Neues "Tatort"-Team aus Erfurt: „Voll krass, alter Falter“
Jung, frisch, dynamisch – so bewirbt der MDR den neuen „Tatort“ aus Erfurt. Doch es hapert an der Umsetzung. Das sympathische Team um Friedrich Mücke, Benjamin Kramme und Alina Levshin hat hingegen durchaus Potenzial.
Jedes neue „Tatort“-Team der ARD braucht einen Stempel, so auch die neue Mannschaft aus Erfurt. Die Kommissare sollen sich durch unverwechselbare Eigenschaften im Gedächtnis der Zuschauer wenn nicht einbrennen, so doch zumindest dort einen festen Platz finden. Um das Attribut des durchgeknalltesten Kommissars in der Riege der Neuzugänge kämpfen derzeit der von Jörg Hartmann verkörperte Peter Faber in Dortmund mit dem Saarbrücker Ermittler Jens Stellbrink alias Devid Striesow. Cooler als Till Schweiger in der Rolle des Nick Tschiller in Hamburg ist kaum noch möglich. Der MDR schickt nun seine neue Mannschaft in Erfurt an diesem Sonntag mit dem Etikett „Jüngstes ,Tatort‘-Team aller Zeiten“ in den ersten Einsatz. Doch das ist weder ganz richtig noch strategisch wirklich weitblickend.
Das Erfurter „Tatort“-Team wird angeführt von Kriminalhauptkommissar Henry Funck, gespielt von Friedrich Mücke. Mücke ist 32 Jahre alt, sein Kommissar hat einen Schlag bei den Frauen. Außerdem kann der einigermaßen schießen, vor allem, wenn sein Partner, Kriminaloberkommissar Maik Schaffert, in Bedrängnis gerät. Aber auch der vom Weimarer Benjamin Kramme – 31 Jahre alt – gespielte Kommissar weiß, wenn es darauf ankommt, mit der Waffe umzugehen. Die beiden bilden ein harmonisches Duo, die Spannung ergibt sich aus der Handlung, nicht aus einem streitsüchtigen Ermittlerpaar. Für Reibung sorgt höchstens deren Vorgesetzte, Kriminaldirektorin Petra Fritzenberger (Kirsten Block), die jedoch außerhalb des eigentlichen Teams steht. Dritte im Bunde ist vielmehr die 29-jährige Alina Levshin, deren Johanna Grewel als angehende Staatsanwältin bei der Polizei ein Praktikum absolviert. Grewel ist die vorlaute Besserwisserin des gemischten Trios, die sich allerdings schnell als echte Bereicherung des Teams herausstellt. Schade, dass dem MDR nicht wirklich jemand mit einem solchen Faktenwissen zur Verfügung stand, als der Sender auf die Idee mit dem jüngsten Team kam. Denn wenn man den Zeitpunkt der Ausstrahlung betrachtet, war die 1961 geborene Ulrike Folkerts bei ihrem Amtsantritt als Lena Odenthal in Ludwigshafen im Oktober 1989 erst 28 Jahre alt. Der Zeitstempel des MDR stimmt also nur, wenn man allein auf die „Tatorte“ der neuen Bundesländer blickt.
Doch gerade so, als Ost-Sender, will sich der MDR eben nicht präsentieren. Sicherlich erscheint es anfangs attraktiv, mit einem jungen Team für einen frischen, dynamischen Ansatz zu werben. So wie Sibel Kekilli in Kiel als Sarah Brandt mit ihrer jugendlichen Art und ihrer Begeisterung für neue Techniken den perfekten Gegenpart zum grantig-kantigen Klaus Borowski alias Axel Milberg darstellt. Doch auf Dauer tut sich der MDR keinen Gefallen damit, wenn die Akteure alles „voll krass“ finden und sich mit „Alter Falter“ ansprechen.
In der Auftaktfolge „Kalter Engel“ steht die Universität Erfurt im Mittelpunkt. Mehrere Sexualdelikte haben die Stadt an der Gera erschüttert. Drei junge Frauen sind missbraucht und ermordet worden. Beim letzten Opfer handelt es sich um die Studentin Anna. Einige Spuren deuten darauf hin, dass es sich um unterschiedliche Täter handeln könnte. Zumal die Polizei den Frauenmörder Roman Darschner (Godehard Giese) bereits vor dem Auffinden der letzten Leiche gefasst hatte.
In seinem ersten Fall bekommt es das "Tatort"-Team aus Erfurt mit vielen Ungereimtheiten zu tun
Die Ermittlungen in Annas Wohnung, in der sie mit der Studentin Lisa (Henriette Confurius) lebte, ergeben weitere Ungereimtheiten. Woher stammte das viele Geld unter ihre Matratze? Warum ist Lisas Freund Michael (Florian Bartholomäi) offenbar betroffener von der Nachricht über die Ermordung Annas als die Mitbewohnerin? Was weiß die gutaussehende Kommilitonin Valerie (Karoline Schuch) über Annas Nebenverdienste? Während die studentische Welt den beiden Kommissaren weitgehend verschlossen bleibt, kann die als Praktikanten-Küken präsentierte Staatsanwältin in spe auch hier ihr Wissen ausspielen. Sie darf erklären, dass man das Studium nicht nur mit Bafög finanzieren kann und dass es Doping nicht nur im Radsport gibt. Etwas lockerer dürfte Praktikantin Grewel ruhig agieren, hier hat es Thomas Bohn (Buch und Regie) etwas übertrieben. Wie übrigens auch bei Darschners Fluchtszene gleich zu Beginn des Films.
Produzent Michael Smeaton kokettiert damit, dass man ihn wegen seiner Rosamunde-Pilcher- und Barbara-Wood-Verfilmungen als „Schmonzettenproduzent“ tituliert. Dabei kann er auch anders, so wie bei „Kommissar Beck“. Ganz unterdrücken lässt sich die Neigung zum Seichten aber offenbar selbst bei einem „Tatort“ nicht, einige moralin-getränkte Botschaften finden sich durchaus im „Kalten Engel“.
Trotz einiger Schwächen haben die Erfurter durchaus Potenzial
In einigen frühen Kritiken kommt der erste Erfurt-„Tatort“ nicht besonders gut weg, um es vorsichtig auszudrücken. Vorschusslorbeeren gab es offenbar keine, die junge Attitüde wird eher kritisch beäugt. Ein Vergleich mit einem Dominik-Graf- Krimi wie der am vergangenen Sonntag erübrigt sich freilich. Doch trotz einiger Schwächen hat das sympathische Team in Erfurt durchaus Potenzial. Hier sind keine Kindergarten-Cops am Werk, die selbst am Vorabendprogramm scheitern. Zudem hat Produzent Smeaton absolut recht, wenn er Erfurt dafür lobt, dass die thüringische Stadt viele Gesichter hat.
„Tatort: Kalter Engel“, ARD, Sonntag um 20 Uhr 15
Kurt Sagatz
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