Immer weniger Hochzeiten in der Türkei: AKP bietet sich als Partnervermittlung an
Die türkische Regierung sorgt sich über die sinkende Zahl der Eheschließungen und mehr Scheidungen Die AKP will mit finanziellen Anreizen gegensteuern – und bietet Hilfe bei der Suche an.
Die Lage ist ernst und erfordert entschlossene Maßnahmen. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft sei in Gefahr, erklärte die türkische Regierungspartei AKP besorgt. Immer mehr Türken lassen sich scheiden, gleichzeitig sinkt die Zahl der neuen Eheschließungen. Verlieren die Türken die Lust an der Ehe? Und was wird aus dem Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan, jede türkische Familie solle mindestens drei Kinder in die Welt setzen? Ministerpräsident Ahmet Davutoglu will eingreifen und bietet sich selbst und die AKP als Partner-Suchdienst an.
An finanziellen Anreizen soll es nicht scheitern, sagt Davutoglus Regierung. So können sich heiratswillige Teenager nach einer jetzt beschlossenen Neuregelung künftig bis zu umgerechnet 1500 Euro an staatlichen Zuschüssen sichern, wenn sie auf der Bank ein sogenanntes „Mitgift-Konto“ zur Vorbereitung auf die Eheschließung einrichten. Schon jetzt gibt es die Möglichkeit eines zinslosen Heiratskredits von bis zu 3100 Euro für junge Ehepaare im Alter zwischen 18 und 26 Jahren. Geschiedene sind von dem Angebot ausgeschlossen.
Für immer mehr Menschen in der Türkei ist die Scheidung inzwischen allerdings Teil der Realität. Offiziellen Angaben zufolge wurden im Jahr 2014 in der Türkei knapp 600 000 Ehen geschlossen, etwas weniger als im Jahr vorher. Gleichzeitig schoss die Zahl der Scheidungen um 4,5 Prozent auf 131 000 nach oben. In rund 40 Prozent der Fälle hielten die geschiedenen Ehen nicht einmal fünf Jahre.
Kollektivistisches Wertesystem
Im Vergleich zu westlichen Ländern, wo bis zu 50 Prozent der Ehen geschieden werden, sind die türkischen Ehen mit einer Scheidungsrate von etwa 15 Prozent zwar noch relativ stabil. Doch das kann die AKP nicht beruhigen. Alle bisherigen Anreize für Eheschließungen hätten die Entwicklung nicht aufhalten können, klagte der AKP-Abgeordnete Hüseyin Filiz frustriert. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun die Gründe für Scheidungen untersuchen und Gegenmaßnahmen empfehlen.
Nach Ansicht von Fachleuten wird aber auch der Untersuchungsausschuss nichts an dem Trend ändern können. Da immer mehr Türken in Städten lebten, seien sie frei von der sozialen Kontrolle durch konservativ eingestellte Familien, die Scheidungen ablehnen, sagte der Soziologe Erol Kahveci der Zeitung „Milliyet“. Hier werde das traditionell kollektivistisch ausgerichtete Wertesystem vieler Türken mehr und mehr durch den westlich geprägten Individualismus verdrängt.
In dem relativ hohen Anteil der Kurzzeit-Ehen von weniger als fünf Jahren sieht Kahveci eine Auswirkung der traditionellen Partnersuche durch die Verwandtschaft, die in der Türkei nach wie vor weit verbreitet ist, aber immer häufiger zu Schiffbruch führt: Die von ihren Eltern verkuppelten Eheleute kennen sich kaum, vertragen sich nicht und trennen sich deshalb nach kurzer Zeit wieder.
Präsident Erdogan und die Regierung befürchten, dass die derzeit noch sehr junge Türkei – jeder zweite Bürger ist unter 30 – auf Dauer vergreisen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Mit dem Drei-Kinder-Appell hatte Erdogan viele westlich orientierte Türken verärgert. Die islamisch-konservative AKP sieht Frauen vor allem als Ehegattinnen und Mütter. Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu empörte Anfang des Jahres die Opposition und Frauenverbände, indem er den Türkinnen empfahl, keine andere Karriere als die der Mutter anzustreben. Erdogan sagte, junge Frauen sollten nicht zu lange mit dem Heiraten warten und bei der Auswahl ihres Partners auch nicht allzu wählerisch sein.
Davutoglu widmete sich unterdessen den Heiratswilligen. Die Eltern seien in Sachen Hilfe bei der Partnersuche die erste, aber nicht die einzige Adresse, sagte der Premier im Wahlkampf vor der Parlamentswahl am 1. November. Wenn Mütter und Väter keine geeigneten Kandidaten finden sollten, dann könnten junge Türken die AKP um Hilfe bitten, betonte Davutoglu. „Wendet euch an uns“, sagte er. Schließlich wolle die Regierung, dass sich die Türken „vermehren“. Die Kurdenpartei HDP empfahl dem Ministerpräsidenten daraufhin, er solle sich aus der Politik zurückziehen und stattdessen eine Dating-Show im Fernsehen leiten.