Chic des Orients: Mode für muslimische Frauen
Hijab, Abaya & Co. sind ein Wachstumsmarkt, der erobert werden will. Und erobert wird. Nach Donna Karan hat auch Dolce & Gabbana eine Kollektion rausgebracht. Dennoch sind viele muslimische Frauen mit dem Angebot hierzulande nicht unbedingt zufrieden.
Im Sommer ist es am schwersten. Da finde eine Muslima hierzulande kaum noch etwas, das sie anziehen könne, sagt Ismihan Atilgan. „Das eine Oberteil hat zwar lange Ärmel, aber auch ein tiefes Dekollete, das nächste ist hochgeschlossen und dafür ärmellos.“ Geht für Frauen, die muslimische Kleidungsregeln beachten möchten, beides nicht. Ismihan Atilgan und ihr Mann Aytan nahmen die Lücke im Angebot zur Kenntnis – und beschlossen, sie zu schließen.
2014 gründeten sie das Berliner Startup „Trendy Covered“, das seinen Kundinnen die Möglichkeit gibt, sich islam-konform und modisch zu kleiden – sich „trendy bedecken“ eben. Von der Tunika, über die Abaya bis hin zum Hijab: Mehr als 1000 Produkte von gut 50 Marken bietet der Onlineshop. Aufmachung und Technik orientieren sich an westlichen Standards: Professionelle Fotoshootings, eine „Shop The Look“-Funktion, offene Fragen können per Whatsapp direkt an die Mitarbeiter gestellt werden. Der umfassende Service kommt an: „Durch einige Anfragen haben wir gemerkt, dass auch Nicht-Musliminnen an unserem Angebot interessiert sind“, sagt Aytan Atilgan. Gerade Abendkleider und Tuniken seien religionsübergreifend gefragt. Und seine Frau weiß auch warum: „Sonst kauft jeder bei H&M oder Zara und am Ende tragen alle das Gleiche.“ Der Party-Albtraum schlechthin.
Dass muslimische Mode mehr ist als nur ein zusätzliches Kopftuch, zeigt sich inzwischen auch in der Fashion-Branche. Es geht um ein lukratives Geschäft, muslimische Kunden gaben laut dem „State of the Global Islamic Economy Report 2015“ im vergangenen Jahr rund 230 Milliarden US-Dollar für Kleidung aus. Für sie präsentierte Dolce & Gabbana unlängst eine erste Kollektion islamischer Mode. Hijabs und Abayas made in Italy. Schon im Sommer 2014 war die US-Amerikanerin Donna Karan mit einer „Ramadan“-Kollektion herausgekommen – und wie im Berliner Alltag geht das auch in der Modewelt nicht ohne Kommentare. So nimmt beispielsweise Pierre Bergé, langjähriger Lebens- und Geschäftspartner des 2008 verstorbenen Designers Yves Saint Laurent, Anstoß an islamischer Mode aus westlichen Ateliers: Ein Modemacher sei nicht dazu da, „Komplize einer Diktatur zu sein, die Frauen dazu zwingt, sich zu verstecken“, sagt er. Die Frage nach dem Hijab ist also immer auch Stoff für eine hitzige Debatte. Jedenfalls von der einen Seite aus.
Wird das Kopftuch je entpolitisiert sein?
Erlaubt sei, was gefällt, heißt es dagegen bei „Trendy Covered“. „Wir verurteilen keine Muslimin, die sich gegen einen Hijab entscheidet, und zweifeln auch nicht an, dass sie trotzdem Muslimin ist“, sagt Ismihan Atilgan. „Die Hauptsache bleibt, dass sie sich selbst für den Hijab entscheidet.“ Und in diese Entscheidung habe niemand einzugreifen – weder die Politik, noch das persönliche Umfeld. „Ich würde nichts meinem Mann zuliebe tragen, was mir nicht selbst gefällt“, sagt sie. Natürlich kennt sie die Vorurteile, die unter jedem Kopftuch eine unterdrückte, unmündige Frau vermuten – ein Klischee, das modernen Musliminnen ihren eigenen Willen abspricht und ihre Männer in die Rolle des Gesetzgebers drückt. „Ich habe meine Frau so kennengelernt, wie sie ist. Mir gefällt, dass sie sich bedeckt, aber sie hat einen freien Willen und kann das tun, was ihrer eigenen Überzeugung entspricht“, sagt Aytan Atilgan. Der Koran zwinge Niemanden zu etwas.
