Recht auf Vergessen: Weniger Löschen ist mehr
Deutsche Netz-Experten, Juristen und Verbraucherschützer beklagen bei der öffentlichen Sitzung des Google-Löschbeirates in Berlin die Nachteile des „Recht auf Vergessen“. Besser hätte es auch Google nicht formulieren können.
Berlin – Besser weniger löschen als zu viel, so lautete der Rat der Experten bei der öffentlichen Sitzung des Google-Löschbeirats am Dienstag in Berlin. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai können EU-Bürger die Entfernung von Suchmaschinenergebnissen beantragen, wenn ihr Name zu der Suchanfrage gehört. Bislang hat es dazu europaweit rund 147 000 Anträge zum Recht auf Vergessen gegeben, die sich auf insgesamt 498 800 Internetseiten bezogen haben. Google hat in 42 Prozent der Fälle die Einträge entfernt. „Bei einen verurteilten Pädophilen oder bei einem Skandal eines Politikers ist die Entscheidung, die Links nicht zu löschen, einfach“, sagte Schmidt. „Dagegen lässt sich schwer entscheiden, wann eine Strafe verbüßt ist oder wie bei freiwillig gemachten Informationen gehandelt werden soll“, sagte Schmidt und beklagte zu vage Formulierungen im EuGH-Urteil.
In Madrid, Rom, Paris und Warschau hatte es zuvor schon Sitzungen des Löschbeirates gegeben. Dem Rat gehören unter anderem die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Frank LaRue als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit an. Nach Berlin wird das achtköpfige Gremium noch in London und Brüssel mit nationalen Experten und mit der Öffentlichkeit über die Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil reden. Von der 7-Städte-Tour des Experten-Beirates erhofft sich Google Grundsätze und Leitlinien bei diesen Entscheidungen, die dann Anfang 2015 veröffentlicht werden sollen.
ROG: Die Informationsfreiheit ist gefährdet
„Die Bürger müssen Informationen frei beziehen können, fordert Matthias Spielkamp von der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG). „Doch dieses Recht wird durch das EuGH-Urteil eingeschränkt“, warnt er und fordert ein Lösch-Moratorium, bis die rechtlichen Probleme ausgeräumt sind. Zudem sei es sehr schwierig, die Grenze zwischen privaten und öffentlichen Personen zu ziehen, wie es das Gericht vorsieht. In der Praxis sollte bei den Löschentscheidungen auch auf unterschiedliche Traditionen in den Ländern Europas Rücksicht genommen werden, fordert das ROG-Vorstandsmitglied, das sich zudem gegen Bestrebungen von weltweiten Linklöschungen aussprach. Sonst könnten demokratiefeindliche Länder weltweit die Verbreitung von missliebigen Informationen verhindern.
Aus Verbrauchersicht gebe es ebenfalls oft ein übergeordnetes Interesse daran, dass die Suchmaschinenverweise nicht gelöscht werden, so bei Bewertungen von Ärzten oder Ebay-Händlern, argumentierte Michaela Zinke vom Bundesverband Verbraucherzentrale. Das gelte auch für Produktbewertungen von Verbrauchern, allerdings könnten diese anonymisiert zur Verfügung stehen. Die Betreiber von Webseiten, auf denen die Informationen veröffentlicht wurden, sollten informiert werden, wenn Links gelöscht werden, damit sie möglicherweise rechtlich dagegen vorgehen können, forderte unter anderem Susanne Dehmel vom IT-Branchenverband Bitkom.
Der Jurist Niko Härting empfiehlt Google dagegen, „im Zweifel immer zu löschen“. Es sei nicht Sache eines privatwirtschaftlichen Unternehmens aus den USA, die Folgen eines EuGH-Urteils weichzuspülen. Die Politik müsse vielmehr durch ein neues europäisches Datenschutzrecht die verzerrte Balance zwischen privaten und öffentlichen Informationen wiederherstellen. Für Moritz Karg von der Hamburger Datenschutzbehörde gibt es kein „Recht auf Vergessen“. Es handele sich vielmehr um ein Widerspruchsrecht für die Verarbeitung personenbezogener Daten. Darum sei zum Beispiel ein Dienst wie Wikipedia von dem Urteil anders als Google nicht betroffen, selbst wenn sich der Link auf die gleiche Quelle bezieht. Das sah Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, der ebenfalls dem Expertenbeirat angehört, anders. Bereits jetzt würden Links in Suchmaschinen zu Wikipedia-Einträgen gelöscht.
In Deutschland wurden 25300 Anträge gestellt
Durch das EuGH-Urteil von Mai können Personen in Europa die Löschung von Suchmaschinenergebnissen beantragen, wenn ihr Name zu der Suchanfrage gehört. Die Seiten selbst sind davon jedoch nicht betroffen. In Deutschland liegt die Quote bei 53 Prozent. Hier gab es seit Mai 25300 Anträge zu 88974 Webseiten. Häufige Gründe für die Anträge waren unter anderem Webseiteneinträge über schwerwiegende Vorstrafen, peinliche Fotos, Fälle von Cybermobbing und Beschimpfungen, jahrzehntealte Anschuldigungen, negative Presseberichte.
Vom Expertenbeirat erhofft sich Google „Guidelines für die künftigen Entscheidungen“, wie Leutheusser-Schnarrenberger sagte. Dagegen ist es nicht die Aufgabe, als Schiedsstelle bei strittigen Entscheidungen zu fungieren. Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maiziere fordern hingegen eine unabhängige Schiedsstelle.