TV-Show am 3. September: Was entscheidet das Duell Merkel vs. Schulz?
Am 3. September ist der wichtigste Tag vor der Wahl: Angela Merkel und Martin Schulz treffen im TV direkt aufeinander.
Soll kein Zuschauer sagen können, er habe es nicht gewusst. Schon am 25. April informierten ARD, ZDF, RTL und Sat 1 über den „Höhepunkt des Fernsehwahlkampfes am 3. September“. Zwei Moderatorenpaare – Sandra Maischberger (ARD) und Claus Strunz (Sat 1) sowie Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) – werden jeweils für 45 Minuten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren SPD-Herausforderer Martin Schulz befragen.
Das Format des sogenannten „TV-Duells“ ist soweit eingeführt, dass von Routine gesprochen werden kann. Das Treffen Merkel vs. Schulz wird nach 2002, 2005, 2009 und 2013 das fünfte dieser Art sein. Nur bei der Premiere hatte es zwei Live-Sendungen mit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und CSU-Kandidat Edmund Stoiber gegeben.
Die Sender sprechen von „Höhepunkt“. Das ist nur insofern richtig, als hier der Wahlkampf verdichtet wird, sich zum wohl einzigen direkten Aufeinandertreffen von Kanzlerin und Kandidat schürzt. Vor dem 3. September und danach gibt es landauf, landab Wahlkampf. Merkel und Schulz werden am Sonntag des TV-Duells ihre Thesen und Argumente also über Wochen bei öffentlichen Auftritten getestet haben. Wenn sie ins Fernsehstudio kommen, wissen sie über das Best-of der eigenen Agenda genau Bescheid. Und sie haben dann eine vertiefte Ahnung davon, wie sie als Personen, als Politiker, als Programmatiker aufs Publikum wirken.
Denn darum geht es in den 90 Live-Minuten: Wirkung. Carsten Reinemann, Kommunikationsforscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, unterscheidet zwischen zwei Publika. „Experten, Wissenschaftler, Journalisten, kurz die Elitären sind nach jedem Duell enttäuscht. Sie hätten von den Kandidaten nichts Neues gehört. Anders die Normalbürger: Sie erzielen immer Informationsgewinne.“ Mit der Konzentration der vier führenden TV-Sender auf diesen Termin, die Parallelausstrahlung in den vier meistgesehenen Programmen ab 20.15 Uhr, werde ein relevantes Ereignis kreiert – für Millionen Wahlbürger.
Der Professor hält das „Duell als solches für wichtig“, vor der 4+2-Formation aber graut ihm schon jetzt: „Da werden Fragelisten abgearbeitet.“ Drei Duelle wie beim Präsidentschaftswahlkampf in den USA mit jeweils nur einem Moderator wären seiner Meinung nach das bessere Format. Auch Sabine Christiansen, die ARD-Frau mit der Erfahrung aus den TV-Duellen 2002 und 2005 sagt: „Die Konstellation, vier Moderatoren und zwei Kandidaten, ist nicht glücklich.“
Während der 90 Duell-Minuten kann Schulz, nach dem jüngsten ZDF-„Politbarometer“ zum Kanzlerkandidaten mit 31 Prozent Zustimmung geschrumpft, nur gewinnen. An Aufmerksamkeit und Attraktion. Der Mann aus Würselen, dessen Augen hinter der Brille schon jetzt zuweilen müde wirken, muss sich in der Begegnung mit der Dauer-Kanzlerin aufbauen, Augenhöhe zeigen und das schier Unmögliche ausdrücken: Ich kann Kanzler besser als Merkel Kanzlerin.
Die Erwartung von Sabine Christiansen liegt niedriger: „Der Herausforderer kann sich bekannt machen.“ Martin Schulz hat immerhin einen Vorteil, den seine Vorgänger 2009 und 2013 nicht hatten: Der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Finanzminister Peer Steinbrück hatten beide in einer schwarz-roten Regierung unter Merkel gedient. Das schmälerte die Glaubwürdigkeit ihrer Angriffe auf die Kanzlerin.
Die Duelle 2005 vor 14,26 und 2009 vor 17,64 Millionen Zuschauern waren mehr die Simulation eines Duells als ein wirklicher Zweikampf. Aus der Sendung mit Steinmeier blieb nichts haften, aus der mit Steinbrück nur die „Schland-Kette“ der Amtsinhaberin. Bei den beiden Schröder-Stoiber-Duellen (14,98 und 15,26 Millionen Zuschauer) und bei der Rekordveranstaltung 2005 mit Schröder/Merkel (20,98 Millionen) war das anders. Damals lag aber auch die Möglichkeit eines Regierungswechsels in der Luft.
Derartige Vorzeichen trägt das Duell 2017 nicht, wohl aber einen Neugierfaktor: Schulz kommt aus Europa nach Deutschland. Er hat mit Merkel keine gemeinsame Geschichte, jedenfalls keine großkoalitionäre. Uwe-Karsten Heye, Autor, Journalist und als Regierungssprecher von Gerhard Schröder tief in die Premiere des TV-Formats 2002 involviert, umreißt das Strategie-Potenzial von Schulz: „Er muss Merkel, diese Meisterin des Allgemeinplatzes, verlocken, sich mit ihm über Sachthemen zu streiten und dabei zeigen: Ich habe Antworten.“ Dringend notwendig sei, dass der Kandidat schon vor dem 3. September diese Antworten gefunden und überzeugend kommuniziert habe. Wenn Schulz dies vor dem Duell nicht gelinge, dann werde es ihm auch nicht während des Duells oder danach gelingen.
