TV-Talk "Anne Will" zu Populismus: Wie eine Diskussion von Abstinenzlern über Alkoholismus
Bei Anne Will debattierte eine Runde von Nicht-Populisten über Populismus. Schade. Denn so gab es viel Konsens und zu wenige Gedanken über Begriffe.
Eine Talkshow kann ja auch ein Testlabor sein, wenn bei „Anne Will“ gefragt wird: „Klare Kante statt leiser Töne – Bekämpft man so den Populismus?“ Es ging um Haltungen, um Werte, um Politik. Die Redaktion hatte dafür ein Ensemble von Nicht-Populisten eingeladen: Olaf Scholz, SPD-Bürgermeister von Hamburg, den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, Ska Keller, die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, „Welt“-Europakorrespondent Dirk Schümer, schließlich den früheren FDP-Innenminister Gerhart Baum.
Der Runde gelang es, in durchaus beeindruckender Weise, darzulegen, warum „wir in keinen Beleidigungs-Wettbewerb eintreten sollten“ (Röttgen), warum Deutschland die Opposition in der Türkei gegen das Referendum unterstützen sollten (Baum), warum sich deutsche Politik und Gesellschaft nicht die Agenda von Populisten aufdrücken lassen sollten (Scholz). Klare Kante, Draufhauen, Einreiseverbote, das wäre die einfache Nummer, im Ergebnis ein Kapitulieren vor der Kompliziertheit von Politik.
Einfluss, nicht Wahlergebnisse
Moderatorin Anne Will fragte immer wieder zu Recht, ob die Haltung gegenüber der Türkei nicht verdruckst wäre. Sie wollte, wenn schon nicht klare Kante, so doch klare Aussagen von ihren Gästen. Aber, und das war bemerkenswerter Konsens, dass auf Erdogans Nazi-Provokationen nicht mit generellen Auftrittsverboten für türkische Politiker geantwortet werden soll.
„Welt“-Korrespondent Dirk Schümer war die Anmerkung vorbehalten, dass, siehe Niederlande oder Dänemark, der Populismus seine Siege nicht in grandiosen Wahlresultaten erringt, sondern in seinem wachsenden Einfluss auf andere Parteien und deren Politik. Ist der SPD-Messias Martin Schulz nicht in Teilaussagen ein Populist, reflektiert die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition nicht längst AfD-Forderungen?
Wir sind die Guten
Erklärte Populisten waren keine im Studio. Schade, denn eine Begriffsklärung wäre notwendig gewesen. Was ist Populismus? Nationalismus, Islamkritik, überhaupt einfache Antworten auf komplexe Fragen? Brexit, Trump, Wilders, Le Pen und schließlich die AfD? Vielleicht ist der Populismus nur eine Welle, auf der die Nicht-Populisten prächtig surfen können?
Die Runde machte sich da keine Gedanken, weil sie sich keine Gedanken machen musste. Wir sind die Guten, wir sind die Besseren.
Möglich, dass diese Kritik an dieser von Anne Will mit guter Laune moderierten Runde vorbeigeht. Möglich, dass sich die Gutwilligen, die Liberalen, die Fans des zweiten und des dritten Gedankens zuweilen ihrer Positionen versichern müssen. Möglich, dass wir, wie Olaf Scholz anmerkte, in Deutschland mit den Populisten besser zurechtkommen. Alles schön möglich, weil alles möglichst schön? Trotzdem kommt mir eine Talkrunde zum Populismus ohne Populisten vor wie ein Gesprächskreis von Abstinenzlern zum Alkoholismus.