Panorama: Auf den Spuren des Sokrates Ethik-Unterricht: SPD und PDS fast einig
Kooperation mit Kirchen bleibt strittig
„Wie soll ich leben?“, lautete die Frage, die für den griechischen Philosophen Sokrates vor fast 2500 Jahren über allem stand. Er fand Antworten, die auch heute gelten und künftig allen Berliner Schülern zugänglich sein werden: Das neue Ethik-Schulfach hat fast alle Hürden genommen. Morgen sollen in einer kleinen Koalitionsrunde letzte Streitpunkte ausgeräumt werden. Dazu gehört die Frage, ob das Fach wirklich „Ethik“ heißen soll und ob die Kooperation mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verbindlich vorgeschrieben wird. Das entsprechende Gesetz soll im Januar den Senat passieren und ins Abgeordnetenhaus kommen, damit die Lehrerfortbildung beginnen und das Fach vom kommenden Schuljahr an unterrichtet werden kann.
PDS und SPD haben deshalb keine Zeit für lange Diskussionen und sind bereit, den von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) in Auftrag gegebenen Rahmenplanentwurf weitgehend zu akzeptieren. Nach Informationen des Tagesspiegels wird er in einigen Punkten aber nachgebessert. So soll deutlicher als bisher der Bereich „interkulturelle Bildung“ verankert werden. „Dazu gehört etwa, dass sich die Schüler mit unterschiedlichen Vorstellungen des Ehrbegriffs und der Geschlechterrollen auseinander setzen“, erläutert PDS- Bildungspolitikerin Siglinde Schaub. Sie fordert darüber hinaus, dass das neue Fach nicht einfach „Ethik“, sondern „Ethik und Kulturen“ heißen soll.
Böger wollte sich zu dieser Forderung bisher nicht äußern. SPD-Bildungspolitikerin Felicitas Tesch sieht in dem erweiterten Namen „kein Problem“. Philosophieprofessor Volker Gerhardt, der Bögers Rahmenplankommission angehörte, findet die Namenserweiterung allerdings „überflüssig“, weil im Begriff Ethik ohnehin alles enthalten sei. Kommissionsmitglied Walter Pfannkuche, ebenfalls Philosoph, empfindet Schaubs Vorschlag als „Verunschärfung“. Wie Gerhardt begrüßt er aber, dass das Zusammenleben der Kulturen ausdrücklicher als vorgesehen im Rahmenplan verankert wird.
Zur Erinnerung: Es war der Beifall von muslimischen Schülern zum „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü im Februar 2005, der dazu beitrug, dass sich die SPD auf ihrem Parteitag im April nach jahrelangen Diskussionen auf ein Pflichtfach zur Werteerziehung einigte: Die Genossen erhoffen sich von dem Fach, dass die Schüler über ihre unterschiedlichen Begriffe von Moral und Ehre ins Gespräch kommen. Deshalb stimmten sie auch dagegen, dass sich christliche oder muslimische Kinder vom Ethik-Besuch abmelden und stattdessen den Unterricht ihrer Religionsgemeinschaften besuchen können.
Damit wollen sich die evangelische und katholische Kirche aber nicht abfinden. Sie fordern weiter, dass man in Berlin – so wie bundesweit üblich – zwischen einem neutralen Fach wie Ethik sowie Religions- oder Weltanschauungsunterricht wählen kann. Unbeirrt von den schroffen Tönen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der wie SPD-Linke, Grüne und PDS diese Wahlmöglichkeit ablehnt, starten die Kirchen heute eine neue Kampagne für ihr Ziel. Diesmal wollen sie Flyer verteilen, auf denen sie für den Religionsunterricht werben.
Groß ist die Sorge der Kirchen, dass weniger Schüler an ihrem Unterricht teilnehmen, wenn sie zusätzlich Ethik besuchen müssen. Zwar soll Ethik erst ab Klasse 7 beginnen, so dass sich in den Grundschulen nichts ändert. Aber auch in den Oberschulen steht viel auf dem Spiel: Zurzeit besuchen hier rund 5500 Schüler den katholischen und knapp 30 000 den evangelischen Unterricht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in der 9. oder 10. Stunde zum Religionsunterricht geht, wenn man Ethik mit teilweise gleichem Inhalt ohnehin besuchen muss“, sagt Markus Bräuer, Sprecher der evangelischen Kirche. Hinzu komme, dass die Verkürzung des Abiturs auf zwölf Jahre zusätzlich dazu führt, dass die Schüler mehr Unterricht in Klasse 7-10 haben. Das könne nicht folgenlos für den freiwilligen Religionsunterricht sein, fürchtet Bräuer.
Die Kirchen setzen aber noch Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Ethik- und Religionsunterricht. Dies ist auch ein Anliegen Senator Bögers. Er hat deshalb in den Gesetzentwurf schreiben lassen, dass im Ethikunterricht Unterrichtseinheiten vorgesehen werden „sollen“, die in Kooperation mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften „gestaltet und durchgeführt werden“. Dies aber geht der PDS zu weit: Sie will aus dem „Sollen“ ein „Können“ machen. Auch dieser Dissenspunkt soll morgen entschieden werden.
Unklar ist bislang, ob es im neuen Schuljahr gelingt, das neue Fach auf einen Schlag allen rund 24 000 Siebtklässlern anzubieten. In jedem Fall soll es nach und nach bis in die zehnten Klassen „hinaufwachsen“. Zwar hat die CDU angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs Religion zum gleichberechtigten Wahlpflichtfach zu machen. Das aber hat sie auch schon in den 15 Jahren unter ihrem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen – erfolglos – gewollt.
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