Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Unabhängigkeit braucht Solidarität
Reform der Öffentlich-Rechtlichen muss sein, Einflussnahme auf Inhalte darf nicht sein. Eine Position von Malu Dreyer
Demokratie lebt von Teilhabe, Offenheit und Freiheit. Deshalb brauchen wir starke, freie und unabhängige Medien in Europa. Ich bin besorgt, weil private und öffentlich-rechtliche Medien unter erheblichem Druck stehen. Es geht um wirtschaftlichen Druck, aber auch medienpolitische Einflussnahme. Alle ringen gemeinsam – gerade auch im europäischen Kontext – um Antworten auf die Herausforderungen in der digitalen Medienwelt. Mit der Audiovisuellen Mediendienstrichtlinie, die wir in Deutschland mit dem Medienstaatsvertrag umsetzen, ist uns ein wichtiger Schritt in die Zukunft gelungen. Mehr Transparenz, User-Generated-Content und Jugendmedienschutz gewährleisten, das sind nur einige der wichtigsten Stichworte der Richtlinie.
Doch wir erleben auch andere Phänomene, die mich alarmieren: Desinformation, Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken verändern und vergiften die politische Diskussionskultur. Journalistinnen und Redakteure werden beleidigt, diffamiert und angegriffen. Rechtspopulisten greifen Medienanstalten an und wollen politisch Einfluss nehmen.
Rufen wir uns in Erinnerung: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde im föderalen Deutschland gegründet, weil die demokratische Gesellschaft freie und von Einzelinteressen unabhängige Medien sicherstellen wollte. Die Medien haben die Aufgabe, gesellschaftliche Missstände aufzudecken und kritisch zu berichten. Dies gilt erst recht gegenüber der Politik. Beunruhigend sind deshalb beispielsweise die Vorgänge in unserem Nachbarland Österreich. Dort war den Medien zu entnehmen, dass Politiker einem Moderator des ORF nahegelegt hätten, eine „Auszeit“ zu nehmen, weil ihnen einige Beiträge nicht genehm waren, um im gleichen Atemzug mit Budgetkürzungen zu drohen.
Reformdiskussion nicht den falschen Kräften überlassen
Teils hitzige Debatten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlebten wir in der Schweiz mit der „No Billag“-Volksinitiative gegen die dortige Rundfunkgebühr oder in Dänemark bei der Umstellung der Finanzierung auf eine Steuer. Trotz der Zustimmung der Schweizer zu den öffentlich-rechtlichen Medien erfolgten anschließend Kürzungen der Budgets ohne eine Reform der Anstalt. Auch in Frankreich wird aktuell über die Finanzierung und mögliche Umstrukturierung der Anstalten diskutiert – ebenso wie in Deutschland. Gerade vor diesem gesamteuropäischen Hintergrund, aber auch mit Blick auf unsere nationale Debatte möchte ich daher betonen: Dringend notwendige Reformen anzumahnen und sich gleichzeitig schützend vor die vielen Journalisten und Journalistinnen und ihre gute, unabhängige Arbeit zu stellen, ist kein Widerspruch. Im Gegenteil: Wir dürfen die Reformdiskussion nicht den politischen Kräften überlassen, die über das Instrument der Finanzierung im Grunde nur inhaltlich auf die Sendeanstalten Einfluss nehmen wollen.
Und noch etwas ist mir in der Diskussion wichtig: Die duale Medienordnung in Deutschland hat zwei Säulen. Wir brauchen und wollen Pluralität und Vielfalt – auch in der digitalen Welt. Deshalb war wichtig, dass wir einen Kompromiss mit den Verlegern zum öffentlich-rechtlichen Online-Auftritt gefunden haben. Für die Ländergemeinschaft als Mediengesetzgeber ist immer entscheidend, den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Weiterentwicklung in ihrem digitalen Angebot zu ermöglichen und gleichzeitig die wirtschaftlichen Entfaltungsspielräume der privaten Marktteilnehmer im Blick zu behalten. Der Staatsvertrag zum Onlineauftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio ist hierfür ein gutes Beispiel. Er sichert die „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und adressiert gleichzeitig die berechtigten Interessen der privaten Medien, der Verlage und Sender.
