Claas Relotius und die Folgen: Wie sich die Medien seit dem Skandal verändert haben
Ein Jahr nach der Fälschungsskandal um Ex-Reporter Claas Relotius wird nicht nur beim „Spiegel“ anders gearbeitet. Ein Überblick.
Das Jahr 2018 neigte sich schon langsam dem Ende zu, als das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit einem Fälschungsskandal an die Öffentlichkeit ging. Dieser sollte die gesamte Medienbranche erschüttern. Der bis dahin renommierte und mit vielen Preisen überhäufte „Spiegel“-Autor Claas Relotius erfand immer wieder Szenen, Gespräche und Ereignisse. Das Magazin in Hamburg arbeitete den Fall in einer aufwendigen Dokumentation auf und arbeitet derzeit noch an neuen Standards. Es gab auch personelle Konsequenzen. Wie haben andere Redaktionen in Deutschland auf den Fall Relotius reagiert?
Eine Umfrage unter mehreren Medien ergab dieses Bild: Es gibt mehr Faktenchecks. Redaktionelle Standards wurden überarbeitet. Leitfäden entstanden oder entstehen gerade. Der Chefredakteur der überregionalen „Süddeutschen Zeitung“, Wolfgang Krach, betont: „Angestoßen durch den Fall Relotius haben wir das Prüfen von Fakten nochmals deutlich verstärkt – unabhängig davon, wie bekannt die Autorin oder der Autor der jeweiligen Redaktion sind.“
Auswahl per Zufallsgenerator
Bei der Wochenzeitung „Zeit“ und „Zeit Online“ setzte man sich nach Bekanntwerden des Falls Relotius in größerer Runde zusammen, um über mögliche Folgen zu diskutieren, wie der Chefreporter der „Zeit“-Chefredaktion, Stefan Willeke, erläutert. Eine Arbeitsgruppe arbeitete neue Regeln aus, die für die Mitarbeiter bindend sind. Willeke betont auch: „Seit Juli dieses Jahres werden Überprüfungen einzelner Artikel bei ,Zeit‘ und ,Zeit Online‘ regelmäßig vorgenommen, einmal im Monat.“ Die Beiträge werden von einem Zufallsgenerator ausgewählt, kein Autor sei davon ausgenommen.
Als Folge aus dem Fall Relotius arbeitet auch der WDR an einem Papier – „10 Grundsätze zur Glaubwürdigkeit“. Es soll ein bestehendes Grundsatzpapier zur investigativen Berichterstattung ergänzen, wie es beim Sender heißt. Ein Punkt aus dem Papier: Dokumentation und Transparenz des Rechercheweges mit Nennung der Quellen und Kennzeichnung von Archivmaterial, ob vor Ort recherchiert wurde oder nicht.
Der Fälschungsskandal beim „Spiegel“ hatte beim ZDF keinen Einfluss auf bestehende Grundsätze und Transparenzangebote, auch wenn in Mainz betont wird, dass es unerlässlich sei, journalistische Standards regelmäßig zu überprüfen und Ideen zu diskutieren.
Bei der überregionalen „tageszeitung“ („taz“) in Berlin gab es laut Chefredakteur Georg Löwisch Diskussionen nach dem Fall, sowohl intern als auch mit Gästen. Eine Folge: „Zum Beispiel haben wir 2019 in vielen Reportagen und Reports der Quellentransparenz mehr Raum eingeräumt. Effekt: Sie werden länger, lesen sich mitunter auch mal sperrig. Aber die entsprechenden Passagen ermöglichen es den Leserinnen und Lesern, unsere Wege nachzuvollziehen.“
Beim Hamburger Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr, der unter anderem das Magazin „Stern“ im Portfolio hat, erläutert eine Sprecherin zu Folgen aus dem Fall Relotius: „Wir haben unsere Abläufe in der Dokumentation genau angeschaut und unsere ohnehin hohen Qualitäts- und Sorgfaltsstandards noch weiter geschärft.“
Nicht nur Printmedien betroffen
Nach dem Relotius-Skandal gab es weitere unterschiedlich gelagerte Beispiele, bei denen Autoren manipuliert haben. Die Fälle beschränkten sich nicht auf Printmedien. RTL-Chefredakteur Michael Wulf verweist auf einen Fall in seinem eigenen Hause, wonach ein Reporter jahrelang getäuscht und Beiträge manipuliert habe. „Daraufhin haben wir unsere Abnahmeverfahren noch einmal deutlich ausgebaut und weitere Maßnahmen eingeleitet.“
Die Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien erwähnt weitere Beispiele: „Eine Autorin hat auch in einem unserer Programme eine Geschichte nachweislich erfunden.“ Und ein Autor habe auf andere Weise betrogen. Er sei nicht am Ort des Berichtsgeschehens gewesen, sondern habe seine Anwesenheit durch Reportageelemente lediglich vorgetäuscht. Wentzien betont, dass in der Folge ein programmübergreifender Prozess angestoßen worden sei, in dem auch das „Journalistische Selbstverständnis“ überarbeitet werde.
Der Fall Relotius wird weiter beschäftigen. Unlängst wurde bekannt, dass Claas Relotius gegen ein Buch von Juan Moreno vorgeht. Darin beschreibt dieser, wie er das Vorgehen seines Ex-Kollegen enttarnte.Anna Ringle, dpa
Anna Ringle
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