Wie Hilfsorganisationen um Geld werben: Afrika-Klischees bringen mehr Spenden
Hilfswerke bedienen sich für die Werbung der Klischees, die sie eigentlich bekämpfen wollen. Erfolgreich: Die Deutschen haben 2015 rund sieben Milliarden Euro gegeben.
Spendenwerber für Afrika halten sich in der Vorweihnachtszeit fast alle an die eigentlich ironisch gemeinten „Ratschläge“, die ihnen der kenianische Schriftsteller Binyavanga Wainaina 2005 gegeben hat: „Verwenden Sie immer das Wort ,Afrika’ oder ,Dunkelheit’ oder ,Safari’ im Titel.“ Im Untertitel könnten Begriffe wie „Maasai, Kongo, Nil, Trommeln, Sonne oder Schatten“ vorkommen. Auch „Guerillas, stammeszugehörig und ursprünglich“ seien „nützlich“, schrieb der Autor in seiner polemischen Kritik „der einen Geschichte“, vor der seine nigerianische Kollegin Chimamanda Adichie ebenfalls warnt.
Da es nur noch wenige Korrespondenten in Afrika gibt, haben Hilfsorganisationen die Stereotypen in Form immer gleicher Kinderfotos übernommen. Entweder die Kinder lachen froh, wohl weil ihnen geholfen wird, oder blicken verzweifelt aus großen Augen leicht von unten, weil doch bitte noch möglichst großzügig gespendet werden soll.
Zarte Mädchen, die schüchtern in die Kamera schauen
Auch in diesem Advent kommt kaum eine Spendenkampagne ohne Kinderbilder aus. In diesem Jahr sind es allerdings nicht nur hübsche und bedürftige schwarze Kinder, mit denen um Geld gebeten wird, sondern oft auch syrische Flüchtlingskinder. Unicef zum Beispiel setzt auf ein zerlumptes syrisches Mädchen. Aber spätestens, wenn es um die Hilfe in Afrika geht, sind sie alle wieder da: Die zarten Mädchen, die schüchtern in die Kamera schauen, die Gruppen fröhlicher Kinder, deren Schule gefördert wird, und gern genommen werden auch Bäuerinnen, die mit primitiven Hacken den Boden bearbeiten und natürlich Mütter mit Kindern auf Arm oder Rücken. Seltener, aber immer noch vertreten, sind Fotos blonder weißer Frauen, die kompetent schwarze, bedürftige Kinder versorgen. Dieser Ikonografie entkommen nicht einmal die „Ärzte ohne Grenzen“, die immerhin unterhalb des Textes einen schwarzen Arzt eine schwarze Mutter mit Kind behandeln lassen.
Vielen Hilfsorganisationen ist bewusst, dass sie mit ihrer Spendenwerbung genau die Stereotypen bedienen, die sie eigentlich mit ihrer Arbeit bekämpfen wollen. Natürlich wissen sie, dass die Lage komplexer ist, aber sie wissen nicht immer, wie sie langfristige Hilfsprojekte finanzieren sollen. Also tun sie das, was schon lange funktioniert. Bei der Kindernothilfe, einem evangelischen Hilfswerk, steht zur Erklärung folgendes zu lesen: „Afrika ist die Wiege der Menschheit, heute aber leider auch ihr Armenhaus.“ Und wenige Sätze später, nachdem ein Dutzend Missstände aufgezählt sind: „Es gibt aber auch Hoffnung.“ Die Johanniter fragen: „Wussten Sie, dass in Afrika immer noch alle drei Sekunden ein Kleinkind an Unterernährung stirbt?“
Auch der "Chancenkontinent" ist eine Lüge
Auf der anderen Seite bedienen Wirtschaftsverbände und die Bundesregierung das andere Stereotyp vom „Chancenkontinent“, dessen Wachstumsraten geradezu atemberaubend sind. Warum dann stetig steigende Nothilfeetats nötig sind, die dann doch wieder für die These der Spendenaktionen sprechen, lässt sich immer schwerer erklären.
Das hat vor drei Jahren eine Gruppe Kommunikationsstudenten (SAIH) aus Norwegen aufgegriffen. Ihr erstes Video, in dem Afrikaner Heizungen für Norwegen sammelten, weil dort Kinder frieren, war die Initialzündung für ihren „Rusty Radiator Award“, ein Negativpreis für Spendenwerbung, die Afrika zum Katastrophengebiet – bevölkert mit einer hilflosen und hoffnungslosen Bevölkerung – macht. Mit dem „Golden Radiator Award“ zeichnet SAIH inzwischen gut gelungene Filme aus, die sich durch einen langen Erzählatem auszeichnen, oder die Geschichte aus der Sicht derjenigen erzählen, um die es geht, oder die eine ungewöhnliche Perspektive wählen. Aber selbst das Rusty- Radiator-Projekt verfestigt mit seiner Persiflage der Stereotypen genau die Vorurteile, die es eigentlich bekämpfen will. Es ist nicht einfach, das richtige zu tun, aber so einfach „Leben zu retten“, wie die Johanniter schreiben.
Deutsche spenden sieben Milliarden Euro
Die Hilfsorganisationen haben handfeste Gründe, ihre Spendenstrategie nicht zu ändern. Nach einer Untersuchung des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen (DZI), das auch jedes Jahr den Spendenalmanach veröffentlicht, fließt ein Großteil der Spenden der Deutschen für humanitäre Hilfe in Katastrophenfällen. Nach Angaben des DZI werden die Deutschen bis Ende 2015 rund sieben Milliarden Euro gespendet haben, eine halbe Milliarde mehr als vor einem Jahr. Wenn die Verteilung in etwa gleich ist wie im Vorjahr, fließen 79 Prozent davon in die Nothilfe, 5,7 Prozent in den Tierschutz, 2,9 Prozent in Kultur und Denkmalschutz, 2,7 Prozent in Umwelt- und Naturschutz, 2,4 Prozent in den Sport und die restlichen 7,4 Prozent in alle möglichen Zwecke. Allein nach dem Erdbeben in Nepal im Mai haben die Deutschen nach DZI-Angaben 60 Millionen Euro gespendet.
Der Deutsche Fundraising-Verband, der vor kurzem eine Bilanz 2014/15 vorgelegt hat, kommt mit seiner Schätzung des Spendenaufkommens nur auf vier Milliarden Euro, was zwar rund 300 000 Euro mehr seien als im Vorjahr, aber die Zahl der Spender sei gesunken von 45 auf 42 Prozent der Bevölkerung. Das DZI beruft sich dagegen auf die britische Charities Aid Foundation, die ermittelt hat, dass der Anteil der deutschen Spender inzwischen bei 50 Prozent der Bevölkerung liege. Was nach Angaben beider Organisationen zugenommen hat, sind Sachspenden. Das dürften viele Spenden sein, die für die Flüchtlinge in Deutschland abgegeben worden sind. Ob Spender mit einem komplexeren Afrikabild zu überzeugen sind, tief in ihre Taschen zu greifen, ist schwer einzuschätzen. Versucht hat es in Deutschland noch niemand.
Dagmar Dehmer
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