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Public Viewing in Afrika. Fußball dient in Ländern wie Kamerun – am Sonntag findet in Mönchengladbach ein Länderspiel gegen Deutschland statt – der staatlich geförderten Volksbeglückung. Foto: AFP
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Fußball-Hype in Kamerun: Wehe, wenn das Team verliert

Zwischen Zensur, südafrikanischen TV-Soaps und Journalistengängelei: Die Medien in Kamerun vor der Fußball-Weltmeisterschaft.

Nirgendwo wird der Fußball derart stark für machtpolitische Zwecke missbraucht wie in Afrika. In manchen seiner Länder reden die Staatschefs ganz offen in die Mannschaftsaufstellung hinein – fast immer mit verheerenden Folgen. Zu den Ausnahmen zählt Kamerun, das am Sonntag in Mönchengladbach Gegner der deutschen Fußball-Nationalelf ist und auch an der WM in Brasilien teilnimmt.

Als sich seine Kicker 1990 auf die Fußball-WM in Italien vorbereiteten, forderte Präsident Paul Biya den Fußballverband seines Landes ganz unverblümt dazu auf, einen damals bereits 38 Jahre alten Spieler in den Kader zu berufen: Roger Milla hatte sich auf Réunion nach einer langen Fußballkarriere zur Ruhe gesetzt. Für die WM, so bat ihn Präsident Biya am Telefon, solle er aber bitte noch einmal ins Team der „unzähmbaren Löwen“ zurückkehren.

Der Fußball-Opa ließ sich schnell überreden – und machte die WM 1990 mit seinen vier Toren und seinem danach stets um die Eckfahne aufgeführten Lambada-Tänzchen zur großen Roger- Milla-Show. Bis heute steht sein Name mehr als alles andere für Kamerun und elektrisiert die Medien im Lande kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft. Paul Biya durfte zufrieden sein. Mit Milla hatte er Land und Kontinent damals seinen ersten Fußballstar beschert, lange vor den Drogbas und Etos. „Meine Teilnahme war der Wunsch unseres Präsidenten, der damit aber nur aussprach, was das ganze Volk fühlte“, kommentierte Milla seine ungewöhnliche Berufung später mit der ihm eigenen Bescheidenheit.

Der Fußball trägt in Kamerun zur Volksbeglückung bei. „Kamerun ist absolut fußballverrückt“, sagt Volker Seitz, der von 2004 bis 2008 deutscher Botschafter in Kamerun war. Jedes Spiel des Nationalteams sei ein Großereignis, vor allem in der technisch gut angebundenen Hauptstadt Jaunde. Es herrschen südamerikanische Zustände: „Wehe aber, das Team verliert. Dann gibt es schon einmal, wie zu meiner Zeit, einen Brandanschlag auf das Haus eines Spielers, der einen Elfmeter verschossen hatte“, erinnert sich der Diplomat.

Übertragen werden die Spiele der Fußball-WM auch diesmal wieder von dem Unternehmen Multi Choice und dessen Digitalsender DStv, einem Ableger des südafrikanischen Medienkonzerns Naspers, der wiederum von Johannesburg aus seine Programme mit großem Erfolg nach Norden in den afrikanischen Kontinent einspeist. Obwohl Naspers inzwischen weltweit expandiert ist und einen Großteil seiner Profite mit dem chinesischen Internetkonzern Tencent verdient, wurde die Expansion lange Jahre durch die hohen Erlöse in seinem Heimatmarkt Afrika finanziert, ganz überwiegend vom Bezahlfernsehen. Inzwischen erreicht sein Pay-TV in Afrika mehr als sechs Millionen Abonnenten und steuerte im vergangenen Jahr umgerechnet rund 750 Millionen Euro zu den Gesamteinkünften des Unternehmens bei.

Auch Präsident Biya und die kamerunische Oberschicht gehören zu den Abonnenten. Angeblich hat sich der Staatschef in diesem Jahr übrigens nicht direkt bei Kameruns Nationaltrainer Volker Finke in die Mannschaftsaufstellung eingemischt. Vielleicht hat der 81-Jährige gemerkt, dass man sein Glück nie überstrapazieren sollte. Als Biya sein persönliches Sommermärchen von 1990 vier Jahre später wiederholen wollte und den nunmehr 42-jährigen Milla abermals reaktivierte, ging die Sache jedenfalls gründlich daneben. Zwar schoss Milla noch einmal ein Tor. Allerdings war es nur der Ehrentreffer beim 1:6 gegen die Russen.

