Afrikas Traumfabrik: Mein Nollywood
Ejike Asiegbu ist ein Star des nigerianischen Films und lebt in Lagos, dem Zentrum Nollywoods. Hier werden im Jahr 2000 Filme gedreht – das würde für fünf Berlinalen reichen.
Ein kühler Wintermorgen, Ejike Asiegbu steht im T-Shirt vor seinem Hotel in Berlin-Mitte. Er ist mit zwei Bloggerinnen und einem Jungunternehmer hier, um ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung vorzustellen: „Green Deal Nigeria“ soll dem Land Perspektiven für die Zeit nach dem Versiegen der Ölreserven aufzeigen. Asiegbu – groß gewachsen, sonorer Bass, polterndes Lachen – bedauert, dass er gerade mal 48 Stunden in Berlin bleiben kann, bevor sein Visum abläuft. Dann erzählt er über seine Rolle in der Filmszene Nigerias.
Ein gutes Drehbuch muss überraschen: Ich finde, der Zuschauer soll auf keinen Fall schon am Anfang ahnen, wie die Geschichte zu Ende gehen wird. Mal angenommen, ein Drehbuch ist nicht in poetischer Sprache geschrieben oder spiegelt die nigerianische Gesellschaft nur unzureichend wider – dann tue ich mich als Schauspieler echt schwer damit.
Wenn man wie ich in Lagos lebt, schreibt die Stadt die besten Geschichten. Da haben es die Autoren manchmal richtig schwer, sich etwas Neues auszudenken. Der Alltag in Lagos ist schon verrückt genug, bei uns gibt es nichts, was es nicht gibt. Aber daran habe ich mich im Laufe der Jahre gewöhnt.
In wie vielen Filmen ich zu sehen bin, habe ich vergessen. Ich zähle nicht mehr mit, es mögen so 40 sein, vielleicht 50. Vom treusorgenden Clan-Ältesten bis zum Bösewicht habe ich viele Charaktere gespielt. Fragen Sie mich bitte nicht, in welcher Rolle ich mir am besten gefalle – das müssen andere beurteilen. Auf alle meine Filme bin ich gleich stolz, sie sind wie meine Kinder. Ich habe in jeder Rolle mein Bestes gegeben.
Wenn ich durch die Straßen von Lagos gehe, werde ich ständig erkannt. Es ist wirklich bemerkenswert, dass nur wenige mich mit meinen Filmnamen ansprechen, die meisten rufen: „Ejike, Ejike!“ Kein Wunder, in vielen Haushalten laufen Nollywood-Streifen von früh bis spät im Fernsehen, es gibt viele Fan-Magazine.
Seit kurzem bin ich 50 Jahre alt – ein goldenes Alter. Eine Party veranstaltet habe ich nicht: Ich saß im Flieger, getrennt von meiner Familie. Wäre ich zu Hause gewesen, hätte ich vielleicht den Tag im Waisenhaus verbracht. Ein Kirchgang hätte natürlich auch dazu gehört. Ich feiere eh jeden einzelnen Tag meines Lebens, denn man weiß ja nie, wie lange man noch lebt. Da sollte man nicht vergessen, Gott zu danken.
Geboren bin ich im Norden Nigerias, aufgewachsen im Abia-State im Nigerdelta. Während des Biafra-Krieges, ab 1967, zogen meine Eltern von Stadt zu Stadt. Die Ortswechsel waren für sie anstrengend, aber ein großes Privileg für mich. Sie haben meine Erziehung stark geprägt, weil ich permanent etwas Neues sah. Nach dem Krieg wurde mein Vater dann in den heutigen Kogi-State im Zentrum Nigerias versetzt. Mein Vater war Ingenieur. Er ist heute 87 und immer noch sehr fit.
Ich war ein ruheloser junger Mann. Irgendwie wusste ich schon damals, dass ich Schauspieler werden will. In der Schule bin ich der Theatergruppe beigetreten – ein ganz großer Spaß. Ein Lehrer hat mein Talent entdeckt. Wir haben gemeinsam Gedichte rezitiert, ich schrieb auch selber welche. Natürlich über herzzerreißende Gefühle, die große Liebe.
Mitte der 60er Jahre hat mein Vater mich einmal verhauen, als ich nachts aus dem Theater kam und mich ins Haus schleichen wollte. Damals war das Theater sehr wichtig in Nigeria. Doch mein Vater mochte von den schönen Künsten nichts hören und nichts sehen und fand das alles unsittlich. Am liebsten wäre ihm wohl gewesen, ich hätte etwas Anständiges gelernt und wäre Ingenieur geworden, oder wenigstens Arzt. Mein Vater war meinetwegen sehr unglücklich. Er schimpfte: „Sieh dich an, wie schlecht du in Mathe bist!“ Er war fest davon überzeugt, dass ich es im Leben zu nichts bringen würde. Für Mathematik hatte ich wirklich kein Verständnis.