Weder bei Schulz noch bei Merkel sieht Heye das „Schröder-Risiko“, also die Neigung des damaligen Kanzlers, sein Gegenüber nicht ernst nehmen, gar lächerlich machen zu wollen – was Heye zufolge beim Publikum nur Mitleid und Sympathie für den Betroffenen erzeugt. Beim zweiten Duell mit Stoiber hielt Schröder seinen Testosteron-Spiegel denn auch unter Kontrolle. Und als er seiner damaligen Frau Doris dann auch noch vor Millionen Zuschauern eine Liebeserklärung machte, war Kontrahent Stoiber trotz seines Überraschungserfolgs in der ersten Runde auf Platz zwei verwiesen.
Für die Moderatoren hat Heye auch einen Ratschlag parat: „Sie müssen beweisen, dass sie den Politikern gewachsen sind – und nicht umgekehrt.“ Sabine Christiansen erinnert sich: „Wir, die Moderatoren, haben untereinander nur die Themenblöcke und deren Reihenfolge festgelegt. Die Kandidaten kannten nur diese Themenblöcke, Fragen kannten sie nicht. Es gab keine No-go-Areas, keine inhaltlichen Absprachen.“ Aber auch diese Erfahrung gilt: „Man kommt bei den Fragen nie durch.“ Ziel der Sendung müsse es sein, den Zuschauern einen Mehrwert zu bieten. Und das sei „schwierig“, sagt Christiansen.
Was die beteiligten Sender mit den Stäben der beteiligten Politiker (Parteizentrale und Kanzleramt) besprechen, bezieht sich auf Zeitpunkt und Ort, auf Dauer und Agenda. Die Regularien sehen vor, dass beide mit nur einer Minute Unterschied in der Sprechdauer ins Ziel kommen sollen, es wird ausgelost, wer die erste Antwort gibt, womit feststeht, wer das Recht auf die letzte Antwort hat. Was 2002 noch Gegenstand monatelanger Verhandlungen bis hin zur Höhe der Pulte und der Farbe der Studiodekoration war, wird inzwischen rasch geklärt. Vielleicht ist den Beteiligten klar geworden, dass Überregulierung das Format und die Kandidaten einschnürt. Die Furcht vor einem unfairen Duell ist der Gewissheit gewichen, dass ein unfairer Duellant beim Publikum verliert. Bei einem deutschen Kanzlerduell sei kein französischer „Säbelkampf“ zu erwarten, „hierzulande darf ein Kandidat, wenn er es beherrscht, maximal das Florett benutzen“, weiß Sabine Christiansen, die in beiden Ländern lebt und arbeitet.
Nicht das Medium ist die Botschaft, sondern die Botschaft im Medium. Also Rhetorik, Argumente, Emotionen, Attacke der Kandidaten? „Ja“, sagt Forscher Reinemann, und „dann entscheidet der Gesamteindruck das Duell, nicht aber die Wahl.“ Christiansens Überzeugung ist, „TV-Duelle haben nur eine kurzzeitige Wirkung bei den Wählerinnen und Wählern“.
Alle Duelle fanden bisher im Studio Adlershof statt, und stets galt ein Fahrplan: Moderatoren kommen vor den Kandidaten, der Herausforderer stets vor dem Kanzler. Dass wie 2002 beide Politiker mit derselben Krawatte auftauchen – damals konnte mit einem Satz an Ersatzkrawatten geholfen werden –, steht wegen der Teilnahme von Angela Merkel nicht zu befürchten. Ohnehin werde die „Kleiderfrage“ in der Regel überbewertet“, glaubt Forscher Reinemann.
Zur Vorbereitung eines Duells gehört seine unmittelbare Nachbereitung. Wenn die Lichter im Studio aus- und die Lichter in der Halle mit Parteifreunden und Journalisten angehen, stimmen die jeweiligen Sympathisantenchöre ihre Gesänge an. Beide Lager sind sicher, dass sie ihren Kandidaten beziehungsweise ihre Kandidatin nach dem Duell zum glasklaren Sieger/zur glasklaren Siegerin erklären müssen, um bei den Wählern Wirkung zu erzielen. Die beteiligten Sender organisieren anschließend Talkrunden, in einer weiteren Welle schwappt die mediale Meinung übers Wahlvolk. Uwe-Karsten Heye macht sich gleichwohl keine Illusionen: „Aus der Opposition heraus gewinnt keiner, wenn es keine Wechselstimmung gibt.“
Die Sender machen ein großes Geheimnis aus den Kosten, die diese Veranstaltung mit mehreren hundert Gästen verursacht. Die Rechnung wird jedenfalls paritätisch aufgeteilt, was wenigstens den Privatsendern Tränen in die Augen treiben dürfte. Sie haben ihrer staatsbürgerlichen Pflicht genügt, sie haben nicht versucht, mit einem attraktiven Gegenprogramm die Aufmerksamkeit vom Ereignis wegzuziehen. Zur Historie des TV-Duells gehört auch, dass dabei die Sieger unter den Sendern schon feststehen: das Erste vor dem Zweiten vor RTL vor Sat 1. Bei paralleler Ausstrahlung regiert die Eins auf der Fernbedienung den Einschaltimpuls.
Zur herausgehobenen Bedeutung des Ereignisses gehört auch der Umstand, dass die Kulisse für jedes Duell neu gebaut wird. Offenbar ist sie so originell oder das Ereignis so einzigartig, dass sich die Sender gegen das Recyceln und für den Recyclinghof entscheiden. Nur die Stehpulte des Premieren-Duells haben es in das Haus der Geschichte in Bonn geschafft.
Wie auch immer der TV-Zweikampf Merkel vs. Schulz am 3. September ausgehen wird – eines steht für Sabine Christiansen schon fest: „Nach dem Duell haben die Kandidaten nur eine Frage: Wie war ich?“
Der Text erschien in der "Agenda" vom 27. Juni 2017 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.