Schwule Serie „All you need“: Und das ist auch gut so
Nonnen in die Primetime, queere Charaktere in die Mediathek: Die ARD bringt die erste schwule, deutsche TV-Serie – in der Mediathek.
Eine Szene, mit der sich die Macher von „All you need“, Deutschlands erster TV-Serie mit queeren Hauptcharakteren, beinahe selbst ein Bein stellen. Bereits nach wenigen Minuten kommt es zum Oralsex auf der Club-Toilette. Geliebte Klischees: Es geht ja heiß her im Leben von Homosexuellen – ob im WG-Zimmer, der Sauna oder im Berliner Club-WC.
Es braucht schon ein paar Folgen der neuen ARD-Serie, bis die Ambitionen der Macher zum Tragen kommen: die Lebensrealität junger Schwuler als gelebte Normalität abzubilden, ohne deren sexuelle Orientierung als einzig bedeutendes Merkmal zu begreifen.
„Die Sexualität einer Figur ist mit Sicherheit ein wichtiger Aspekt, aber letztendlich auch nur ein Aspekt von vielen, die einen Menschen ausmachen“, sagt Autor und Regisseur Benjamin Gutsche. Und so ist es tatsächlich bei Medizinstudent Vince (Benito Bause), der sich bis dato nur auf seine Dating-Apps verlassen hat und nun seine große Liebe Robbie (Frédéric Brossier) kennenlernt, oder bei Mitbewohner Levo (Arash Marandi), einem Webdesigner, der zu seinem neu-geouteten und frisch geschiedenen Partner Tom (Mads Hjulmand) in die spießige Vorstadt zieht: Die Protagonisten sind einsam, tanzen nicht alle gerne im Berghain durch, erwarten Bestätigung von ihren Eltern, spielen gerne Minigolf, gucken Fußball, haben Beziehungsprobleme, soziale Stigmata, Ärger mit Freunden oder dunkle Geheimnisse.
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Und von wegen: Unter Schwulen gibt es keine platonischen Freundschaften. Vince, Levo & Co. unterscheiden sich in großen Teilen nicht von heterosexuellen Vertretern des Partyvolks – in einer Stadt, in der der Ex-Regierende seiner Homosexualität mit einem lässigen Bekenntnis eine gewisse Selbstverständlichkeit aufgedrückt hat.
Und das ist auch gut so. Ob Homo oder Hetero, ob Tinder oder Grindr: Viele Millennials haben unterm Strich die gleichen Bindungsprobleme, in dieser Serie eben etwas rosa eingefärbt.(„All you need“, ab Freitag, 7. Mai, fünf Folgen in der ARD Mediathek)
„Was ist schlimmer: schwul oder schwarz?“
Gutsche sei es sehr wichtig gewesen, seine Erfahrungen als Teil der schwulen Community einfließen zu lassen, um größtmögliche Authentizität zu schaffen. Über weite Strecken der fünf Teile à 20, 25 Minuten ist ihm das gelungen. „All you need“ hat witzige Dialoge, überzeugt durch sympathische Charaktere, die man noch nicht so oft auf dem Bildschirm sah, außer Christin Nichols als Mitbewohnerin Sarina, die ein Kind erwartet.
Durch die schwarze schwule Hauptfigur Vince erfährt die Serie einen interessanten Spin, da Robbies Erfahrungen als gedisster Schwuler von den Rassismus-Erfahrungen seines Freundes gebrochen werden („Was ist schlimmer: schwul oder schwarz?“ „Wer leidet mehr unter der Intoleranz seiner Mitbürger?“).
Dazu noch die Vorurteile des türkischen Späti-Verkäufers gegen Schwule. Wer ist hier die Minderheit? Das hätte im Ton daneben gehen könne, tut es aber nicht.
Von einem schockierenden Seherlebnis sind wir also weit entfernt, von ein paar nackten Popos mal abgesehen. Man wird es aushalten können, dass „All you need“ von klassischen Sehgewohnheiten abweicht, Staffel Zwei der Ufa-Produktion ist bereits bestellt.
„Bitter nötig“, sei die erste schwule TV-Serie aus Deutschland, sagt Gutsche im DWDL-Interview. Aber was heißt das: TV? Dass die Nonnen-Serie „Um Himmels Willen“ die Primetime im Ersten bekomme, „All you need“ in die Mediathek, ist für Christoph Pellander, Redaktionsleiter ARD Degeto, eine Chance.
Das lässt sich auch anders sehen. Eine Bitte an die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl: Beim ständigen Verweis auf Qualitäten, Chancen und neue Zielgruppen via öffentlich-rechtlicher Mediatheken sollte das lineare Fernsehen nicht ganz den Nonnen und Krankenhausärzten überlassen werden. Ins lineare Fernsehen kommt „All you need“ zwar auch, aber nur im ARD-Spartensender One, kurz vor Mitternacht (Folgen eins und zwei, Sonntag, 16. Mai, ab 23 Uhr 15, die Episoden drei bis fünf, 17. Mai).
Nichts gegen Streamingvorlieben und Videos on demand: Etwas mehr Mut und gutes Angebot auch im herkömmlichen Programm würde der alten Tante ARD gut tun. Es kann dann auch mal zum Oralsex in der dritten Szene kommen.