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Am Ende: Wolfgang Schnur im März 1990 im Krankenhaus, wenige Tage nach Bekanntwerden seiner Stasi-Spitzeleien. Es ist das Aus für Schnurs steile Karriere.
© rbb/Alexander Kobylinski

RBB-Doku über Wolfgang Schnur: Verraten und verkauft

Tief in einer Parallelwelt: Eine RBB-Doku zeigt das doppelte Leben des Stasi-Spitzels Wolfgang Schnur.

Die Rollen in einer Diktatur sind in der Regel klar verteilt. Es gibt die, die das System unterstützen – aktiv oder passiv – und die, die es ablehnen. Und es gibt einige Wenige, die auf beiden Seiten zu finden sind. Es sind die Janusgesichter der Diktatur. Ein solches war der Rechtsanwalt, DDR-Oppositionspolitiker und Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit Wolfgang Schnur.

Als Schnurs Doppelköpfigkeit am 8. März 1990 auffliegt, können es seine engsten Mitstreiter in der DDR-Oppositionsgruppe des Demokratischen Aufbruchs nicht glauben. Das könne nur eine Intrige der Stasi sein, meinen ehemalige Mandanten. Tage zuvor war Schnur noch mit Helmut Kohl in Erfurt vor über 100 000 Menschen im Wahlkampf zur Volkskammer aufgetreten. Er schien der kommende Mann der DDR, vielleicht sogar ihr erster demokratisch gewählter Ministerpräsident.

Dennoch ist Schnur vergessen. Sein Tod Anfang 2016 war Zeitungen eine kleine Meldung wert, wenn überhaupt. So ist es schon bemerkenswert, dass der RBB am Sonntag in der Reihe „IM Dienst der Stasi“ mit „Der Fall Wolfgang Schnur“ aufwartet. Wobei das vor allem der Verdienst des Autors Alexander Kobylinski ist. Kobylinski, der im Frühjahr verstarb, war selbst Mandant von Schnur und wurde unter seiner Vermittlung 1985 in die Bundesrepublik freigekauft. Kobylinski hat Schnur kurz vor dessen Tod interviewt.

Dieser ist verarmt und vom Krebs gezeichnet. Einzig seine nicht enden wollenden Schachtel-Sätze, erinnern an den schillernden Anwalt vergangener Tage. Die Inhaftierung des DDR-Oppositionellen Thomas Kretschmer kommentiert er wie folgt: „Wenn dem so ist, dass ich die Ursache dafür sein sollte, dann tut es mir unendlich leid, weil das ja ein totaler Widerspruch zu meinem Grundanliegen gewesen ist, und dann ist dies ein absoluter Bruch zu der sonstigen von mir wahrgenommenen Haltung, denn ich hatte doch kein Interesse, dass ein Mensch nur eine Sekunde länger in den Haftanstalten verbleibt.“

Er engagiert sich in der FDJ

Der Film erzählt Schnurs Lebensweg schnörkellos chronologisch: Er kommt am 8. Juni 1944 in Stettin zur Welt. Die Mutter gibt ihn in ein Kinderheim und flieht in den Westen. Als die Rote Armee näher rückt, wird das Heim nach Rügen verlagert. Kobylinski widmet der Kindheit und Jugend Schnurs nur wenige Minuten, deutet aber an, wie prägend diese Zeit gewesen sein muss. Für den Vollwaisen Schnur werden Lehrer und Pionierleiter zu Bezugspersonen. Er engagiert sich in der FDJ. Nach einem Aufenthalt in der BRD, wo er seiner Mutter begegnet – und von ihr wieder verstoßen wird – macht Schnur Karriere in der DDR. 1964 fällt er dem Ministerium für Staatssicherheit auf (MfS). Ein Jahr später willigt er ohne zu Zögern ein, fortan als „IM Torsten“ für die Stasi zu arbeiten.

Schnur wird als Anwalt in Kirchenkreisen angesetzt, betreut Wehrdienstverweigerer und Oppositionelle. Gerade für Inhaftierte ist Vertrauen ein hohes Gut. Schnur weiß damit umzugehen und steigert sein Ansehen in Bürgerrechtskreisen und im MfS. Er erhält Auszeichnungen von Stasi-Chef Erich Mielke. Als die Kirchen Ende der 1980er Jahre zum Hort des Widerstands werden, spitzelt Schnur fleißig, verhindert Protestaktionen, bringt Menschen hinter Gitter. „Wir brauchen ihn“, verkündet ein Stasi-Mitarbeiter.

Das Pensum und die Rastlosigkeit Schnurs muss der Stasi irgendwann ungeheuerlich erschienen sein. Sie lässt ihn überwachen. Doch Schnur beteuert, Kommunist zu sein: „Mein Herz hängt an der Sache.“ Alexander Kobylinski spielt sich nicht als Richter auf, er unterlässt es, Schnur bloßzustellen. Das schafft dieser von allein. Der Film bekommt dadurch aber keine Tiefe. Etwas Ruhe und die Konzentration auf eine Zeitspanne hätten ihm gutgetan. Und ein ordentlicher Text. Die gesprochenen Sätze kommen so platt daher, dass sie kaum von Kobylinski selbst stammen können.

Wie tief Schnur in einer Parallelwelt lebte, zeigt sich im Herbst 1989. Zusammen mit kirchlichen Bürgerrechtlern gründet er den Demokratischen Aufbruch, wird Vorsitzender und sitzt am runden Tisch. Sein Ex-Parteikollege Ehrhart Neubert berichtet, er habe schon Ministerposten verteilt. Sich selbst sah er als Ministerpräsidenten. So viel Selbstgerechtigkeit und Selbstbezogenheit macht ratlos. Dem Janusgesicht Wolfgang Schnur ging es nur um sich. Und um Aufmerksamkeit und Anerkennung, egal von welchen Seiten.

„IM Dienst der Stasi: Der Fall Wolfgang Schnur“, Sonntag, RBB, 22 Uhr 55

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