Hymne auf ein wunderbares Gefäß: Meine liebe Kaffeekanne
Lange war nur noch Espresso und Latte Macchiato, da brauchte es sie nicht mehr. Doch nun wird der Filterkaffee neu entdeckt – und mit ihm die Kaffeekanne. Eine Hymne auf ein rundum weibliches Gefäß.
Pling, Plong, Plop. Es tröpfelt und tropft und brodelt, der Kreuzberger Coffeeshop erinnert an ein Labor. Im beleuchteten Kolben steigt die Flüssigkeit nach oben, daneben wird aus einer speziellen Gießkanne mit extrafeiner langer Tülle das Wasser, auf 89 bis 94 Grad erwärmt, gleichmäßig in den Filter – gegossen? Das klingt zu profan. Die Bohnen sind aufs Gramm genau abgewogen, und bei der Zubereitung haben die Kunden die Qual der Wahl: Hario V 60, Siphon, Aeropress, Kalita, Chemex, wie hätten Sie’s gern? Im Chapter One in der Mittenwalder Straße wird Kaffee nicht einfach gebrüht und getrunken, er wird zelebriert.
Seit er als „drip coffee“ wie so viele Wellen aus den USA zu uns herüberschwappte, seit der Filter nicht mehr Melitta heißt und aus Minden stammt, sondern Hario und aus Japan kommt, ist Filterkaffee wieder in. Inzwischen gibt es sogar Weltmeisterschaften im Brühen, die letzte fand in Australien statt. Selbst Illy, die italienische Espressofirma, bietet neuerdings Filterkaffee an, im legendären Noma in Kopenhagen wird er serviert. Die Zeit war reif für eine Renaissance. Seit jeder Student seine eigene Maschine hat, ist Espresso nichts Besonderes mehr.
Slow Coffee, so nennt sich der Brühkaffee im Chapter One. Handgemachtes hat in unserer virtuellen Welt wieder Hochkonjunktur, das Geschäft mit selbst gehäkelten Topflappen boomt. Filterkaffee wird nicht in wenigen Sekunden durch die Maschine geschossen, sondern sorgfältig in zweieinhalb Minuten (Extraktionszeit!) von Hand aufgegossen, so dass der Geschmack sich langsam entfalten kann. Umwelttechnisch ist er sowieso klar überlegen: Anders als die bösen Metallkapseln kann man den Filter spülen, Papier samt Satz auf den Biomüll werfen.
Freilich, um im Brooklyn und Kreuzberg des 21. Jahrhunderts an Mann und Frau gebracht zu werden, muss man ihn ganz und gar von seinem Schwiegermutterimage befreien, damit die jungen Leute nicht sagen: Och nö, Filterkaffee. Also wird er in Glas gebrüht und in Glas serviert und aus „cups“ getrunken. Nein!, schreit hier alles, das hat mit Omas Blümchenkaffee nix zu tun! Auch wenn er so aussieht. Denn im Chapter One bevorzugt man hell geröstete Sorten, die haben, wie Barrista Nora Smahelová erklärt, ein feineres Aroma und eigentlich mehr mit Früchtetee als mit herkömmlichem Kaffee zu tun. Als blaubeerig wird da der Geschmack schon mal beschrieben.
Ein Stammgast packt sich seine Karaffe am Hals, schwenkt die 220 ml mit geübtem Schwung, hält sie mit Kennerblick gegen’s Licht, erst dann gießt er sich ein bisschen in sein Schälchen und schlürft, Schlückchen für Schlückchen. Ganz pur natürlich, ohne Zucker und Milch. Ein Connaisseur.
Ich bin Kaffeetante, seit unsere Nachbarin mir als Kind echte Bohnen einschenkte anstelle des üblichen Muckefucks. Und doch geht es mir beim Kaffee wie beim Weintrinken: Ich schätze beide mehr als angenehme Begleitung denn als Hauptsache, die meine ganze Aufmerksamkeit und Verehrung fordert. Trotzdem begrüße ich den Trend aus vollem Herzen: als Chance für die Kaffeekanne. Denn das Schmuckstück ist vom Aussterben bedroht. Bei der Konsumgütermesse Ambiente wurde Alarm geschlagen, immer weniger werden verkauft, entsprechend weniger produziert, ein Teufelskreis, denn damit verschwindet in den Porzellanfabriken, die in einer schweren Krise stecken, auch das handwerkliche Know-how für die so komplizierte wie herrliche Form.
