„Anne Will“ zur Krise der Parteien: Wenn Baerbock und Söder Seite an Seite argumentieren
Der Eklat von Thüringen war Thema bei Anne Will. Was hält das Land noch zusammen? CSU-Chef Söder und Grünen-Chefin Baerbock finden Gemeinsamkeiten.
Die Thüringen-Krise hat die Bundespolitik erreicht – das war die nicht so richtig überraschende Ausgangsthese bei Anne Will am Sonntagabend. Die CDU-Vorsitzende will nicht mehr, nicht als Vorsitzende und auch nicht als Kanzlerkandidatin. Wie geht’s weiter mit der Union, wie geht’s überhaupt weiter mit Deutschland? Eine spannende Frage am Abend nach der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der im großen, internationalen Rahmen ja auch dieses Thema anstand: Deutsche Politik im Krisenmodus, was hält das Land zusammen?
Antwort geben sollten Markus Söder, Vorsitzender der CSU und Ministerpräsident von Bayern; Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD; Annalena Baerbock, eine der zwei Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, und Gerhard Baum, FDP, Bundesinnenminister a. D. Als journalistischen Co-Partner hatte sich Anne Will Giovanni di Lorenzo, den Chefredakteur der Zeit und Mit-Herausgeber des Tagesspiegels, erkoren. Nehmen wir das vorweg: eine kluge Wahl.
Und die Politiker? Auf die Gefahr hin, als frauenfeindlich eingestuft zu werden: Saskia Esken machte es sich am schwersten in der Runde. Erst seit zwei Monaten ist sie eine der beiden SPD-Vorsitzenden, aber wenn man, mit immerhin etwas mehr als sechs Jahren Bundestagserfahrung, die traditionsreichste deutsche Volkspartei in einer solchen Sendung präsentiert, muss man schon etwas mehr bieten als die erwartbare Warnung vor den Rechten.
Steht der 87-jährige Baum für die Hoffnung einen neuen FDP-Kurs?
Überhaupt nicht erwartbar war Gerhart Baum als Repräsentant der FDP. 87 Jahre alt, von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister in der Regierung von Helmut Schmidt, also seit fast vier Jahrzehnten aus dem politischen Tagesgeschäft raus, aber immer noch eine der Symbolfiguren, zusammen mit Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für jenen linksliberalen Flügel der Freien Demokraten, der sich engagiert für den Schutz der Bürgerrechte einsetzte und staatlichen Überwachungen äußerst ablehnend gegenüber stand. Wenn Anne Will diesen Mann für die FDP einlädt, dann ist das ein doppeltes Signal: Hat aus der heutigen FDP-Spitze niemand kommen wollen oder sollen, und steht Baum für eine (wessen?) Hoffnung auf einen neuen Kurs der Liberalen?
Annalena Baerbock, die Co-Vorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, war quasi gesetzt, und nutzte ihre Chance konsequent, wenn sie einmal auf der Tonspur war. Applaus, völlig zu Recht, bekam sie für ihre Deutung, dass es nicht um eine Systemkrise gehe, weil die Zivilgesellschaft das Land zusammengehalten habe, denn ohne den spontanen und unüberhörbaren Protest gegen den politischen Zivilisationsbruch der Abstimmung im Thüringer Landtag hätten die Selbstreinigungskräfte in den – demokratischen - Parteien nicht so schnell die Konsequenzen gezogen.
Söder findet das Dogma der CDU absurd
War es eine Überraschung oder erwartbar, dass sich Baerbock argumentativ Seite an Seite mit dem vierten Politiker in der Runde, mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fand? Dieser Söder nämlich, ja auch noch Chef der CSU, und einer der potentiellen Kanzlerkandidaten der Union, zeigte knallhart auf, wie absurd das bisherige offizielle Dogma der CDU ist, wonach zur Linken und zur AfD gleicher Abstand zu wahren sei, nach der Devise, beides sei des Teufels, wo man doch selbst näher am Weihwasser lebe. Söder sagte, man müsse im Osten anders denken als im Westen (das sagte übrigens auch di Lorenzo), und man müsse eben ein klares Nein zur AfD sagen.
Später schärfte Söder das auch noch an, als er betonte: Man könne doch die DDR nicht mit den Nationalsozialisten gleichsetzen. Da fand er sich zusammen mit Annalena Baerbock, die die in der CDU immer noch wie ein Mantra herumgetragene Hufeisen-Theorie für Quatsch erklärte, wonach sich in den Extremen die Linken und die Rechten fast berührten, während die „Guten“ in der Mitte gleiche Distanz wahrten….
Hätte Anne Will den Bayern noch ein bisschen reden lassen, wäre am Ende vielleicht eine Handreichung für den künftigen Kanzlerkandidaten der Union und die ihn tragenden Parteien herausgekommen. Aber wer genau bei Markus Söder zuhörte, fand auch so noch einen Richtungshinweis: Die CDU brauche einen progressiven Ansatz, und keinen Rückfall ins Deutschland von gestern.