Meine Mutter hatte nicht allzu viel zu sagen, sie lebte im Nachbardorf. Als sich meine Eltern trennten, waren meine Geschwister und ich tief erschüttert. Die beiden hatten große Probleme miteinander und gaben sich auch noch gegenseitig die Schuld an der Situation. Es war schrecklich für mich – die Eltern meiner Freunde waren ja alle verheiratet. Meine Eltern horchten mich aus: Was hat sie über mich gesagt? Was hat er über mich gesagt? Ich habe mich sehr nach einer heilen Familie gesehnt.
Als meine Mutter dann alt wurde, beschlossen wir Kinder, ihr ein Haus auf unserem Grundstück zu bauen. Doch bevor es fertig wurde, ist sie leider gestorben. Ich sage ja, das Leben ist kurz. Der Tod von Familienmitgliedern lehrt einen, auf sein eigenes Lebensende vorbereitet zu sein.
Ins Filmgeschäft hat mich mein Entdecker, der Lehrer, gebracht. Als wir uns an der Hochschule wieder begegneten, brachte er mich zum Fernsehen. Damals war gerade eine Sendung sehr beliebt, die sich um das Magische, also Geister und Hexerei drehte – nach wie vor ein großes Thema bei uns.
Als mein Vater mich dann in den 70er Jahren im Fernsehen sah, wurde er etwas milder. Aber erst als seine Nachbarn ihn auf meine Rollen ansprachen, war er doch irgendwie stolz und sagte: „Wenn es das ist, was du willst, ist das okay.“
Ich gebe gerne zu, dass die Plots von Nollywood außerhalb Afrikas gewöhnungsbedürftig sind. Die Zeit der schlechten Videokameras und leiernden Bänder ist zum Glück vorbei – digitale Technik und einfache Schnittprogramme haben zu einer Verbesserung der Bildqualität geführt, da hat sich viel verändert. Mittlerweile reisen nigerianische Filmschaffende zu internationalen Festivals. Ich halte es für enorm wichtig, dass sie sich Inspiration holen können. Wenn man immer bloß am gleichen Ort bleibt, bilden sich irgendwann Spinnweben um einen herum.
Bevor ich aber wieder reisen kann, muss ich erst mal sparen. Meine Schwester ist schwer erkrankt, und ich habe alle ihre Arztrechnungen bezahlt, was mich sieben Millionen Naira (umgerechnet etwa 33 000 Euro) gekostet hat. Und ich muss sehen, dass ich das Schulgeld für die Kinder aufbringe – meine Frau und ich haben drei Jungs und ein Mädchen. Die öffentlichen Schulen sind so schlecht, dass sie den Kindern keine Zukunft ermöglichen.
Mit der Schauspielerei Geld zu verdienen ist schwierig. Eine DVD ist schon für umgerechnet einen Euro zu haben, Raubkopien im Netz machen uns das Leben schwer. Manche Kollegen haben mit dem Drehen von Werbeclips zusätzlich etwas Geld verdient, ich auch. Für Werbung werden sehr häufig südafrikanische Schauspieler gebucht. Ganz ehrlich, ich frage mich warum. Die sind auch nicht berühmter als wir.
Unsere Budgets sind wirklich winzig, wenn man sie mit Hollywood-Produktionen vergleicht. Einerseits ist das schade. Andererseits machen knappe Mittel kreativ – wenn man nicht alles herbeischaffen kann, muss man mit dem klarkommen, was man hat. Richtige Kulissen sind selten, meist drehen wir in unseren eigenen Häusern oder einfach auf der Straße.
Wissen Sie, was ich mit einem unbegrenzten Budget tun würde? Eine Filmakademie gründen. Dort würde ich vom Schauspieler über den Regisseur bis zum Manager alle ausbilden. Obwohl wir nach Hollywood und Bollywood die drittgrößte Filmindustrie der Erde haben, hängen wir technisch hinterher. Es müsste an der Filmschule auch vermittelt werden, dass Schauspieler in unserer Gesellschaft Vorbilder sind und dementsprechend handeln sollten – ich zum Beispiel engagiere mich für Menschenrechte und erneuerbare Energien, denn mit dem Öl ist es bei uns irgendwann auch vorbei.
Manchmal, wenn ich in einer meiner Filmrollen sterbe, weinen meine Kinder so lange, bis ich – Überraschung! – lebendig nach Hause komme. Und das, obwohl meine Frau ihnen immer wieder eingetrichtert hat, dass es nur ein Film ist! Meine Frau ist mein Schutzengel. Ich traf sie vor mehr als 15 Jahren am Set von „Pregnant Virgin“. Mit ihr kann das Leben wie ein Film sein.
Einmal hat sie mir verboten, zu meiner Schwester zu reisen, weil sie lieber mit mir feiern gehen wollte. Ich sagte also schweren Herzens meinen Flug ab. Der Flieger ist dann verunglückt.
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