"Unsere Mütter, unsere Väter": „Wir führen sie durch die Hölle“
ZDF-Fiction-Chefin Heike Hempel über den Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, darüber, was der Film bei jungen Zuschauern bewirken soll und warum der Film eine brutale Wirklichkeit zeigt.
Frau Hempel, wie sind die bisherigen Reaktionen auf „Unsere Mütter, unsere Väter“?
Da müssen Sie vielleicht eine unbeteiligte Person fragen. Wenn man acht Jahre an einem Projekt arbeitet, geht doch die Distanz verloren, aber so weit ich sehen kann, sind die Reaktionen sehr gut und sehr bewegend.
2006 hat das ZDF den Zweiteiler „Dresden“ gezeigt, 2013 zeigt der Sender den Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Steckt da ein gewollter Rhythmus zum Thema „Zweiter Weltkrieg“ drin?
Ein Projekt führt zum nächsten. Nach „Dresden“ sagten und schrieben viele Zuschauer, sie hätten in den Familien zum ersten Mal oder zum ersten Mal vertieft über diese Zeit, die Bombennächte und die Angst gesprochen. Also hatten der Produzent Nico Hofmann, der Autor Stephan Kolditz und ich die Idee, noch einmal vom Zweiten Weltkrieg zu erzählen, aber ganz anders. Ganz klar und radikal aus der Sicht der Menschen, die damals, also 1941 jung, 20 Jahre alt waren. Wir wollen amerikanisch erzählen, also ganz nah an den Figuren, hart und schonungslos in der Darstellung. In der Zwischenzeit waren wir ja auch nicht untätig gewesen, ich erinnere an „Schicksalsjahre“ oder „Neger, Neger, Schornsteinfeger“. In all diesen Fällen haben wir die Geschichten von kleinen Leuten, Namenlosen in der großen Geschichte erzählt.
Über 67 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen, fast ein Menschenleben. Worauf kann man da im Publikum, bei den jungen bis zu den älteren Zuschauern, rechnen? Was setzen Sie voraus?
Fernsehen für ein großes Publikum von zwölf bis 99 Jahren stößt auf ganz unterschiedliches Wissen, auf einen unterschiedlichen Erfahrungsstand. Was aber auf allen Ebenen anzutreffen ist: Interesse an Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben und davon erzählen können. Fast jede deutsche Familie wurde davon berührt und mittelbar auch jene, die erst später zugezogen sind. Unser Dreiteiler kann helfen, das Gespräch in Gang zu bringen.
Wenn Jugend 2013 die Generation ihrer Großeltern im Dreiteiler erlebt, wohin genau soll der Blick gelenkt werden?
Wer jetzt jung ist, soll die Perspektive von damals einnehmen können. Wenn sich die fünf jungen Menschen im Sommer 1941 treffen, dann heißt ihr Erlebnisraum nicht „Zweiter Weltkrieg“, sondern die paar Wochen und Monate, die vor ihnen liegen. Schon an Weihnachten, nach dem Sieg und im Frieden, wollen sie sich wieder treffen. Der Film erzählt, dass und wie es anders kam.
Die drei Teile des aktuellen Dreiteilers heißen: „Eine andere Zeit“, „Ein anderer Krieg“, „Ein anderes Land“. Müsste es, da es um fünf Freunde und ihre fünf Wege durch den Krieg geht, nicht heißen: „Ihre Zeit“, „ihr Krieg“, „ihr Land“?
Ihre Vorschläge wären der direktere Angang. Aber das haben wir ja schon im Titel: „Unsere Mütter, unsere Väter“.
Funktioniert ein Antikriegsfilm am besten, wenn er als Kriegsfilm gedreht worden ist?
Unser Film ist ein Antikriegsfilm, indem er den Krieg erzählt. Wir zeigen Gewalt, unsere Darstellung ist aber sehr genau und sehr klar, sie ist nicht spekulativ.
