Panorama: Ältestes Gewerbe: Lieber ins Bordell
Das "Komitee für die Rechte von Prostituierten" ist begeistert, der Hausfrauenverband redet von einem "großen Fortschritt", die Nichte des früheren Diktators Mussolini, Alessandra, hat ihre volle Unterstützung angekündigt. Doch dagegen steht die Phalanx derer, die wieder einmal den Untergang des Abendlandes voraussehen, von Ex-Innenministerin Russo Jervolino aus der Regierungskoalition über Maurizio Lupi von Berlusconis Forza Italia bis zur früheren erzkatholischen Parlamentspräsidentin Irene Pivetti: Mit der Ankündigung, die seit Jahrzehnten immer wieder verschobene Neuregelung der Prostitution in den nächsten Wochen durchzuziehen, hat Sozialministerin Livia Turco in ein Wespennest gestochen.
Das "Komitee für die Rechte von Prostituierten" ist begeistert, der Hausfrauenverband redet von einem "großen Fortschritt", die Nichte des früheren Diktators Mussolini, Alessandra, hat ihre volle Unterstützung angekündigt. Doch dagegen steht die Phalanx derer, die wieder einmal den Untergang des Abendlandes voraussehen, von Ex-Innenministerin Russo Jervolino aus der Regierungskoalition über Maurizio Lupi von Berlusconis Forza Italia bis zur früheren erzkatholischen Parlamentspräsidentin Irene Pivetti: Mit der Ankündigung, die seit Jahrzehnten immer wieder verschobene Neuregelung der Prostitution in den nächsten Wochen durchzuziehen, hat Sozialministerin Livia Turco in ein Wespennest gestochen.
Es geht um das berühmte "Gesetz Merlin" (benannt nach seiner Urheberin, einer christdemokratischen Senatorin), das 1958 die berühmten "Case chiuse" abschaffte, die vom Staat konzessionierten offiziellen Bordelle. Damals sahnte der Fiskus 60 Prozent der Einnahmen ab. Die Merlin fand das "unwürdig der moralischen Werte unseres Gemeinwesens". Dabei waren die Bordelle damals aufs Höchste beschränkt: Es durften weder Feste gefeiert werden, noch Tanzveranstaltungen stattfinden, auch kein Essen und Trinken durfte gereicht werden, überdies mussten die Fensterläden Tag und Nacht geschlossen bleiben, daher auch der Name "Case Chiuse", geschlossene Häuser. Die Merlin-Regelung verbietet Prostitution in Häusern oder abgeschlossenen Räumen und hat das Sex-Geschäft auf die Straße und in den kriminellen Untergrund getrieben. Mit der Konsequenz, dass Zehntausende von Frauen ihr Gewerbe unter unwürdigsten Bedingungen und oft unter direkter Abhängigkeit von Zuhältern oder Menschenhändler-Ringen ausüben müssen.
Die Pläne von Ministerin Turco sehen neben der Ausübung von Prostitution in der eigenen Wohnung oder in von den Frauen selbst verwalteten Bordellen auch die Einrichtung eines Nottelefons für Frauen vor, die aus dem illegalen Untergrund aussteigen wollen. Weiterhin sollen ansehnliche Hilfen beim Übergang zu anderen Berufen, Ausbildungsbeihilfen und Zuschüsse für hilfsbereite Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Ausländerinnen (fast die Hälfte kommt aus Dritte-Welt-Ländern) erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie ihre Zuhälter anzeigen und aussteigen.
Dass das Thema Kontroversen auslösen würde, war klar. Seit dem Inkrafttreten der "Legge Merlin", gab es nicht weniger als drei Dutzend Reform-Initiativen, darunter solche der Radikalen Partei der früheren Europakommissarin Emma Bonnino und eine der Porno-Diva Cicciolina, die vier Jahre im Abgeordnetenhaus saß. Die "Case chiuse" lösen aber immer noch irrationale Reaktionen aus: Eine "Rückkehr ins Mittelalter" sieht die Abgeordnete Sandra Fei von der Nationalen Allianz, die Entstehung "weiblicher Zuhälter in den Frauenkooperativen" fürchtet die Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Gleichstellung, Silvia Costa.
Die alten Bordelle sind bis heute Bestandteil vieler italienischer Filme - wie in Fellinis "Roma" - und haben ihren Platz in unzähligen Werken von Schriftstellern, von Mario Soldati bis zum Populärphilosophen Luciano De Crescenzo, der sich in seiner Studienzeit ein Zubrot als Kassenwart eines Bordells verdiente. Ihm verdankt die Welt auch manch besonders drollige Episode - etwa die seiner eigenen "Einführung": Die Frau, bei der er "es" lernen sollte, überforderte ihn derart, dass rein gar nichts ging. Darauf warf sie ihn einfach hinaus und behielt das Geld. Später erfuhr De Creszenzo, dass die Dame es bei allen so machte und auf diese Weise am Ende vielleicht noch Jungfrau war.
Als Senatorin Merlin ihre Anti-Bordell-Initiative startete, gab es an die 4000 Prostituierte in ganz Italien. Mit ihrem Gesetz, so glaubte die Senatorin, werde die Prostitution langsam verschwinden. Pustekuchen: Heute gibt es 15 Mal mehr Prostituierte in Italien als damals. Fast jeden Tag stöbern die Carabinieri Zuhälterringe auf, die Frauen und Mädchen, manche noch nicht einmal zehn Jahre alt, ständig überwachen und außerhalb ihrer "Dienstzeit" von oft 18 Stunden in Verliesen eingesperrt halten.
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