Klar ist: Der Druck auf die Medien wächst seit Jahren schon allein durch die Herausforderungen der Digitalisierung. Das Internet hat einerseits viele neue Möglichkeiten eröffnet. Es war noch nie so einfach, am gesellschaftlichen Diskurs selbst aktiv teilzunehmen. Gleichzeitig beobachten wir, dass sich die Kontrolle über den Zugang zu Inhalten verändert, Meinungsmacht und Marktmacht immer häufiger zusammenfallen und rein wirtschaftlich getriebene Mechanismen immer mehr in den Vordergrund rücken. Der Verdrängungswettbewerb durch neue, zumeist US-amerikanische Anbieter hat stark zugenommen – gerade auch durch Anbieter, die sich selbst gar nicht unbedingt als „Medienunternehmen“ bezeichnen würden. Ihre gewachsene Bedeutung für den öffentlichen Diskurs lässt sich nicht mehr bestreiten. Hier auch in Zukunft kommunikative Chancengleichheit sicher zu stellen und Kommunikationsräume offen zu halten, wird daher eine der zentralen Herausforderungen für die Medienpolitik der nächsten Jahre sein.
Die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks können hier dazu beitragen, Konzentration und Monopolisierung von Meinungsmacht zu verhindern und gleichzeitig Vielfalt und publizistischen Wettbewerb zu fördern. Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Angebot finanzieren kann, muss er auch von allen Bürgern, soweit sie nicht aus sozialen Gründen befreit sind, finanziell solidarisch getragen werden. Dafür benötigt man gesellschaftliche und politische Akzeptanz und eine Balance im dualen Mediensystem. Es muss gelingen, dass qualitativ hochwertig recherchierte Medieninhalte – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat – auch weiterhin die gesamte Gesellschaft erreichen.
"Public Value"-Inhalte wieder verstärkt geschätzt
Der Bedarf an einer dualen Medienlandschaft – das Nebeneinander von privaten Medienunternehmen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk – ist größer denn je. In Zeiten von Desinformation, illegalen Inhalten und Datenskandalen bei den sozialen Medien wird bei der Suche nach qualitativ hochwertigen Inhalten wieder verstärkt auf die „public value“-Inhalte der privaten und öffentlich-rechtlichen Medien gesetzt. In ihnen sehen die Bürger und Bürgerinnen nach wie vor ein zuverlässiges, unabhängiges und für die Demokratie unabdingbares Gegengewicht. Dies stimmt mich bei allen Herausforderungen positiv und bestätigt die herausragende Rolle unserer Medien.
Für Demokratie, Pluralismus und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa ist eine starke, freie und unabhängige Medienlandschaft unverzichtbar. Sie zu erhalten und zukunftssicher weiterzuentwickeln, fordert angesichts der unterschiedlichen Herausforderungen allen Beteiligten viel ab. Für uns als Mediengesetzgeber heißt das erstens, die Medienordnung an die digitale Transformation anzupassen. Sowie zweitens – dort, wo es nötig ist – sich schützend vor die freien Medien zu stellen und sie gegen alle Versuche der Einflussnahme zu verteidigen. Hieran müssen und wollen wir uns messen lassen.
Malu Dreyer ist kommissarische SPD-Vorsitzende, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder.
Bisherige Beiträge in der Reihe „Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks": Patricia Schlesinger (15. April 2018), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni), Frauke Gerlach (22. Juni), Ulrich Wilhelm (5. August), Heike Raab (2. September), Hans-Günter Henneke (15. September), Christine Horz (20. Januar 2019), Siegfried Schneider (20. Februar), Ronald Gläser (3. März), Christian Bergmann (20. April), Doris Achelwilm (14. Mai), Tilmann Eing/Stefan Pannen (16. Juni), Thomas Dittrich (10. Juli)