Bedrohte Pressefreiheit: Wie Orbán die Medien auf Linie bringt
In Ungarn verschwindet nach und nach die Meinungsvielfalt. Ganze Medienunternehmen wechseln unter die Kontrolle einer regierungsnahen Stiftung.
Ein Medieneigentümer übergibt sein ganzes Medienportfolio von einem Tag auf den anderen als Spende einer Stiftung, in deren Kuratorium ehemalige und aktive Abgeordnete der Regierungspartei die Mehrheit haben. In Deutschland wäre das ein unvorstellbares Szenario, in Ungarn ist das die Realität. Ende November wurden die Medienkonzentration und die politische Kontrolle der Regierungspartei Fidesz über wichtige Privatmedien manifester denn je: Der regierungsnahe Geschäftsmann Lörinc Mészáros gab bekannt, dass er sein Medienportfolio der vor Kurzem gegründeten Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung übergibt.
Die Stiftung verkündete sogleich, dass sie seit November 2018 an zehn weiteren Medienunternehmen Allein- oder Mehrheitseigentümer sei: Deren Eigentümer, ebenso regierungsnahe Geschäftsleute, haben ihre Firmen schon in die Stiftung eingebracht. Auch der frühere sozialistische Politiker László Puch, Eigentümer der letzten kritischen Tageszeitung „Népszava“, verzichtete auf die Wochenzeitung „Szabad Föld“ – er hat sie der Firma von Lörinc Mészáros verkauft.
Im Kuratorium der neuen Medienstiftung sitzt auch ein Parlamentsabgeordneter der Fidesz, Istvan Bajkai. Andere Mitglieder sind der Anwalt Istvan Varga, bis 2014 Parlamentsabgeordneter der Fidesz, und der Jurist Miklós Szánthó, der das regierungsfreundliche Forschungsinstitut Zentrum für Grundrechte leitet.
Nickt das Kartellamt die Stiftung ab, wird sie Eigentümerin aller regionalen und dreier überregionaler Tageszeitungen, zweier überregionaler Fernsehsender, mehrerer Radiosender und zahlreicher Magazine und Onlineportale sein. Der Deutsche Journalisten-Verband forderte die EU-Kommission auf, die Versuche der ungarischen Regierung, die Freiheit der Medien und den Pluralismus einzuschränken, „als schwerwiegenden und systematischen Machtmissbrauch zu behandeln“.
Medien an der kurzen Leine
Große Veränderungen in den Inhalten der regierungsnahen Medien sind nicht zu erwarten – schon lange sind sie eintönig. Meistens geht es um die Feinde, die Ungarn umzingeln: um die EU, um Zivilorganisationen, die vom Ausland finanziert werden, insbesondere um den US-Geschäftsmann und Mäzen George Soros.
Der Himmel auf Erden war das ungarische Mediensystem nie; direkt oder indirekt waren die Eigentümer zahlreicher Medien mit Parteien verbunden. Jetzt ist aber die öffentliche Diskussion politischer Probleme in Ungarn mausetot. Die wichtigsten Traditionszeitungen erscheinen schon lange nicht mehr.
2016 wurde die linke Tageszeitung „Népszabadság“ dichtgemacht, 2018 die konservative Tageszeitung „Magyar Nemzet“, die Fidesz gegenüber kritisch eingestellt war – Grund dafür war ein Streit zwischen Ministerpräsident Viktor Orbán und dem Eigentümer, Lajos Simicska, zuvor ein langjähriger Vertrauter Orbáns. Nach dem erneuten Wahlsieg der Regierungspartei entschied Simicska, das Blatt einzustellen und den Privatsender HírTV zu verkaufen.
Die Regierung Orbán tut alles dafür, die Presse mit wirtschaftlichen und rechtlichen Mitteln an der kurzen Leine zu halten. Mit der 2014 eingeführten Werbesteuer kann sie die Medienhäuser und deren Eigentümer unter Druck setzen. Der Staat und die öffentlichen Unternehmen treten als Werbekunden auf dem Markt auf, und sie finanzieren Zeitungen – im Wesentlichen diejenigen, die regierungstreu berichten. Presseanfragen der unliebsamen Medien werden systematisch ignoriert.
Rettung durch Spenden
Einige Redaktionen versuchen neue Überlebensstrategien zu entwickeln. Die Investigativplattform Atlatszo.hu finanziert sich aus Spenden heimischer und ausländischer Stiftungen und von Lesern. Die Redaktion des größten Online-Nachrichtenportals Index.hu wandte sich ebenfalls an die Öffentlichkeit: Nach Veränderungen in der Eigentümerstruktur macht sie sich Sorgen um die finanzielle Unabhängigkeit und sammelt Spenden.
Die ehemaligen Redakteure der Tageszeitung „Magyar Nemzet“ haben im April 2018 das Wochenblatt „Magyar Hang“ gegründet. Die ersten Ausgaben wurden mit Spenden finanziert. Die 9000 verkauften Exemplare pro Woche zeigen, dass es in Ungarn den Wunsch nach unabhängiger Berichterstattung gibt.
Abends funktioniert die kleine Redaktion als Fernsehstudio. Die ehemaligen Mitarbeiterinnen des Privatsenders HírTV laden zu Studiodiskussionen ein, die auf Youtube und Facebook Woche für Woche Zehntausende Zuschauer verfolgen. Die Gründer stehen vor großen Herausforderungen: Sie müssen Finanzierungsmodelle für die neuen Medienformate finden und etablieren.
Die Autorin hat von 2008 bis 2018 für die Tageszeitung „Magyar Nemzet“ gearbeitet. Sie ist Mitbegründerin der Wochenzeitung „Magyar Hang“.
Kornélia R. Kiss