Tee in Berlin: Neue Teekultur
Ostfriesenmischung und Rooibosbeutel, das war einmal. Berlin brüht jetzt ganz neu auf. Zwei Mal feiner Tee: einmal durchgestylt und einmal bodenständig-exotisch.
Thomas Langnickel-Stiegler hat Zettel ausgeteilt, für jede der zehn Sorten einen. Oben findet sich jeweils ein kleines Porträt. Der Woori, ein koreanischer Schwarztee, stamme aus den waldigen Jiri-Bergen und sei das Ergebnis einer „cleveren Doppeloxidation“, erfährt man da zum Beispiel. Oder dass der „Oriental Beauty“ aus Taiwan seinen Geschmack der Abwehrreaktion gegen eine gefräßige Zikade verdanke. Unter diesen Infos ist Platz, die eigenen Eindrücke zu notieren: davon, wie die aufgebrühten Tees aussehen, riechen, schmecken.
„Von Gong Fu bis Fünf-Uhr-Tee“ heißt das Seminar, das in einem Hinterraum des Charlottenburger Ladens „Paper & Tea“ stattfindet. Langnickel-Stiegler will den Teilnehmern an diesem Sonntag das Wichtigste über Tee erklären, Verkostung inklusive. „Schwarzer, Grüner und Weißer Tee stammen von der gleichen Pflanze, deren Blätter bloß unterschiedlich verarbeitet werden“, sagt er. Der 33-Jährige sitzt vor einem Holzboard, auf dem kleine Kannen aus Ton und Glas stehen. Bevor er den ersten Tee zubereitet, gibt er erst mal Wasser über die Blätter und gießt es dann gleich wieder ab – um den Tee zu „waschen“.
Die Sorten, die er anbietet, sind von hoher Qualität und kommen alle aus Ostasien. Man kann sie mehrmals aufgießen, einige mit kochendem, andere mit heißem, manche sogar mit lauwarmem Wasser. Die einen sind ergiebig genug für zwei, drei, andere für sechs, sieben Tassen. Und mit jedem Aufguss verändert sich der Geschmack ein wenig, keineswegs verliert er automatisch an Intensität. „Zitrusnoten“, „Röstnoten“, „florale Aromen“, „schokoladig“, „holzig“, „leicht nussig“ – das sind Begriffe, mit denen Langnickel-Stiegler die Tees beschreibt und die die Seminarteilnehmer auf ihren Zetteln notieren.
Das Ganze erinnert an eine Weinprobe. Bei „Paper & Tea“ (ein paar erlesene Schreibwaren gibt es auch, daher der Name) nehmen sie Tee ernst, als komplexes Getränk, mit dem man sich ähnlich intensiv beschäftigen kann wie mit einem Bordeaux oder einem Sauvignon Blanc. „Unser Ziel ist es, Wissen weiterzugeben“, sagt Thomas Langnickel-Stiegler. „Aus einem Teil der Welt, wo Tee nicht so im Mittelpunkt steht, in andere Kulturen hineinzuschnuppern, wo er eine große Rolle spielt.“ Geschäftsführer Jens de Gruyter ist, bevor er das Geschäft im Dezember 2012 aufgemacht hat, in Asien herumgereist und hat dort Kontakte zu Teefarmern und -kennern aufgebaut. Die fremden Traditionen sollen eine Inspiration sein, einfach nachahmen will man sie nicht. „Ich sitze ja auch nicht im Kimono vor Ihnen“, sagt Langnickel-Stiegler, der eine schwarze Fliege zum dunkelblauen Hemd und eine schwarze Nerd-Brille trägt.
So interessant wie die Philosophie ist die Präsentation: Das Geschäft hat eher die Anmutung einer Galerie, minimalistisch und aufgeräumt sieht es aus. Edle asiatische Teekannen, Schalen und Tassen stehen in weißen Regalen, die rund 70 Teesorten, darunter auch solche aus Kenia, Nepal, Sri Lanka und Indien, werden in kleinen Schaukästen gezeigt. Der Kontrast zum klassischen Teeladen, in dem sich Dosen bis unter die Decke stapeln und es süßlich nach parfümierten Tees riecht, könnte größer kaum sein.
