Es war am 21. Februar 2012, keine zwei Wochen mehr bis zu den Wahlen, bei denen sich Wladimir Putin Protesten zum Trotz zum dritten Male zum Präsidenten wählen lassen wollte. Da tauchte im Internet das Video von einem „Punkgebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale“ auf: Vier junge Frauen stehen mit Häkelmaske über dem Kopf und im bunten Kleid auf dem Altar. „Der Patriarch glaubt an Putin. Der Schweinehund sollte lieber an Gott glauben“, brüllen sie, und dann den Refrain: „Scheiße, Scheiße, Gottesscheiße.“ Aufgeregt rennen ältere Frauen in Kopftüchern und Kirchendiener um den Altar herum und versuchen, die jungen Frauen zu bremsen. Zwischendurch, ganz ohne Begleitung von E-Gitarren und Schlagzeug, imitieren die vier orthodoxe Gesänge: „Mutter Gottes, verjage Putin“, dazu fallen sie auf die Knie und bekreuzigen sich.
Video: Sieben Jahre Haft für Anti-Putin-Punk-Gebet?
Es folgten einige Tage der Ruhe, bis die Staatsanwaltschaft die insgesamt acht Mitglieder der Gruppe zur Fahndung ausschrieb. Fünf sind untergetaucht. Drei von ihnen wurden bis März in Untersuchungshaft genommen.
Jetzt sitzen sie im Gericht hinter den Glasscheiben des braunen Sicherheitskäfigs wie Schwerverbrecher: die 22-jährige Nadja Tolokonnikowa mit ihren melancholisch dreinblickenden braunen Augen, daneben die gut aufgelegte Jekaterina Samuzewitscha und die 23-jährige Maria Aljochina, die in ihrem lilafarbenen Rüschenkleidchen aussieht wie eine Unschuld vom Lande.
„Auf frevlerische Art“ sollen sie die jahrhundertealten Grundsätze der russisch-orthodoxen Kirche erniedrigt haben. Motiv: religiöser Hass.
Bildergalerie: Pussy Riot - Frauenaufstand gegen Putin
Die Anwälte im Gerichtssaal verlesen, dass dies nicht das Motiv der Band war. Nur gegen Putin seien die jungen Frauen, gegen die männerdominierte Gesellschaft, gegen das System. Die Briefe, die die Anwälte verlesen, richten sich, das wird schnell klar, weniger an das Gericht als an die Öffentlichkeit. Wie auch die Verteidigungsstrategie, die als Zeugen den Präsidenten selbst vorladen will.
Die Nebenkläger, um deren verletzte Gefühle es geht, sitzen derweil mit regungslosen Mienen auf der Fensterseite des Raumes. Sie hätten „moralischen Schaden“ genommen, heißt es in der Anklage. Einfache Leute sind es, Wachmänner, eine Kerzenverkäuferin, eine Gläubige, die ständig in einer kleinen Bibel blättert. Wie Statisten wirken sie in diesem Prozess, der weltweit beachtet wird.
Amnesty International hat die Frauen zu politischen Gefangenen erklärt. In London fragt die „Times“ Regierungschef Dmitri Medwedew nach seiner Meinung zu Pussy Riot, auf dem Moskauer Konzert der Band Faith No More zünden vier nicht geschnappte Pussy-Riot-Mitglieder bengalische Feuer auf der Bühne, die Zugabe „We care a lot“ spielt Sänger Mike Patton mit einer gehäkelten Pussy-Riot-Maske über dem Kopf.
Dabei war die Band bis zum Februar dieses Jahres nur eine weitere von zahlreichen Erscheinungen der radikalen russischen Aktionskunst: Mit ihren Häkelmasken und Kleidern kletterten die jungen Feministinnen auf Trolleybusse, auf Gerüste, auf Podeste auf dem Roten Platz und schrien von dort ihre Unzufriedenheit in die Moskauer Luft.
