Anne Will und Maybrit Illner zum Coronavirus: Zwei Mal Pflege-Schutz und einmal Maschinenbauer-Lob
Fast zeitgleich sprechen die TV-Moderatorinnen über dasselbe Thema. Der Virologe Kekulé erfindet die „Volksmaske“ und Finanzminister Scholz lobt Maschinenbauer.
Es ist keine leichte Zeit für das Fernsehen und deshalb ist es auch keine leichte Zeit für den Fernsehkritiker. Und wenn am Sonntagabend Anne Will mit ihren Gästen in der ARD über Corona redet und 25 Minuten später Maybrit Illner mit ihren Gästen im ZDF über Corona redet, dann ist das ja bereits logistisch eine Herausforderung.
Welche Sendung schaut man auf dem Fernsehgerät? Welche streamt man dem Laptop? Und wie macht man sich Notizen? Folgende Versuchsanordnung also für diesen Sonntagabend: Anne Will im TV, Maybrit Illner auf dem Laptop, Zettel und Stift für Notizen.
Kleiner Spoiler zum Anfang: Wäre alles nicht nötig gewesen. Will und Illner machten beinahe exakt dieselbe Sendung. Eine hätte gereicht. Oder auch keine.
Anne Will startet vor Maybrit Illner, obwohl es erst um 22 Uhr losgeht, weil in diesen Zeiten die „Tagesschau“ an einem Sonntagabend einfach mal dreißig Minuten geht. Die Leitfrage lautet, wo Deutschland gerade steht. Und natürlich sitzt ein Teil von Deutschland immer noch nicht auf den Publikumstribünen und die Gäste halten Abstand voneinander.
Die Sendung beginnt mit einen Einspielfilm zum Stand der Dinge und die Bilder und Sätze und Infografiken ähneln allen Bildern und Sätzen und Infografiken - es wirkt, als befände man sich in einer Art medialen Dauerschleife.
Die erste Frage geht dann an den Virologen Alexander Kekulé. Er war vor zwei Wochen bereits zu Gast, es geht um die Sicherung der Altenheime, um den Schutz von Pflegebedürftigen. Aber im Laufe der Sendung sprechen vor allem Christel Bienstein, die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, und Marina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsens, mit Empathie und Engagement über den derzeitigen Zustand.
Olaf Scholz, auch er war vor zwei Wochen bereits zu Gast, spricht vor allem über andere Dinge - und zwar genau so, wie er das vor zwei Wochen auch schon getan hat. Scholz lobt die deutschen Maschinenbauer.
Das wirkt seltsam, wenn es doch um Alten- und Krankenpflege geht, aber vielleicht war sich Scholz nicht sicher, ob seine Botschaft damals angekommen ist. Der deutsche Maschinenbauer leiste nämlich allerhand, und am besten wäre es, wenn der deutsche Maschinenbauer jetzt sehr viel bauen würde, am besten natürlich für Deutschland.
Die Regie zeigt oft das Gesicht von Kekulé in Großaufnahme - der Mann schaut durchgehend besorgt, die Stirn liegt in Falten, auf dem Tisch vor den Gästen stehen keine Wassergläser, vielleicht deshalb. Nach 20 Minuten muss Kekulé dann einen „Appell“ loswerden, denn man müsse „hier und jetzt“ handeln - und nicht an zukünftige Epidemien denken, was allerdings auch niemand tut.
Auch nicht bei Maybrit Illner, die auf Sendung gegangen ist, als Scholz noch einmal die deutschen Maschinenbauer lobt. Auch bei Illner wird das Thema der Alten und Kranken und Schwachen besprochen, auch sie beginnt mit einem Einspieler zum Thema „Pflege“.
Illner richtet ihre erste Frage an die Familienministerin Franziska Giffey, ob man denn alten und kranken Menschen ihren einzigen Halt wegnehmen dürfe. Logischerweise hält Giffey das für keine gute Idee. Die Rolle von Kekulé (besorgt schauen, Stirn in Falten) übernimmt bei Illner der Grünen-Chef Robert Habeck, dessen Haare von der Schließung der Friseur-Salons nicht betroffen sind. Bei Will spricht Scholz währenddessen von Sonderzahlungen, überraschenderweise nicht für deutsche Maschinenbauer, sondern für Pflegekräfte.
Habeck sagt, er halte wenig von Umkehrisolation, leider hat man die Frage von Illner verpasst, Kekulé antwortet auf Habeck, dass es auch darum gehen müsse, die Familien von Pflegekräften zu schützen und das ist erstaunlich, weil die beiden ja nicht in derselben Talk-Show sitzen.
Habeck findet, es gebe ja Solidarität in der Gesellschaft, woraufhin Illner wissen möchte, ob alte Menschen Handys bräuchten. Da hätte man schon gerne eine Antwort von Kekulé oder von Scholz gehört, aber das geht ja nicht. Dafür versucht Kekulé ein neues Wort zu etablieren, nämlich „smart distancing“, und das hätte Anne Will und Maybrit Illner an diesem Abend auch gutgetan.
Es geht dann in beiden Sendungen um das Tragen von Mundschutzmasken, wogegen niemand der Gäste ernsthaft was hat. Kekulé fordert zum Selberbasteln auf und erfindet noch ein Wort, nämlich Volksmaske. Dann stellt Will Olaf Scholz die letzte Frage, nämlich ob er dem Vorschlag von Markus Söder folgt, den Soli sofort abzuschaffen und die Einkommenssteuer zu senken, aber Scholz denkt nicht daran, diese Frage zu beantworten, wahrscheinlich ist er in Gedanken beim deutschen Maschinenbauer.
Jetzt hat Illner den Sonntagabend für sich und Habeck möchte „mit dem Florett“ kämpfen (man weiß nicht wogegen, man war noch bei Will). Es folgen Zahlen, ein Virologe wird dazu geschaltet, es geht um Hoffnung, schmale Grade, dritte Wege, Hypothesen und Habeck sagt zum Schluss: „Jetzt wird es richtig kompliziert.“ Auf den Notizen des Fernsehkritikers steht dreimal das Wort Maschinenbauer.
Hat sich dieser öffentlich-rechtliche Talkshow-Doppelschlag gelohnt? Wird er sich wiederholen? Haben die Sender-Verantwortlichen gefallen daran gefunden? Was passiert am Montag? Worüber spricht Frank Plasberg bei „hart aber fair“?
Vielleicht darüber: „Ist der deutsche Spargel in Gefahr? Gaumenfreuden in Zeiten von Corona“. Zu Gast sind Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, ein sorgenvoller Spargelbauer, Eckhardt von Hirschhausen, die Beelitzer Spargelkönigin und Jakob Augstein (mag Spargel).
Das würde sich Markus Lanz natürlich nicht lange anschauen - er geht auch bereits am Montag bereits auf Sendung, in der Till Lindemann live ein Corona-Gedicht verfasst, Edmund Stoiber sich an damals erinnert, Marc Forster irgendwas beichtet und Robin Alexander da ist.
Das ist natürlich Quatsch. Das wird nicht passieren. Bei „Hart aber Fair“ geht es Montagabend um Altenheime in Corona-Zeiten.
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