Geist des Grimme-Preises und Realität des Fernsehens: „Was macht das ,Dschungelcamp‘ preiswürdig?“
Frauke Gerlach ist die neue Chefin des Grimme-Instituts. Ein Gespräch über Fernsehqualität, Finanzen und Sozialdemokratie.
Frau Gerlach, wofür steht das Grimme-Institut?
Das Grimme-Institut steht für Qualitätsorientierung, Werthaltigkeit und Unabhängigkeit der Medien.
Dann steht es ja gut da. Wofür soll es unter Ihrer Geschäftsführung stehen?
Ich möchte das Grimme-Institut auf den gewachsenen Traditionen des Hauses weiterentwickeln. Die Grundthemen bilden dabei unverändert der Mediendiskurs, die Medienbildung und die Medienkritik, wie sie sich im Grimme-Preis ausdrückt. Jetzt soll es verstärkt um die Digitalisierung der Medien und der Mediengesellschaft gehen. Das ist eine komplexe Herausforderung, wenn wir herausfinden wollen, was Medien und Gesellschaft in digitalen Zeiten bewegt und verändert.
Hatte und hat das Grimme-Institut Einfluss auf derartige Entwicklungen?
Es hat schon einen Rückkopplungsprozess gegeben in den Fragen, was Qualität ist, namentlich, wenn es um Fernsehinhalte ging und geht. Das nimmt das Publikum wahr, der Grimme-Preis ist eine sehr anerkannte Auszeichnung. Er ist wohl der deutsche Medienpreis.
Bei der Digitalisierung der Medien und der Mediengesellschaft ist aber auch unbedingt der Grimme-Online-Award zu nennen – auch er hat sich durchgesetzt für Qualität im Netz – und die vielfältigen Angebote bei der Medienbildung.
Als die Unterhaltungsjury 2012 das RTL-„Dschungelcamp“ als preiswürdig diskutierte, ging das Institut zur Schnappatmung über. Wie haben Sie die Diskussion und ihr gewaltsames Ende – auf keinen Fall einen Grimme-Preis für das „Dschungelcamp“ – erlebt?
Es herrschte große Aufregung, als das „Dschungelcamp“ nominiert worden ist. Einen Preis gab es dann nicht. Zunächst: Die Grimme-Kommissionen und -Jurys sind bei der Nominierung und Preisvergabe unabhängig. Die Führung des Instituts hat darauf keinerlei Einfluss. Was aber geschieht insgesamt im Fernsehen, was im Umgang mit dem Medium? Das „Dschungelcamp“ wurde in der ersten Staffel noch als Verletzung der Menschenwürde diskutiert, die vergangene Staffel in den Feuilletons „rauf und runter“ behandelt. Der Blick auf das Format hat sich stark verändert. Grimme muss solche Veränderungsprozesse in der Wahrnehmung aufgreifen und den Wertewandel im Blick behalten.
Jetzt nehmen wir mal an, die Unterhaltungsjury vergibt einen Grimme-Preis 2015 für das „Dschungelcamp“. Was macht dann Frauke Gerlach?
Dann bekommt das Format diese Auszeichnung, auf die ich als Institutsleiterin mit großen Augen schaue und für mich feststellen würde: Das kann ich nicht nachvollziehen. Daran anschließen würde sich ein lebhafter Diskurs des Instituts mit der Jury zum Warum. Was macht das Format preiswürdig? Grimme zeichnet auch im Kontext von gesellschaftlichen Grundwerten aus. Kann ein Format, das damit arbeitet, Brechreiz hervorzurufen, diesen entsprechen?
Der Geist des Preises und die Realität des deutschen Fernsehens – wie viel schließt sich da gegenseitig aus?
Gar nichts! Die Anzahl der Einreichungen für die Grimme-Preise ist sehr hoch, ein deutliches Indiz dafür, dass die Statuten des Preises kein Nadelöhr darstellen, durch das nur die wenigsten Produktionen hindurchfinden können. Wahr ist: Die öffentlich-rechtlichen Sender werden sehr viel stärker mit Preisen bedacht als die privaten. Wahr ist aber auch: Das würden wir uns anders wünschen und zwar ausgeglichener!