Aber was will die Band eigentlich? Es ist nicht leicht, das herauszufinden. Nach den Verhaftungen ist die Gruppe ein Phantom, Kommunikation läuft, wenn überhaupt, nur noch über eine E-Mail-Adresse oder über Twitter. In ihrem Weltbild wimmelt es vor allem von Namen: Hier ein wenig Slavoj Zizek, dort ein bisschen Judith Butler, Vera Sassulitsch, die russische Revolutionärin aus dem 19. Jahrhundert, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin sind auch dabei. „Wenn du heute schweigst, dann heißt das, dass du einverstanden bist“, heißt es in einem Interview der Aktivistinnen. „Du bist kein Gegner, aber du schließt dich denen an, die nicht darüber sprechen, die etwas verschweigen.“
"Putin hat sich in die Hose gepisst"
Als ihre musikalischen Vorbilder nennen Pussy Riot Nina Hagen, verschiedenen Oi-Punk-Bands und Bikini Kill aus den USA. Aus den Videoaufnahmen bastelten sie von E-Gitarren und Schlagzeug begleitete Punksongs und stellten sie auf das Onlineportal Youtube. Pussy Riot waren neu, wurden aber angesichts der banalen Botschaften und des wenig filigranen Gitarrengeschrammels nicht ganz ernst genommen. Nicht einmal vom Staat. Als die jungen Frauen ein paar Meter vom Kreml entfernt „Aufstand in Russland – Putin hat sich in die Hose gepisst“ brüllten, blieben sie ungestraft. Außer diesem nicht verfolgten Satz und der „Gottesscheiße“ aus der Kathedrale ist von den Botschaften der Band nicht viel angekommen in der russischen Gesellschaft.
Aber der Kreml hat den Fall für seine Zwecke zu nutzen gewusst. Im russischen Staatsfernsehen folgten dem Kathedralen-Auftritt Talkshows, in denen sich Gläubige, Moderatoren und orthodoxe Priester über die Gotteslästerung ereiferten und die Frauen zu Besessenen erklärten. Der Patriarch vermutete hinter der Aktion gar den Teufel persönlich.
„Die Aktion in der Kirche kam dem Regime gerade recht, um die ganze Oppositionsbewegung in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren“, erklärt der Religionswissenschaftler Michail Krasulin. „Die Botschaft sollte sein: Die Oppositionellen – das sind die, die mit Pussy Riot sympathisieren und solche Aktionen unterstützen.“
Pussy Riot also als Keil, der die russische Öffentlichkeit spalten soll?
Auch der Staatsanwalt spricht am Montag im Gerichtssaal von einer „Spaltung“, von einer derart aufgeheizten Stimmung in der Gesellschaft, dass er fordert, die Onlineübertragung für die Zeugenbefragung zu unterbrechen. Dem Antrag gibt die Richterin statt.
Bildergalerie: Proteste gegen Putin
Die russische Öffentlichkeit streitet seit dem Frühjahr über den Umgang mit dem rüden Punkgebet in dem wichtigen Gotteshaus. Es gab Unterschriftenaktionen für und wider, auch mancher Priester sprach sich gegen eine Strafverfolgung der Frauen aus, bei Haftprüfungsterminen prügelten sich dann vor den laufenden Kameras der ausländischen Fernsehsender ARD und CNN orthodoxe Eiferer mit Pussy-Riot-Unterstützern. Auf den Straßen der südrussischen Stadt Krasnodar protestierten gar Zehntausende gegen Pussy Riot. Vor einigen Tagen nähte sich der St. Petersburger Künstler Pjotr Pawlenski aus Protest den Mund zu. In den Händen hielt er ein Plakat, auf dem stand: „Pussy Riot hat wie Jesus den Tempel gereinigt.“ Ein paar Tage später verkündete ein Künstlerkollege, er habe sich ebenfalls aus Protest den Hintern zugenäht.
