Journalisten in der Türkei: Willkürliches Sperrgebiet
Die Lage für Journalisten in der Türkei ist angespannt. Schuld daran ist auch Erdogans Propaganda.
Es beginnt mit einem Krankenwagen, der früher einmal ein roter VW-Bus war. Im syrischen Aleppo soll er Helfern zur Versorgung von Verwundeten dienen. Die drei Fotojournalisten Ruben Neugebauer, Björn Kietzmann und Chris Grodotzki begleiten das Hilfsprojekt, um es zu dokumentieren. An der türkisch-syrischen Grenze wird der Bus einem Hilfskonvoi übergeben, Neugebauer, Kietzmann und Grodotzki bleiben dort zurück. Noch im vergangenen Jahr bereisten sie die Region um Aleppo, jetzt ist es ihnen zu gefährlich. Lieber wollen sie in der Osttürkei über die Hintergründe zum Kampf um Kobane und zu den kurdischen Protesten entlang der Grenze recherchieren.
Zwischen der türkischen Stadt Suruc und der syrischen Grenze liegen Hügel, von denen aus sich die Kämpfe um Kobane relativ gut beobachten lassen. Die meisten ausländischen Reporter drehen dort, fotografieren. Neben ihnen sitzen einheimische Lokaljournalisten ebenso wie Angehörige von kurdischen Kämpfern, die gerade in Kobane sind. Es ist ein bunt gemischter Haufen. Journalisten können dort oft unbehelligt arbeiten – bis das türkische Militär vorfährt. Und plötzlich mit Tränengas schießt.
"Der einfache Polizist von der Straße" glaubt Erdogan
Die Situation für Reporter vor Ort ist vor allem eines: undurchsichtig. Immer wieder gibt es Militär-Checkpoints, die die Weiterfahrt verbieten. Andere Straßen, auf denen man viel näher an die Front herankommt, sind dagegen unblockiert. Gebiete werden willkürlich zu Sperrzonen erklärt; ob man sich in einer befindet, weiß man oft erst, wenn es zu spät ist.
Neugebauer, Kietzmann und Grodotzki fahren weiter nach Diyarbakir, eine Stadt, in der es in den Tagen zuvor zu Ausschreitungen gekommen ist. Oft waren die Auslöser dafür Beerdigungen von kurdischen Kämpfern, die bei Kobane gefallen waren. Als die drei Reporter dort ankommen, ist es vergleichsweise ruhig. Was sie noch nicht wissen: Nur einen Tag zuvor hatte der türkische Präsident Erdogan eine Rede gehalten, in der er Journalisten für die Unruhen in der Türkei verantwortlich machte – pauschal. Später erklärt ihnen ein leitender türkischer Beamter: „Der einfache Polizist von der Straße glaubt das natürlich.“
In Diyarbakir werden die drei Journalisten plötzlich verhaftet, wobei sie sich bis heute nicht sicher sind ,„ob das Polizisten waren oder irgendein Schlägertrupp“. Wieder: Unklarheit. Die Deutschen haben nur das Glück, sich zu Hause abgesichert zu haben: Ein Back-Office mobilisiert kurz nach ihrer Verhaftung die Deutsche Botschaft und die Medien. Wenige Stunden später weiß deshalb halb Deutschland Bescheid, der internationale Druck auf die Türkei ist groß. Was die einfachen Polizisten vor Ort zunächst nicht beeindruckt: „Mein Handy klingelte, der deutsche Konsul war dran. Ein Polizist riss es mir aus der Hand, schrie ihn an und legte einfach auf“, sagt Neugebauer. Erol Önderoglu, der Türkei-Korrespondent von „Reporter ohne Grenzen“, glaubt kaum, dass dieses Verhalten Folgen für den Beamten hat. Egal, wie hart Polizisten gegen Reporter vorgehen, die Fälle würden meist nicht einmal untersucht.
Der türkische Staatsanwalt sucht noch nach Beweisen
Der Staatsanwalt fragt, ob die Reporter BND-Spione oder PKK-Anführer seien. Seien sie nicht, sagen sie; kurze Zeit später dürfen sie ausreisen. Die Abschiebung, von der zunächst die Rede war, ist vom Tisch. Nach letztem Stand sucht der türkische Staatsanwalt aber immer noch nach Beweisen. Würden Neugebauer, Kietzmann und Grodotzki in der Türkei verurteilt, könnten sie nicht mehr dort arbeiten, da sie bei einer Einreise eine erneute Inhaftierung befürchten müssten.
Anderen Journalisten in der Türkei geht es noch wesentlich schlechter: etwa einheimischen Reportern, für die sich kaum jemand interessiert. „Als wir entlassen wurden, lag im Flur der Polizeistation schon die nächste Fernsehkamera“, sagt Neugebauer. „Wem die gehört, wissen wir nicht.“
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