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Ein Plakat der Hoffnung. Das türkische Verfassungsgericht berät in diesen Tagen, ob inhaftierte Journalisten wie Ahmet Altan bald freikommen.
© AFP

Tag der Pressefreiheit: Viele Türken suchen bei Auslandssendern nach Alternativen zu Staatsmedien

Am Tag der Pressefreiheit ist die Macht der türkischen Regierung über die Medien so groß wie nie zuvor.

Es war der spannendste Wahlabend seit Jahren. Die ganze Türkei folgte an diesem 31. März gebannt der Stimmauszählung in Istanbul, wo die Regierungspartei AKP und die Opposition bei der Bürgermeisterwahl Kopf an Kopf lagen. Dann gab es plötzlich keine neuen Zahlen mehr: Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, die einzige Quelle für aktuelle Teilergebnisse, stoppte ihre Berichterstattung – in dem Moment, in dem Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu seinen Rückstand auf den AKP-Bürgermeisterkandidaten Binali Yildirim fast eingeholt hatte. Yildirim nutzte die Gelegenheit und erklärte sich auf Grundlage eines Vorsprungs von nur wenigen Tausend Stimmen rasch zum Sieger. Der Plan schlug fehl, weil die Wahlkommission in Ankara am nächsten Morgen klarstellte, dass Imamoglu die Wahl gewonnen habe.

Anadolu wies alle Vorwürfe der Parteilichkeit zurück, doch die Aktion zerstörte aus Sicht der Opposition den letzten Rest von Glaubwürdigkeit der fast 100 Jahre alten Agentur, die eigentlich überparteilich berichten soll, in Wahrheit aber zu einem Sprachrohr der Regierung geworden ist. Wenig später wurde Anadolu auch offiziell der Kontrolle des türkischen Präsidialamtes unterstellt. Im Parlament bügelte die AKP einen Oppositionsantrag zur Untersuchung der merkwürdigen Informationspolitik der Agentur am Wahlabend ab.

Die meisten großen Zeitungen und Fernsehsender berichten ohnehin im Sinne von Präsident Erdogan, kritische Berichterstatter riskieren Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung oder Terror-Unterstützung. Am Tag der Pressefreiheit am 3. Mai ist die Macht der türkischen Regierung über die Medien so groß wie nie zuvor. Viele Türken schauen sich deshalb nach anderen Informationsquellen um – und werden im Ausland fündig. Türkische Dienste ausländischer Medien werden in der Türkei immer beliebter.

Das jüngste Angebot liefern die Auslandssender Deutsche Welle, BBC, Voice of America und France24, die vor wenigen Tagen einen gemeinsamen Youtube-Kanal mit türkischen Berichten vorstellten. „Unabhängig“ werde das neue Portal mit dem Namen „+90“ – nach der internationalen Telefonvorwahl der Türkei – sein, versprachen die Sender. Besonders die türkischen Online-Angebote von Deutscher Welle und BBC sind seit längerem bei türkischen Lesern beliebt und fungieren als Gegengewicht zu der beinahe gleichgeschalteten Medienlandschaft in der Türkei.

Ideologisch für eine „Besetzung“ bereit machen

Türkische Nationalisten sehen in dem neuen Youtube-Projekt einen Versuch des Westens, das Land zu schwächen. Allein die Deutsche Welle habe ein Budget von mehreren Millionen Euro, „um Erdogan zu stürzen“, schrieb der Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“, Ibrahim Karagül, auf Twitter. Der Kolumnist Salih Tuna warf den vier westlichen Medienhäusern in der Erdogan-treuen „Sabah“ vor, sie wollten die Türkei ideologisch für eine „Besetzung“ bereit machen.

Auch andere ausländische Medien haben den türkischen Markt für sich entdeckt. Der „Independent“ richtete kürzlich eine türkische Nachrichten-Website ein. „Sputnik“ aus Russland wirbt mit türkischen Berichten um Leser, aus Katar bietet „Al Jazeera“ türkische Berichte an.

Dass sich viele Türken lieber bei ausländischen Medien informieren, ist kein Wunder. Nach dem Putschversuch 2016 wurden mehr als hundert Medien verboten. Laut der türkischen Journalistenvereinigung TGC sitzen 142 Journalisten im Land in Haft, auf dem Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter Ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 157 von 180 Staaten.Kürzlich kamen mehrere Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ nach einer Bestätigung ihrer Haftstrafen durch das zuständige Berufungsgericht erneut ins Gefängnis.

Hoffnung auf Veränderung gibt es kaum. Nur das Verfassungsgericht in Ankara hat sich einigen groben Übergriffen gegen Journalisten in den Weg gestellt. Im Januar 2018 ordneten die Richter die Freilassung der Autoren Mehmet Altan und Sahin Alpay an, die trotz des Widerstandes untergeordneter Gerichte schließlich auf freien Fuß gesetzt wurden. In diesen Tagen beraten die Verfassungsrichter über weitere Fälle inhaftierter Journalisten, die auf Freilassung hoffen. Darunter sind Mehmet Altans Bruder Ahmet Altan und die Kolumnistin Nazli Ilicak. Sie sitzt seit 2016 in Haft.

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