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Fall Kachelmann: Zu schlüpfrig?

Als Jörg Kachelmann 2010 von seiner Ex-Geliebten wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, ist viel über sein Sexualleben bekannt geworden. Nun verhandelt der Bundesgerichtshof über die Grenzen der Berichterstattung im Fall des Wettermoderators.

„Sex sells“, heißt es. Doch was ist noch Journalismus, was schon Voyeurismus? Jörg Kachelmann wehrt sich seit seinem Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung im Mai 2011 gegen Medienberichte, die er als Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte empfindet. Am Dienstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Unterlassungsklage des Wettermannes gegen einen Bericht auf Bild.de abgewiesen (Az.: VI ZR 93/12). Die Veröffentlichung sei zwar rechtswidrig gewesen, ein Unterlassungsanspruch bestehe jedoch nicht.

Bild.de hatte im Juni 2010 über intime Details aus Kachelmanns Aussage vor dem Haftrichter berichtet. Erst das Land-, dann das Oberlandesgericht Köln erklärten die Veröffentlichung für unzulässig. Der Schutz seines Persönlichkeitsrechtes vor Indiskretionen aus seinem Intimbereich sei höher zu bewerten als das Berichterstattungsinteresse der Medien, urteilten die Richter. Das Oberlandesgericht (OLG) verwies den Fall im Februar 2012 zur höchstrichterlichen Klärung nach Karlsruhe. Dort ist Kachelmann nun mit seinem Anliegen gescheitert.

Als der Wettermoderator im März 2010 verhaftet wurde, weil ihn eine Ex-Geliebte beschuldigte, sie vergewaltigt zu haben, folgte ein gewaltiges Mediengewitter. Es wurde nicht nur über das Ermittlungsverfahren und den Strafprozess berichtet, sondern mit Verve auch über sein bis dato öffentlich unbekanntes Sexualleben. Von den Tatvorwürfen wurde er rechtskräftig freigesprochen. Über sein Sexualleben weiß die Öffentlichkeit mehr, als sie wohl je wissen wollte. Die Verbreitung „schlüpfriger Details“ aus seinem Sexualleben durch bild.de, stellt Kachelmanns Ansicht nach einen unzulässigen Eingriff in seine Intimsphäre dar. Seine sexuellen Vorlieben gehe die Öffentlichkeit nichts an. Die Vorinstanzen gaben ihm recht.

Der für Pressesachen zuständige VI. Zivilsenat am BGH sieht das etwas anders. Zwar sagen auch die Karlsruher Richter, dass „die Veröffentlichung im Juni 2010 wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers rechtswidrig“ gewesen sei. Ein Unterlassungsanspruch bestehe aber nicht.

Für die Karlsruher Richter ist entscheidend, dass das Protokoll der Aussage samt Details in öffentlicher Verhandlung vor dem Landgericht Mannheim verlesen wurde. Dadurch sei die Berichterstattung zulässig geworden, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke am Dienstag in seiner Urteilsbegründung.

Das OLG Köln hatte Kachelmann noch zugestimmt: Journalisten dürfen keineswegs über alles berichten, was sie vor Gericht hören. Die geschilderten Intimitäten hatten laut OLG nichts mit dem Vergewaltigungsvorwurf zu tun. Für die Frage nach seiner Schuld oder Unschuld seien sie ohne Bedeutung gewesen. Sie hätten allein der Befriedigung von Neugier und Sensationslust gedient. Beides keine legitimen Motive für eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte, so das OLG.

Es ist eine nicht zu überschätzende Errungenschaft des Rechtsstaates, dass es keine Geheimprozesse gibt. Gerichte, die im Namen des Volkes urteilen, müssen von der Öffentlichkeit bei der Suche nach der Wahrheit beobachtet und damit kontrolliert werden können. So hatte auch der beklagte und nun siegreiche Axel Springer Verlag argumentiert: Es gehöre zu den „Kernaufgaben der Presse, das, was in der öffentlichen Verhandlung passiert, auch wiederzugeben“. Es sei das Recht und die Pflicht der Medien, die breite Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.

Ein Dammbruch ist das BGH-Urteil nicht. Schon jetzt gehört es zum journalistischen Handwerk abzuwägen zwischen dem, was bloß menschliche Neugier befriedigt, und dem, was dem Leser wirklich hilft, die Arbeit des Gerichts oder die Tat eines Menschen zu verstehen. Und schon jetzt muss der Gerichtsreporter auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen Rücksicht nehmen. Daran ändert sich auch künftig nichts. Wiebke Ramm

Wiebke Ramm

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