Digitales Leben: Was weiß das Netz über mich?
Der Grünen-Politiker Malte Spitz recherchierte monatelang, was Firmen und Behörden über ihn gespeichert haben. Das Ergebnis ist beunruhigend.
An einem kalten Wintermorgen fährt Malte Spitz, 31, zurzeit Hausmann, seine persönlichen Daten im Kinderwagen durch Berlin Mitte spazieren. Spitz hat eine stämmige Statur und ein bartbewachsenes Jungengesicht. Er trägt einen Carhartt-Parka, Jeans, Treckingschuhe. Einen Teil der Daten hat er mitsamt dem Laptop, auf dem sie gespeichert sind, unter den Fußsack seiner einjährigen Tochter gestopft. Einen weiteren Teil hat er auf Papier ausgedruckt und in zwei Leitz-Ordnern abgeheftet. Die sind in der Ablage darunter verstaut.
„Wenn die Ordner jemand Fremdem in die Hände fallen, kann der sich ein umfassendes Bild von mir machen“, sagt Spitz. Das geht fürs erste auch ohne: Die Google-Suche zu seinem Namen ergibt 111000 Treffer. Spitz ist Grünen-Politiker, gilt als Nachwuchshoffnung. Sein Spezialgebiet ist der Datenschutz und sein Stammlokal das „Fabisch“ am Rosenthaler Platz.
Dort kehrt er jetzt ein. Er wuchtet die Ordner aus der Ablage des Kinderwagens. Er ist nicht auf Diskretion aus. Dabei enthalten die Ordner Auszüge aus den Datenbanken von Polizei, Bank, Krankenkasse, Bürgeramt und Mobilfunkanbieter, ihn betreffend, aber ohne sein Wissen zusammengetragen. Ein kurioses Sammelsurium. Es reicht vom Eintrag über eine Verletzung, die er achtjährig auf dem Schulweg erlitt, ein verstauchter Fuß, wie er mit Hilfe seiner Mutter rekonstruierte, bis zum Scorewert 495 von 641, mit dem eine Auskunftei seine Zahlungsmoral bemisst.
Es ist nichts Neues, dass, wer in Internet surft, Spuren hinterlässt. Auch nicht, dass sich andere für diese Spuren interessieren: Staaten, Unternehmen, Kriminelle. „Ich wollte wissen, was genau über mich kursiert“, sagt Spitz. Er spricht von seinem „Datenschatten“. Dem spürte er nach. „Ich habe da angesetzt, wo es für den Einzelnen kein Entkommen gibt. Wo Daten auch im Auftrag des Staates gesammelt werden. Wo die Grundlage für Überwachung geschaffen wird.“
Schon seit Jahren frage er „aus Spaß“ sporadisch bei Behörden oder Firmen nach, was sie über ihn gespeichert hätten. Dabei beruft er sich auf den Paragraphen 34 des Bundesdatenschutzgesetzes, in dem es heißt: „Die verantwortliche Stelle hat dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Daten.“
Die Berliner Polizei führt ihn fünf Mal
Seinen ersten Computer bekam Spitz mit fünf. In den 90ern habe er sich viel in Foren „herumgetrieben“. Bei Ausflügen, die von der Volksbank seiner Heimatstadt Telgte organisiert waren, besuchte er als Jugendlicher in drei aufeinander folgenden Jahren die Cebit. Doch war er nie Hacker, was auch für die Suche nach seinen Daten nicht nötig sei, sagt er. Dafür gibt es sogar Formbriefe, zu beziehen beim Bundesdatenschutzbeauftragten. Das Problem ist, dass die Antworten oft ausweichend ausfallen.
Zum Beispiel speiste ihn die Volksbank Telgte damit ab, dass sie auf die Kontoauszüge verwies. Die Berliner Polizei meldete sich erst nach drei Monaten, dafür aber mit fünf Treffern: So ist Spitz als Zeuge eines handgreiflichen Streits verzeichnet, den er an einer Pommesbude am Leopoldplatz beobachtete. Ein anderes Mal wird er sogar als Tatbeteiligter geführt. Am Abend vor der Abgeordnetenhauswahl 2011 hatten seine Frau, er und ein paar andere mit Sprühkreide Parolen auf Bürgersteige in Mitte geschrieben, die die Berliner aufforderten, tags darauf wählen zu gehen. Ein Anwohner rief die Polizei. Doch die stellte nur fest, dass Spitz und seine Mitstreiter nichts Verbotenes taten. Der nächste Regen hat die Kreide weggewaschen. Ihr Datenschatten hält sich hartnäckig.
Von T-Mobile musste Malte Spitz die Herausgabe seiner Daten mit Hilfe eines Anwaltes sogar erzwingen. Fast ein Jahr dauerte das Hin und her, ein Gerichtstermin war bereits einberufen. Dann erhielt Spitz per Post eine CD mit seinen Vorratsdaten. 35810 Zeilen voller Zahlen. „Ich scrollte und scrollte“, sagt Spitz. Sämtliche Anrufe mitsamt der geschwärzten Nummern seiner Gesprächspartner sind verzeichnet, alle SMS, die Funkzellen, in denen sein Handy eingeloggt war – und das über ein halbes Jahr. „Ich war verblüfft, dass die mein Telefon hier in Berlin bis auf 50 Meter genau orten konnten“, sagt er. Vorratsdatenspeicherung, ein Wort, das für viele ein diffuses Unbehagen auslöst, machte Spitz’ Selbstversuch greifbar, aber immer noch nicht anschaulich. Deshalb gab er die CD an Datenjournalisten weiter, die das Bewegungsprotokoll visualisierten. Es zeigt, wie ein Politiker telefonierend und simsend quer durch Deutschland rast.