Die Medien leiden unter staatlicher Willkür

Der Akt des Populismus ist eine Ausnahme in der langen Liste desaströser Interventionen afrikanischer Staatschefs in gesellschaftliche Belange geblieben, mit denen sie eigentlich nichts am Hute haben. Besonders stark werden dabei vom Staat, gerade auch in Kamerun, die Medien gegängelt: Vor allem Journalisten, die hier bei privaten Zeitungen oder Radiostationen arbeiten, sind in dem westafrikanischen Land eine beliebte Zielscheibe staatlicher Willkür. „Es ist manchmal schwer durchschaubar, warum eine Zeitung plötzlich eine Liste korrupter Minister und Beamter ungestraft veröffentlicht darf, wenn dann wieder der Herausgeber von ,Le Messager‘ für zehn Monate ins Gefängnis muss, weil er Spekulationen über den Gesundheitszustand des Präsidenten druckt“, sagt Ex-Botschafter Seitz. Erst vor wenigen Monaten wurde der Chefredakteur der Wochenzeitung „Germinal“ wegen „Beleidigung des Präsidenten der Republik“ zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von umgerechnet 4500 Euro verurteilt worden.

Wie in den meisten anderen afrikanischen Ländern muss Kritik an der Regierung auch in Kamerun fast immer sorgsam verpackt werden. Daran hat auch die leichte Lockerung der staatlichen Zensur wenig verändert, zumal die Schere im Kopf der meisten Journalisten sehr präsent bleibt. „Das direkte Befragen eines Politikers ist in Kamerun quasi unbekannt“, sagt Mystic Johnson Chick, ein lokaler Radiojournalist. Überhaupt sei es sehr schwierig, an Entscheidungsträger zu gelangen. „In Kamerun ist niemand an der Herausgabe von Informationen interessiert oder auch nur bereit, sich einem Interview zu stellen. Am liebsten wird hier alles unter dem Deckel gehalten“ klagt der Journalist.

Für freundliche Artikel werden mehrere hundert Euro gezahlt

Schon wegen der lausigen Bezahlung sind viele seiner Berufskollegen empfänglich für gekaufte Berichte. In die Blätter kommen für gewöhnlich nur Ereignisse, für die der jeweilige Veranstalter als Gegenleistung auch bezahlt. Wichtige gesellschaftliche Bereiche wie die Landwirtschaft werden darüber fast völlig ausgespart. Politiker sind ihrerseits durchaus bereit, mehrere hundert Euro für freundliche Artikel zu zahlen – ein Grund dafür, warum Journalisten bei Regierungsblättern wie der „Cameroon Tribune“ oder beim staatlichen Rundfunk CRTV, der zehn Radiokanäle und eine Fernsehstation betreibt, die besten Aussichten auf ein halbwegs vernünftiges Einkommen haben. Viel mehr Glaubwürdigkeit genießen deshalb auch die internationalen Radiosender BBC, RFI und Afrique No 1, die rund um die Uhr berichten.

Dass die Medien in dem Land fast durch die Bank um ihr finanzielles Überleben kämpfen, liegt neben den vergleichsweise hohen Kosten der Zeitungen auch daran, dass das Interesse der Leser an der Politik äußerst gering ist. Kein Wunder, wenn ein Präsident sein Land seit über 30 Jahren allein regiert und das Wachstum fast komplett am Volk vorbeiläuft. Dabei gibt es ein explosives Gemisch aus Armut, Korruption und Perspektivlosigkeit, wie sich bei den Unruhen im Februar 2008 offenbarte. „Die meisten Menschen haben sich inzwischen ausgeklinkt und sind nur an seichter Unterhaltung interessiert“, klagt Chick. „Man schaut Melodramas aus Südamerika oder drittklassige Filme auf DVD, oft aus Nigeria und der dort ansässigen Filmfabrik Nollywood“. Oder eben Fußball.

„Deutschland – Kamerun“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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