Auch in anderen Städten und Ländern gibt es in jüngster Zeit immer mehr Läden und Salons, die weniger auf althergebrachte Gemütlichkeit setzen, das Teetrinken stattdessen verfeinern oder ihm ein frisches Image geben wollen. Etwa die „t.boutique“ im Hamburger Stadtteil St. Georg oder der „Phoenix – Salon de Thé“ in Frankfurt am Main. „Vielleicht ist eine neue Teekultur im Entstehen, das ist jedenfalls unsere Hoffnung“, sagt Langnickel-Stiegler, der aus der PR-Branche kommt und jetzt als „Chief-Teaist“ firmiert, als Erster unter den teeverrückten Mitarbeitern des Ladens. Er ist zwar Autodidakt, aber ein passionierter. Aufgewachsen ist er mit der ostfriesischen Teekultur der Mutter und hat, wie er sagt, schon einige „Tee-Wellen“ miterlebt. „Vor ein paar Jahren sprachen alle vom Grünen Tee, hauptsächlich weil er so gesund sein sollte.“ Auch heute beobachten sie bei „Paper & Tea“, dass sich viele Leute von dem Getränk vor allem Schutz vor Krankheiten versprechen. Dabei geht es den Mitarbeitern eher darum, Neugier zu wecken auf den fortgeschrittenen Tee-Genuss und zu vermitteln: So kompliziert ist das alles gar nicht.
Das Interesse an dem Laden und besonders an den regelmäßigen Seminaren ist groß. Und die Kundschaft ist bunt gemischt. Ob das Konzept dazu taugt, „Hemmschwellen abzubauen“ und „eine breite Masse“ für richtig guten Tee zu begeistern, wie Langnickel-Stiegler sagt, darf man trotzdem bezweifeln. Die Preise sind teils sehr hoch. 20 Gramm des Schwarztees Woori kosten 23 Euro, 50 Gramm Assam aus Indien sind dagegen schon für 5 Euro zu haben. Mit ihren vielen Aufgüssen und hochgerechnet auf den Liter seien die Tees nicht teurer als Softdrinks, sagt der Chief-Teaist.
Ebenfalls asiatisch inspiriert, aber denkbar anders als „Paper & Tea“ ist der Teesalon „Chén Chè“ in Mitte. Vor viereinhalb Jahren eröffnet, ist auch er immer noch etwas Besonderes in der Stadt. Ganz bewusst, erzählt Inhaber Si An Truong, setze man nicht auf Schwarzen oder Grünen Tee, sondern vor allem auf solchen aus Blättern, Blüten und Kräutern. (Puristen würden wohl nicht von Tee sprechen, sondern von Aufgüssen – im Englischen und Französischen gibt es dafür den schönen Ausdruck „infusion“.)
„Die Leute interessieren sich stärker für Tee als früher“, glaubt auch Truong. In Deutschland suchten die Menschen vermehrt Ruhe und Genuss, und Tee brauche im Gegensatz zum Kaffee eben seine Zeit, wohltuend sei er außerdem. In Vietnam, der Heimat seiner Familie, gibt es die umgekehrte Entwicklung. Da finden jetzt alle Starbucks schick. Die alten Teehäuser, in denen Truong als Kind viel Zeit verbrachte, ehe er mit den Eltern Anfang der 80er Jahre nach Deutschland kam, hat der Boom der vergangenen Jahre hinweggefegt.
In der Rosenthaler Straße hat Si An Truong, versteckt in einem Hinterhof, die Tradition wieder aufleben lassen. Das „Chén Chè“ sei keine exakte Kopie eines Teesalons in Vietnam, sagt er, sondern eher eine persönliche Kreation. Die sehr hohen Wände sind teils ockergelb gestrichen, es gibt vietnamesische Stühle und Tische – und asiatische Deko: von den Lampen bis zur Buddhafigur.
Der Tee im „Chén Chè“ schmeckt außergewöhnlich intensiv. „Wenn Sie anderswo Ingwertee bestellen, bekommen Sie ein Stück Ingwer, das mit heißem Wasser übergossen wurde“, sagt Truong. „Bei uns basiert der Tee auf einem Sud, dessen Herstellung vier Stunden dauert.“ Bittermelonen-, Zitronengras- und Shiso-Kressetee stehen etwa auch auf der Karte, wo es über den Wildmaracuja-Früchtetee heißt: „Aus dem nordvietnamesischen Tropenwald, selten gefundene Frucht, schmeckt nussig und leicht säuerlich.“ Die Mischungen sind Klassiker oder von Truong und seinen Leuten entwickelt, manche kann man zum Mitnehmen kaufen. Die Zutaten komme aus Asien.
Von 15 bis 18 Uhr gibt es jeden Tag eine „Teestunde“, lose angelehnt an eine vietnamesische Tradition wird dann zum Tee auf einem Holztablett herzhaftes und süßes vietnamesisches Essen serviert. Die neue Teekultur im „Chén Chè“, sie ist bodenständiger als die im „Paper & Tea“. Zwei Mal Tee, zwei Welten. Si An Truong sagt: „Tee kann man heiß oder kalt, im Winter oder im Sommer trinken ... Tee ist flexibel.“
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