Das größte Kopfzerbrechen bereitete das Punkgebet jedoch der liberalen Öffentlichkeit, die während der Anti-Putin-Winterdemonstrationen gerade erst zu ungewohnter Einigkeit gefunden hatte. Viele Liberale wie der Schriftsteller Boris Akunin, der im Winter zu den Anführern der Demonstrationen gehörte, haben sich inzwischen dazu durchgerungen, trotz ihrer Ablehnung der provokativen Aktion für die Freilassung der jungen Frauen zu demonstrieren. „Wenn ein ziviles Gericht sich in eine kirchliche Inquisition verwandelt, betrifft das jeden von uns“, schreibt er in seinem Blog.
Allen ist klar, dass jener Paragraf des russischen Strafgesetzbuches über das „Rowdytum“ ein Gummiparagraf ist, der dem Staat in einem Fall wie diesem zur Verfügung steht. Nach einem ähnlichen Gummiparagrafen, jenem über die „Aufstachelung von religiösem Hass“, wurden 2010 in Moskau zwei Kuratoren einer religionskritischen Ausstellung zu Geldstrafen verurteilt.
Aber gegen eine Bestrafung der jungen Frauen hat die Mehrheit der Russen laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums nichts einzuwenden. Allerdings hält nur ein Drittel eine Strafe von zwei bis sieben Jahren für adäquat. Das ist ein Wandlung. Im März war noch fast die Hälfte der Befragten für eine solche Strafe. Inzwischen scheint das Interesse für den Fall aber insgesamt zu sinken: Anders als bei früheren Terminen standen am Montag vor dem Gerichtsgebäude nur einige Dutzend Demonstranten herum, ein paar Aktivisten in bunten Masken riefen hin und wieder „Freiheit für Pussy Riot“.
Deren Prozess ist nicht der einzige Prozess dieser Art. An diesem Dienstag wurde in Moskau eine Anklage gegen den oppositionellen Blogger und Anwalt Alexej Nawalny in einer schon mehrfach geschlossenen Strafsache erwartet. Viele vermuten einen politischen Hintergrund, weil der populäre Oppositionelle sich mit den höchsten Beamten des russischen Staates anlegt. Derzeit warten zudem mehrere junge Russen in Untersuchungshaft auf ihren Prozess wegen der Zusammenstöße mit der Polizei am 6. Mai, dem Tag der Amtseinführung von Präsident Wladimir Putin. Damals hatten etwa 70 000 Menschen für ein demokratisches Russland demonstriert, und es war kurz vor der Abschlusskundgebung zu Prügeleien mit der Polizei gekommen – wobei nicht klar ist, ob nicht die Polizisten damit angefangen haben.
Es dunkelt schon an diesem 30. Juli in Moskau, da wird die Kerzenverkäuferin in den Zeugenstand gerufen. Mit bebender Stimme berichtet sie, wie sie das Konzert der jungen Frauen in der Kirche erlebte. Von „dämonischen Zuckungen“ berichtet sie. Danach tritt der Wachmann in den Zeugenstand. Auch er erinnert sich ungern an den Auftritt. Er sagt, dass seine religiösen Gefühle und die von Millionen anderer Menschen beleidigt worden seien.
Um kurz vor 22 Uhr endet dann der erste Prozesstag. Beobachter vermuten, dass es nicht sehr lange bis zum Urteil dauern werde, vielleicht reichen zehn Prozesstage. Offenbar soll das Urteil bis Ende August gefällt werden, wenn noch viele Russen im Urlaub sind und vom Urteil nichts erfahren werden.
Genauso war es auch, als die Geschichte dieses Gerichtssaals, die sich gerade zu wiederholen scheint, begann. Als 2010 das Urteil fiel, das für den ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski sechs weitere Jahre Haft bedeutete. Es wurde einen Tag vor Beginn der russischen Neujahrsferien verkündet.
Moritz Gathmann