Trotzdem: Gibt es nicht mehr als eine Szene, die auch zeigt: Guckt mal hin, das ZDF kann Krieg, Gemetzel und Grausamkeit so authentisch wie möglich ausstellen? En gros, en détail fehlt nichts.
Sie müssen auch darauf achten, was wir nicht zeigen! Außerdem haben wir mit Philipp Kadelbach sehr bewusst einen Regisseur ausgewählt, der aus der Werbung kommt und sehr auf Wirkung abzielt, gleichzeitig nah an den Figuren bleibt und, was die Bildsprache angeht, sehr kinohaft und heutig erzählt. Die Alternative dazu wäre eine distanziertere Erzählweise gewesen – Geschichte von oben gewissermaßen. Das aber haben wir schon lange genug gemacht.
Der Film, speziell die Kamera kennt keine Distanz beim Erzählen. Die Bilder sind unmittelbar, sie sind wuchtig. Und damit sind sie auch faszinierend. Eine Gefahr?
Nein, wir erzählen, dass diese fünf Figuren scheitern, zugrunde gehen. Wir führen sie durch diese Hölle mit der ganzen Ambivalenz zwischen den Träumen, den Zielen und der brutalen Wirklichkeit.
Was fehlt denn noch im ZDF-Programm zum „Dritten Reich“?
Es ist ein Programm über die Menschen in dieser Zeit, das ist schon ein Unterschied. Als Nächstes ist vielleicht die Elterngeneration, sind die repressiven 60er Jahre dran, um von da aus wieder auf den Zweiten Weltkrieg zu kommen.
Ist das nicht auch erstaunlich? Das ZDF kriegt ausgezeichnete Mehrteiler und Einzelfilme hin, aber bei der Serie wird nur biedere Konfektion geboten.
Der Vorwurf ist ja nicht neu und der Vergleich mit den hochgerühmten US-Serien ist naheliegend. Wobei man hier auch nur die einzelnen Spitzen kennt und nicht die sehr durchschnittliche Masse des Angebots. Im deutschen Fernsehen ist das einzelne TV-Movie, sind die Mehrteiler die Königsdisziplin.
Ach, wir müssen die Mehrteiler nur als Serie sehen – und schon ist das Serienelend aus der Welt?
Sie kommen der Wahrheit ganz nahe. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn unsere Serien weiterhin besser werden. Wir tun auch einiges dafür. Aber darüber sollten wir uns noch einmal gesondert unterhalten. Man darf aber nicht vergessen, dass wir nicht wie ein Bezahlsender, wie HBO oder ein kommerzielles Angebot wie Netflix arbeiten, sondern für alle Zuschauer, nicht nur für die gut verdienenden Stadtbewohner.
… der Volkssender ZDF hat einfach zu viele Zuschauer …
… Wir müssen schon für ein möglichst großes Publikum arbeiten. Das sind hier unsere Spielregeln. Ich stimme ihnen aber zu, dass die Innovationskraft in der deutschen Serie zu gering ist. Warum gibt es nicht einen stärkeren Austausch zwischen der Serie und dem Fernsehfilm? Anfänge sind im ZDF gemacht, siehe „Letzte Spur Berlin“ oder „Heldt“. Da sehe ich Bewegung. Daneben ist die große Frage: Wie sieht die Familienserie 2.0 aus? Darauf haben wir bisher keine befriedigende Antwort. Übrigens ja nicht nur im ZDF. Wenn das ZDF mit seiner langen Tradition – von der „Schwarzwaldklinik“ bis zu den „Girl friends“ – darauf keine Antwort findet, wer dann?
Schwarzwaldklinik 2.0 oder Charly 4.0?
Warum nicht? Ich würde es mir ansehen.
Das Gespräch führte Joachim Huber.
Heike Hempel ist
Leiterin der
Hauptredaktion
Fernsehfilm/Serie II beim ZDF.
Joachim Huber