MEDIA Lab: Wasser oder Benzin?
Marlis Prinzing konstatiert, dass soziale Medien Gefühle wie Wut und Empörung zu einer klärenden Kraft für das Gemeinwohl machen können
Die #MeToo-Bewegung erreichte breite Empörung über Männer, die durch sexuelle Übergriffe auf Frauen Macht ausspielten. Die Vehemenz der Bewegung in sozialen Medien alarmiert auch, weil hier Reichweite technisch steuerbar ist – ein Spiel mit dem Feuer.
Die in den USA entfachte #MeToo-Bewegung hat nachweisbar Effekte. Sexuelle Anmaßung war in zwei von drei amerikanischen Familien ein Gesprächsthema, der Anteil jener, die solche Übergriffe für absolut nicht tolerierbar halten, wuchs. Der Effekt der Bewegung erklärt sich als Summe aus weiteren Ereignissen wie den sexistischen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump; der Effekt ist aber auch der Charakteristik der digitalen Medien zuzuschreiben.
Unkontrollierte Gefühle werden gefährlich
Die Neurologin Molly Crockett erläutert in der Zeitschrift „Nature“, was einer Gesellschaft, in der eine Milliarde Menschen täglich soziale Medien nutzen, droht, wenn Gefühle unkontrolliert digital gesteuert werden. Sie belegt einmal mehr, dass das Bild des unbeteiligten Verteilkanals, das Plattformmedien wie Twitter & Co. gerne von sich zeichnen, nicht zutrifft. Denn diese Medien schöpfen ihren Profit aus hoher Aufmerksamkeit und Verweilzeit der Nutzer. Und beides lässt sich besonders gut durch Gefühle wie Wut und Ärger erzielen. Die Algorithmen sind entsprechend konstruiert: Sie sorgen dafür, dass Ungeheuerliches vom noch Ungeheuerlicheren abgelöst wird.
Digitale Medien können Wasser ins Feuer schütten oder Benzin, also Polarisierung überwinden oder verstärken – sowie taub machen für wirkliche Tragödien, soziales Engagement und echte Anteilnahme. Es gelte, so konstatiert Crockett, sicherzustellen, dass digitale Technik Gefühle wie Wut und Empörung über Missstände nicht zu Werkzeugen kollektiver Selbstzerstörung macht, sondern dass sie weiterhin eine klärende Kraft für das Gemeinwohl sind.
Marlis Prinzing