Spitz’ Methode klingt zunächst paradox: Indem er seine Daten öffentlich macht, will er dafür kämpfen, dass die Daten der anderen privat bleiben.
Indiskretionen aus dem Leben eines Öko-Politikers
Wirklich Indiskretes ist in den Ordnern aber nicht zu finden. Das heißt nicht, dass Datensammler Privatsphären achteten. Der offenbar grundsolide Lebenswandel des jungen Grünenpolitikers gibt in der Hinsicht nicht mehr her. Seine Spur im Internet führt zu „Call a Bike“-Ausleihstationen, Kleinkinderabteilen im Zug, Bibliotheken. Der bei der Polizei verzeichnete Aufenthalt an einer Pommesbude ist da schon das Anstößigste, jedenfalls für ihn als Mitglied der Öko-Partei. Er habe dort nichts gegessen, stellt Spitz klar. Viele der Informationen seien für sich genommen unspektakulär, räumt er ein, aber in der Kombination ergäben sie ein aussagekräftiges Profil.
Noch aussagekräftiger ist, was er selbst twittert. „Schrecksekunde im Sportgeschäft: Sohn kommt mit Bayerntrikot, will es haben. Nach Aufklärungsgespräch bringt er es zurück“, schreibt er zum Beispiel Anfang Februar. „Auf Twitter entscheide ich selbst, was ich wie von mir preisgebe“, sagt er. „Das ist der springende Punkt.“ Nie würde er beispielsweise darüber schreiben, dass er krank ist. Dagegen seien in den Datenbanken der Krankenkassen die Krankengeschichte jedes Mitglieds gespeichert, ohne dass man das verhindern könne. „Werden diese Daten publik, kann das einem Menschen – zum Beispiel bei seiner Karriere – massiv schaden“, sagt Spitz.
Bei ihm war es umgekehrt: Dass seine Daten sogar weltweit publiziert wurden, unter anderen in der „New York Times“, nützte seiner Karriere. Spitz durfte sogar bei der TED Global-Konferenz in Edinburgh sprechen. „Meine TED-Rede wurde gerade zum 1,5-Millionensten Mal im Internet gesehen. Lasst uns für Selbstbestimmung in digitalen Zeitalter kämpfen“, twitterte er letzte Woche. Außerdem hat er ein Buch über seinen Selbstversuch geschrieben, „Was macht ihr mit meinen Daten?“, mit dem er zu Lesungen durch Deutschland tourt.
Düstere Aussichten: Spielzeug, das Familien bespitzelt
Dass es dennoch zum Karriereknick kam, lag nicht an ihm, nicht mal an den Piraten, die sein Themenfeld kurzzeitig besetzten. Geplant war, dass er 2013 auf einem vermeintlich sicheren Listenplatz in den Bundestag einzieht. Doch Veggie-Day und Pädophilie-Enthüllungen verhagelten den Grünen das Wahlergebnis. Jetzt kümmert er sich um seine Kinder, studiert nebenher. Seine Tochter ist im „Fabisch“ im Kinderwagen eingeschlafen. Letztens, erzählt Spitz, habe er einen Freund gebeten, aus den USA eine Barbie-Puppe mitzubringen. Sie war für ihn selbst. Die Barbie spricht und kann auf Gesagtes eingehen. Dazu sendet sie über WLAN die an sie gerichteten Fragen in die USA, von wo aus die Puppe mit passenden Antworten gefüttert wird. „Da kann sich ein Staat leicht zwischenschalten“, warnt Spitz. Doch seine Barbie sagt nur: „I need more energy.“
Spielzeug, das Familien bespitzelt, Kameras, die Verhalten analysieren, Bürocomputer, die automatisch die Produktivität von Angestellten messen – die Digitalisierung bietet Stoff für vielerlei Horrorszenarien, die nicht mal unrealistisch sind. Malte Spitz, der oft Vorträge hält, stößt dabei auf Aufklärungsinteresse, aber auch auf Angst. Die Unmerklichkeit des Datensammelns nährt Verschwörungstheorien. Amüsiert berichtet er von einem Besuchertypus, der am Ende auf ihn zutrete: ,Toller Vortrag, Herr Spitz. Ich kann Ihnen leider nicht die Hand geben. Der Geheimdienst hat mich verstrahlt.’
Das Ende der solidarischen Gesellschaft
Spitz empfiehlt, das Handy manchmal auszuschalten. „Dann lässt es sich nicht mehr leicht orten.“ Er warnt davor, an digitalen Fitness-Programmen teilzunehmen, die Versicherungen anböten. Letztlich würden Kunden mit dem Ziel durchleuchtet, ihnen einmal individuelle Tarife anzubieten. „Das ist dann das Ende unserer solidarischen Gesellschaft.“ Für gravierend hält er auch eine Stigmatisierung durch Daten. Die hat er bereits selbst erlebt: Die Punktabzüge bei der Bewertung seiner Zahlungsmoral waren allein seiner Adresse geschuldet. Seine Rechnungen hat er immer beglichen.
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