Steht der Grimme-Preis für Volkshochschule mal Sozialdemokratie?
Aber das wesentliche Kriterium ist schon: Volkshochschule mal Sozialdemokratie.
Nein. Der Grimme-Preis ist sicherlich kein politischer Preis, die Mitarbeiter des Instituts müssen kein SPD-Parteibuch haben. Volkshochschule, rotes Marl als Sitz des Instituts, rotes Ruhrgebiet, diese schlichte Gleichung führt nicht zum Grimme-Preis.
Wie steht es um denn um die Finanzierung des Grimme-Instituts?
Wir sind seit 2014 in der guten Situation, dass wir durch das Land Nordrhein-Westfalen eine institutionelle Förderung in Höhe von 1,12 Millionen Euro bekommen. Davor stützte sich die Finanzierung des Instituts vor allem auf Projektgelder. Dann erhalten wir durch einen Kooperationsvertrag mit der Landesanstalt für Medien rund 850 000 Euro. Der Grimme-Preis wird darüber hinaus vom ZDF, dem WDR, 3sat und einer Reihe von Sponsoren unterstützt. Zudem generieren wir noch selber Projektgelder. Über den Daumen gerechnet haben wir einen Jahresetat von rund 2,1 Millionen Euro – was knapp bemessen ist. Um uns konzeptionell weiter nach vorne zu entwickeln, brauchen wir einfach eine verlässliche Finanzierungsbasis. Und da sind wir ein gutes Stück weitergekommen.
Grimme vergibt Preise für Fernsehen, Online und Radio. Welche Auszeichnung braucht dringend Auffrischung?
Vielleicht der Grimme-Preis. Hier werden wir uns perspektivisch die Statuten anschauen – ein Generationenwechsel bei den Nominierungskommissionen und den Jurys zeichnet sich ab. Was ist zum Beispiel mit medienübergreifenden Erzählformen? Können wir diese angemessen würdigen? Der Grimme-Online-Award soll gestärkt werden, gerade an den Schnittstellen von Online und Bewegtbild. Der Deutsche Radiopreis ist noch frisch, seit 2010 wird er verliehen. Aber auch hier schauen wir uns die Statuten an.
Was fehlt?
Vielleicht müssen wir noch intensiver auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche schauen. Und ein ganz wichtiges Anliegen ist mir, den Qualitätsdiskurs über die Preise hinaus zu verlängern.
Gehören Sie zu jenen, die täglich den Zustand des deutschen Fernsehens beklagen?
Nein. Sie finden wirklich viel Qualität – wenn Sie wollen.
Grimme-Preis ist geil, Geld ist geiler
Sagen Ihnen Fernsehbosse: Grimme ist schön und gut, aber was hat mein Geschäft mit dem Grimme-Preis zu tun?
Es gibt eine hohe Wertschätzung für den Preis, vor allem private Veranstalter müssen sich aber auch um Zuschauer und Marktanteile kümmern. Im besten Fall fallen Qualität und Quote zusammen.
Sehen Sie anders fern, seitdem Sie Institutschefin geworden sind?
Sicherlich noch stärker durch die Grimme-Brille: Wie gucken da die Jurys drauf? Ich schaue noch mehr öffentlich-rechtliche Programme als zu der Zeit, als ich für die private Medienaufsicht zuständig war.
Nur Fernsehen allein geht nicht, nur Grimme-Preis geht auch nicht. Also?
Wir Grimme-Menschen müssen „Handlungsreisende“ in Sachen Qualität in der ganzen Republik werden. Wir müssen die Grimme-Qualitätskriterien noch stärker kommunizieren. Und die Ergebnisse der Juryarbeit. Wahr und klar ist: Das alles darf nicht in der Ankündigungsrhetorik stecken bleiben. So haben wir mit der Universität zu Köln ein Forschungskolleg „Medien und Gesellschaft im digitalen Zeitalter“ gegründet. Wir wollen das Veranstaltungformat „Grimme trifft die Branche“ fortsetzen, abwechselnd in Berlin und in Köln. In Hamburg, wo der Deutsche Radiopreis vergeben wird, arbeitet auch die Grimme-Akademie, die genauso in Frankfurt oder in München aktiv ist.
Das Interview führte Joachim Huber.