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Der Schlusspunkt bei "Einer wird gewinnen" war auch der Höhepunkt: Hans-Joachim Kulenkampff (links) ließ sich von "Butler" Martin Jente in den Mantel helfen.
© picture alliance / dpa

Neuauflage von "Einer wird gewinnen": Wir Kulis

Fernsehen, das war früher Hans-Joachim Kulenkampff und „Einer wird gewinnen“. Jetzt zeigt das Erste eine Neuauflage der Show - ein Rückblick und Ausblick.

Er naht sich wieder. Gehindert durch den eigenen Todesfall als Geist. Kann Jörg Pilawa den Mozart des Plaudertons, den Beau aus Bremen und Bewunderer aller Uschis dieser Welt, Hans-Joachim Kulenkampff (1921–1998), wiedererwecken? Will er es? Sollte er? Antwort: Er kann es gar nicht. Alles hat seine Zeit, im Fernsehen besonders.

Für Kuli wurde die Broaktdecke vom Fernseher gelüftet

Als in den frühen sechziger Jahren zu uns nach Hause der erste Fernseher einzog, wurde er bei Nichtbetrieb mit einer Brokatdecke zugehängt. Meine Mutter wollte es so. Eigentlich war für das Ding kein Geld da, aber es gab eine Ratenzahlung der besonderen Art: Für jede Stunde Benutzung mussten Münzen in eine Box eingeworfen werden, die am Ende des Monats abkassiert wurden. Noch nie ist in jenen knappen Jahren ein auf Ratenkredit gekauftes Gerät bei uns so schnell abbezahlt worden.

Deckchen-Camouflage und Ratenleichtsinn stehen für einen großen epochalen Umbruch. Die Familie als Unterhaltungsinstitut hatte ausgedient. Die alten Geschichten von Krieg und Vorkrieg waren auserzählt oder verdrängt. Es hatte sich ausgehäkelt, ausgeskatet, aus mit Mensch ärgere dich nicht. Eltern waren angestrengt. Besuch am Samstagabend selten, es kamen sowieso immer die gleichen Leute, Verwandte eben. Die Mütter träumten vielleicht vom weltgewandten Kavalier, der Vater von Uschis. Der Sohn saß da, sollte er sich zu Karl May zurückziehen? Durfte er nicht.

Er war der Gute-Laune-Stifter

Schluchz. Da hob sich das Deckchen. Mutter blühte auf. Der Sohn freute sich darüber mehr als über das, was er sah. Der Gute-Laune-Stifter, das Anti-Depressivum, war ein Mann, der sich im Fernsehen benahm, wie man sich Besuch so vorstellte. Höflich, redselig, bübisch-frech, wenn er mit Habichtblick seine Assistentin in ihre schönen Details zerlegte. Er wirkte narzisstisch ohne Überheblichkeit, und im Grunde uninteressiert an dem Gesellschaftsspiel, das sich „EWG“ nannte und Deutsche gegen Holländer, Dänen, Franzosen, Italiener und Tschechen in Quizprüfungen schickte.

Kuli konnte sich nicht mehr einkriegen, wenn eine Frau eine Gans mit drei Beinen malte, eine holländische Fremdenführerin sich nicht mit Musik auskannte. „Sie sollten mit Ihren Gruppen öfter mal ins Konzert gehen“, schulmeisterte er dann. Europäische Gemeinschaft ja, aber die Unterschiede (und Vorurteile) machten die Musik. Wir fanden das okay.

Überhaupt waren wir alle Kulis Kulis. Wir kannten Frankenfeld, den grobkarierten Spaßbastler. Wir lernten Lembke, den Quizbürokraten mit seinen Schweinderln und Ratefüchsen kennen. Aber Kuli war der milde chaotische Herrscher des Samstagabends, der Grund für familiäres Zusammenkommen. Wir maulten nicht. Wir waren dankbar. Es gab keine Meckerforen. Wir waren ein grundgutes Publikum. Wir wussten es nicht besser.

Kuli überzog die Sendezeit maßlos, er ging nicht in der Idiotie und Analität des Mediums auf. Er war erkennbar auf leicht ironischer Wanderschaft. Wo gäbe es das heute in der perfektionierten TV-Käfigkultur: Sich am Ende der Sendung von einem Butler namens Martin Jente (er war aus Kulis Produktionsteam) in den Mantel helfen lassen, um die Sendung zu verlassen. Als gäbe es noch eine Welt jenseits des Bildschirms.

Natürlich gab es da noch ein Deckchen. Ein unsichtbares. Wir Jungen erkannten es nicht. Kulenkampff war aus einer Generation, die Hitler und der Krieg um ihre Jugend gebracht hatten. Erst später erzählte er von der Grausamkeit des Russlandfeldzugs, von den Toten, von der Kälte, die ihn zwang, sich mit der Schere erfrorene Zehen abzuschneiden.

Jörg Pilawa wagt sich am Samstag an eine „EWG“-Neuauflage.
Jörg Pilawa wagt sich am Samstag an eine „EWG“-Neuauflage.
© ARD/Thomas Leidig

Dass der Bremer Hanseatenspross (ohne pfeffersäckischen Geldhintergrund) im falschen Film lebte und sich für einen begabten Schauspieler, der er nicht war, und nicht für das hielt, was er war, ein genialer Fernsehpionier, ist auch den Wirren des Kriegslebenslaufs geschuldet, die Ziele und Träume verschlangen.

Wie ein Freizeitkapitän, der er war, segelte Kuli durch die Gefilde des neuen Mediums, machte mit seinen Sermonen über Gott und die Welt Wind, wenn beim Spiel mit den Kandidaten Flaute war, und stürzte sich hellwach und schlagfertig witzig ins Geschehen, wenn die Gänse mit den drei Beinen schnatterten.

Kulis Fernsehwelt war unschuldig

Nur einer, dem einiges im Leben zerbrochen war, konnte so wunderbar den Augenblick ausnutzen. Denn live – das ist der wahre Himmel des Fernsehens. Ihn erreichen die Planer nie, dazu sind sie zu schwer und abgefeimt.

Kulis Fernsehwelt war unschuldig. Sie kannte sich noch nicht selbst. Sie war ja mit sich selbst allein, ohne Konkurrenz. Sie begann erst ganz langsam zu begreifen, was Quote ist, was Zuschauermilieu wäre, was Audience Flow, was Kultigkeit.

Nie konnte die deutsche Gesellschaft ihre Differenziert und ihre Schicksalshypotheken so vergessen wie bei diesem Herzensschauspieler und charmanten Freizeitfernsehstar, der später in vielen Rollen als Bücherwurm, Gute-Nacht-Geschichten-Leser durchs Programm segelte.

Ach Uschi, habe ich mal geschrieben, kämst du noch mal so schön wie damals ins Wohnzimmer.

Jetzt weiß ich, dass das nie geschehen wird. Fernsehen ist Augenblick. Jörg Pilawa wird das wissen.

„Einer wird gewinnen“, ARD, Samstag, 20 Uhr 15

Nikolaus von Festenberg

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