Die Diskussion um Kleidervorschriften kennen auch Neval, Zeynep und Nesrine, drei Studentinnen, die sich im Verein „Juma – jung, muslimisch, aktiv“ engagieren. Sie leben in Berlin, wo der Islam in einigen Bezirken das Straßenbild prägt, und doch in einem Land, das die Freiheit der religiösen Entfaltung reglementiert. Seit Kopftuchverbot in öffentlichen Berufen herrscht, betrifft das die türkischstämmige Zeynep als Lehramtsstudentin ganz persönlich. „Das Neutralitätsgesetz und die Religionsfreiheit stehen in einem paradoxen Verhältnis. Eigentlich schließen sie sich gegenseitig aus“, sagt die 19-jährige. Doch sie ist erst im vierten Fachsemester, vielleicht ändert sich bis zu ihrem Berufseinstieg noch etwas.
Stulpen bringen Ärmel auf Länge, Unterröcke gegen die Transprarenz - das sind ihre Tricks
Inwieweit sich Religion und Mode verbinden lassen, müsse jede Muslima selbst entscheiden, findet Nesrine. Die Kulturwissenschaftsstudentin kennt diese Gratwanderung. „Auf der einen Seite gibt es die religiösen Kleidervorschriften. Andererseits leben wir in einer Welt, in der wir umgeben sind von Mode und Trends und möchten dazu gehören“, sagt die 20-jährige mit bosnischen und tunesischen Wurzeln. Ihre Religion und die europäische Mode passten aber manchmal einfach nicht zusammen.
Von der Muslima, die sich modern kleiden will, ohne auf religiöse Richtlinien zu verzichten, ist vorerst Eigeninitiative gefragt. „Genau das gefällt mir, wir können unserer Kreativität innerhalb dieses Rahmens freien Lauf lassen“, sagt Neval. „Ich fühle mich nicht eingeschränkt. Es ist eher ein Appell, aus den vorgeschriebenen Regeln etwas eigenes zu machen.“ Manchmal ist das nicht so einfach: Nesrine zum Beispiel mag „Boyfriend-Jeans“, Denim-Hosen die ihren Spitznamen einem maskulinen Schnitt zu verdanken haben. Häufig werden sie als abgenutzt inszeniert, haben Risse und Löcher an den Beinen. „Also suche ich nach einer Boyfriend-Jeans ohne Löcher, oder muss noch etwas darunter tragen“, sagt sie. Solche Tricks kennen junge Muslimas: Stulpen bringen Dreiviertel-Ärmel auf die passende Länge, Unterröcke machen transparente Röcke blickdicht, kleine Magnete verschließen die Kopftücher und beugen so Stecknadel-Abdrücken vor. Und ohnehin lässt sich der Hijab ganz unterschiedlich binden – unzählige Youtube-Tutorials zeigen wie’s geht. Alle drei folgen Fashion-Blogs von Muslimas wie Nicht- Muslimas und finden es interessant zu beobachten, wie wie gleichen Trends unterschiedlich interpretiert würden.
Smartphone, Chai Latte und Brands - das gibt es auch in muslimischen Modeblogs
Blogs sind auch für Ismihan Atilgan Inspirationsquelle. Betül Gedik aus Istanbul zum Beispiel, die auf Instagram rund 130 000 Follower zählt, oder die ägyptisch-britische Bloggerin Dina Torkia aka „DinaTokio“ mit mehr als 900 000 Followern und eigenem Modelabel. Ihre Bilder unterscheiden sich nur durch das Kopftuch von den Fotos westlicher Social-Media-Stars: Designerbrillen und schicke Handtaschen, in der einen Hand ein Chai-Latte, in der anderen das neueste Smartphone.
Die Aneignung muslimischer Mode durch Dolce & Gabbana und Konsorten stört Ismihan Atilgan nicht, sie hat aber festgestellt, dass auch hier das westliche Wissen um die muslimische Welt schnell endet. Zum Beispiel könne bei der Abaya-Kollektion von Dolce & Gabbana nicht generell von „Mode für Muslimas“ gesprochen werden. Die Linie ziele speziell auf den saudischen Raum ab. „Die würde ich hier in Europa nicht unbedingt tragen”, sagt sie.
Grundsätzlich urteilen dagegen die drei Studentinnen. Wird da von globalen Konzernen eine Religion für den Profit instrumentalisiert? „Das war mein erster Gedanke“, sagt Neval. Aber das Angebot bediene natürlich auch Bedürfnisse einer Zielgruppe. Es werde sich zeigen, ob allein „marktorientierte Interessen sich mit den islamischen Werten, die ich persönlich für wichtig empfinde, vereinbaren lassen“, sagt sie.
Für viele wird muslimische Mode vermutlich ein Angriff auf westliche Werte und die Errungenschaften der Emanzipation bleiben. „Ich glaube, hier müssen wir ansetzen. Das ist ein eingeschränktes und eurozentrisches Freiheitsverständnis, das sich kaum mit einem demokratischen Standpunkt vereinbaren lässt“, sagt Neval, „Freiheit und Selbstbestimmung bedeuten für mich, dass ich mich anziehen kann, wie ich möchte.“ Mit oder ohne Hijab. In D&G oder H&M.