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Gegen die Isolation. Gerade einmal 50 Dollar kostet das tragbare Abspielgerät „Notel“ – und ist für viele Nordkoreaner doch so viel mehr wert.
© REUTERS

"Notel": Wie Nordkoreaner aus der medialen Isolation ausbrechen

Das tragbare Gerät ist eine Mischung zwischen "Notebook" und "Telefon": Mit dem „Notel“ können Nordkoreaner westliche Medien empfangen – und das mittlerweile sogar legal.

Es ist Winter, der Schüler Joon-sang sitzt im Bus auf dem Weg in die Schule, neben ihm seine Klassenkameradin Yoo-jin. Sie schläft ein, und ihr Kopf landet auf seiner Schulter. Joon-sang schaut sie an, eine große Liebe beginnt, und damit die TV-Seifenoper „Winter Sonata“. Sie wurde in der Nähe von Seoul in Südkorea gedreht und hat in ganz Asien Erfolg – sogar in Nordkorea, wie jetzt bekannt wurde.

Seit Dezember vergangenen Jahres ist dort nämlich das Gerät „Notel“ offiziell für jeden Haushalt erlaubt, wie die Nachrichtenagentur Reuters in Seoul berichtet. Sein Name „Notel“ setzt sich zusammen aus „Notebook“ und „Telefon“, es sieht einem Laptop sehr ähnlich. Es kann sowohl DVDs als auch USB-Sticks und SD-Karten lesen und gelangte in den vergangenen Monaten über China nach Nordkorea. Eine Fabrik in Guangzhou stellt sie inzwischen allein für Nordkorea her. Der Staat kam gegen die Übermacht der auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Geräte nicht mehr an, seitdem müssen sie nur lizensiert sein und auf das nordkoreanische Fernsehen eingestellt. In jedem zweiten nordkoreanischen Haushalt sollen solche Geräte aktuell zu finden sein. In China gilt das „Notel“ längst als veraltet, aber zwei Dinge machen es für den nordkoreanischen Markt geradezu perfekt: der Preis von nur 50 US-Dollar und eine Batterie.

Nutzung ist unabhängig vom Stromnetz

Sokeel Park von der Menschenrechtsorganisation „Link“ in Seoul beschäftigt sich seit Jahren mit Nordkorea und sieht in dem Gerät einen großen Schritt in Richtung Öffnung des Landes. „Das Notel kann sogar an der Autobatterie aufgeladen werden“, sagt Park, „und in einem Land, das immer wieder Stromversorgungsprobleme hat, macht es den Zugang zu Medien erstmals unabhängig vom Stromnetz.“ Vor allem unter jungen Nordkoreanern sei zudem ein reger Austausch von verbotener Musik und Filmen aus Südkorea zu beobachten, „Winter Sonata“ oder „My Love From the Star“ aber auch US-Filme oder Nachrichten.

„Die SD-Karten sind so klein und dünn, dass sie sich praktisch überall verstecken lassen“, sagt Park. Von nordkoreanischen Flüchtlingen habe er erfahren, dass manche TV-Serien sogar kurz nach ihrer Erstausstrahlung in Südkorea schon im Norden verfügbar sind. „Nordkorea ist längst nicht mehr das isolierte Land, als das es immer gesehen wird.“

"Beamte nehmen lieber ein Bestechungsgeld an"

Der britische Korea-Experte Daniel Tudor sieht in dem neuen Gerät mehr als nur ein Unterhaltungsmedium. „Es zeigt auch eine Veränderung im Verhalten der Menschen an“, sagt er, „weil sie plötzlich bereit sind, Regeln des Regimes zu brechen und sich selbst Zugang zu ausländischen Medien zu verschaffen.“ Tudor hat gerade zusammen mit seinem Kollegen James Pearson unter dem Titel „North Korea Confidential“ ein Buch über das junge Nordkorea veröffentlicht. Dort beschreiben sie, wie sehr westliche Lebensweisen Einzug gehalten haben. „Das geht einher mit der immer größeren Wahrscheinlichkeit, dass Beamte lieber ein Bestechungsgeld annehmen, als jemanden wegen Medienkonsums festzunehmen.“

Lange Zeit hat das Regime geschafft, Informationen von der Bevölkerung fernzuhalten. Propaganda gaukelt im Fernsehen eine alternative Wirklichkeit vor – zum Beispiel, dass Südkorea ein armes Land sei und Kim Jong-Un im Ausland respektiert. Aus Angst vor Bestrafung sowie dem fehlenden Zugang haben Nordkoreaner alternative Medien über Jahre nicht konsumiert. „Die Regierung“, so Tudor weiter, „brauchte aber die Isolation, um sich zu legitimieren.“ Jetzt, wo es diese nicht mehr gibt, sind viele Beobachter gespannt, wie die Bevölkerung mit dem Spagat zwischen offizieller Doktrin und Wirklichkeit umgeht. Sokeel Park: „Zumindest muss das Regime auf diese neuen Entwicklungen reagieren.“

Weder Daniel Tudor noch Sokeel Park rechnen aber trotz Zugang zu modernen Seifenopern, Nachrichten und Musik nicht mit einem Umbruch in nächster Zeit. „Aber wenn“, sagt Park, „dann wohl eher nicht in Pjöngjang, wo die Bewohner stark kontrolliert werden.“ Er vergleicht es mit Leipzig, Brutstätte des ostdeutschen Widerstands, bei dem auch Zugang zu West-Medien eine Rolle spielte. „Gerade die mittelgroßen Städte Chongjin und Hyesan nahe der chinesischen Grenze haben am längsten Zugang zu westlichen Informationen.“ Von dem aber, was dort gerade wirklich passiert, dringt nach wie vor so gut wie nichts nach draußen.

Sören Kittel

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