Zu meinem 25-jährigen Krankenkassenjubiläum (ja, so was gibt’s) bekam ich von meiner Versicherung ein Buch geschenkt: wie man auch im fortschreitenden Alter gesund bleibt und der Kasse Geld spart. Ab 40, so las ich dort, entsprechend illustriert, nimmt der Mann geradezu schicksalhaft die Form eines Apfels an, während die Frau zur Birne wird. Daran muss ich jedes Mal denken, wenn ich eine der von mir so geliebten Kannen und Kännchen sehe: Die Teekanne ist der Mann unter den Gefäßen (und, so wie die Machtverhältnisse sind, natürlich nicht vom Aussterben bedroht), die Kaffeekanne das Weib: eindeutig Birne.
Ein Zufall ist das nicht. Als der Kaffee und mit ihr die Kanne als neue Mode aus dem Arabischen zu uns kam, war gerade Barock angesagt und damit üppige Formen. Der Zeitpunkt war günstig, denn zur selben Zeit wie der Kaffee wurde in Deutschland das Porzellan entdeckt. Robust und geschmacksneutral, nicht hitzeleitend und vielseitig formbar, war es für die Kanne geradezu prädestiniert.
Die klassische Grundform ist bis heute geblieben, wobei es zahlreiche Variationen des Weiblichen gibt: Da findet man die Zierliche und die Mollige, die Kapriziöse und die Burschikose, junge Mädchen mit Wespentaille und alte Matronen. Ein paar Strenge, Steife gibt’s auch, aber die haben sich nicht durchgesetzt. Den rein Schlanken fehlt der Schwung. Fontane würde sagen: das Menschliche. Hüfte muss sein.
Sogar ein Symbol weiblicher Emanzipation ist die Kanne. Weil das Wirtshaus den Damen einst versperrt war, trafen sie sich eben daheim zum Kaffeekränzchen. Überhaupt ist sie ein Zeichen deutscher Geselligkeit, denn zu Kaffee und Kuchen zu bitten, das haben sich selbst jene getraut, denen Zeit, Geld oder Selbstvertrauen für eine große Essenseinladung fehlten. Und der Sonntagstafel ganzer Stolz war die Kaffeekanne. „Die Königin des Services.“
Aber der Königin ist das Volk weggelaufen, die Tassen haben sich selbstständig gemacht. Thermoskanne und Kaffeemaschine versetzten der Kanne den ersten Todesstoß, es folgten Drückekannen und Espressomaschinen. Nicht zu vergessen die Jugendbewegung, die das Kaffeetrinken spießig fand. Inzwischen wird wahrscheinlich mehr Koffein on the run aus Pappbechern getrunken als sitzend am Sonntagstisch. Seit sich das Ich in ein Wir verwandelte, sei manches anders geworden, notierte Caspar David Friedrich noch nach seiner Hochzeit 1818, plötzlich benötigte er eine ganze Kaffeezubereitungsaussteuer. Knapp 200 Jahre später dividierte sich das Wir zu vielen Ichs auseinander. Der eine will einen Latte mit Sojamilch, der zweite einen Decaf-Americano, der dritte einen doppelten Espresso – all das hat keinen Platz mehr unter einem gemeinsamen Deckel.
Aber es wäre zu schade, wenn dieses durch und durch sympathische Wesen – allein der Name, wie der klingt! – verschwände, nur noch auf Flohmärkten und in Museen zu finden wäre. Schon jetzt wird sie zum Blumengießen, Teetrinken und als Vase genutzt. Mehr Fantasie ist gefragt. „Die Kanne ist tot – es lebe die Kanne“, so nannte Hubert Kittel, Designprofessor in Halle, sein Seminar, das auf Initiative der Studenten zustande kam. Denn für Gestalter ist die Kaffeekanne eine reizvolle Herausforderung. Studentin Claudia Bischoff nahm die klassische Birnenform und machte Teelichter und Etageren daraus. Barbara Schmidt, Chefdesignerin bei Kahla, der einzigen Porzellanfirma, die boomt, weil sie sich mit neuen Formen den veränderten Lebensgewohnheiten anpasst, hat „die Mutter des Geschirrs“ als vielseitig nutzbare Karaffe, als „Mittelpunkt einer Patchworkfamilie“ weiterentwickelt. „Die Kaffeekanne ist wie eine kleine Skulptur auf dem Tisch“, sagt Schmidt. So schön, dass man ihr sogar das Tropfen verzeiht. „Wie bei tollen Schuhen: Die trägt man auch, selbst wenn sie unbequem sind.“
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