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Medien: Sound, aber keine Worte

Pete Townshend ist der intellektuelle Kopf von „The Who“. Seine Gedanken verrät er im Internet

Am 23. Oktober 2006 wurde ein Engländer in Chicago bei einem Rockkonzert von Sicherheitskräften überwältigt, zu Boden geworfen und dort fixiert. Ein Wachmann hatte zugegriffen, weil der langhaarige Brite bei einem Show-Act wild gestikulierend die Barriere zwischen Musikern und Publikum überwunden hatte. Während der riesige Security-Mann auf ihm saß, musste der Täter zunächst einen Lachkrampf überwinden, bevor er seinem Häscher klarmachen konnte, einen Missgriff getan zu haben. Erst ein Blick auf die Bühne überzeugte den Sicherheitsexperten. Oben fehlte der Sänger.

Der britische Rockbarde James Blunt greift nicht nur als Songschreiber zur Feder. Die Chicago-Anekdote ist das Highlight seines Onlinetagebuchs. Wer sich allerdings vom Besuch von Blunts Blog tiefere Einblicke in das Seelenleben des musikalischen Gefühlsforschers erhofft, wird enttäuscht. Wie viele andere professionelle Musiker nutzt Blunt das Internet als Medium für etwas, das in anderen Zusammenhängen als „Herstellung von Kundenbindung“ bezeichnet wird. Man kann getrost annehmen, dass die zahlreichen Blogs von Musikern wie Franz Ferdinand, David Byrne, Ottmar Liebert oder Belle & Sebastian allein kommerziellen Zwecken dienen.

Anders verhält es sich mit Pete Townshends Blog. Der inzwischen 63-jährige intellektuelle Kopf von „The Who“ bloggt seit Februar. In den ersten Einträgen macht er sich Gedanken über die Möglichkeiten des Internet und zählt diverse Projekte auf, die er in den vergangenen Jahren bereits realisierte. Bei der Betrachtung der Erfolgschancen von Nachwuchsmusikern kommt er zu dem Ergebnis, dass das Internet wie jene Nachbarschaft funktioniert, deren Mund-zu-Mund-Propaganda früher zu erster Beachtung führte.

Schon nach wenigen Tagen beginnen die Einträge, persönlicher zu werden. Wer hätte gedacht, dass der Altrocker aus Begeisterung für gute Bücher lange Zeit einen eigenen Buchladen hatte? Zahlreiche Leser seines Blogs kritisierten allerdings seine Buchauswahl, nachdem er eine kommentierte Lektüreliste veröffentlicht hatte. Ob er immer nur Krimis lese? Nein, nein, betont er. Er habe auch schon ein gutes Buch über junge Hunde gelesen.

Inzwischen existiert ein Ableger des Blogs, in dem Townshend Kapitel der Autobiografie, an der er gerade schreibt, zur Diskussion stellt. Englischsprachige Medien stürzten sich auf die Veröffentlichung seiner Kindheitserfahrungen von Missbrauch und Gewalt mit der Erinnerung an den längst entkräfteten Kinderpornografievorwurf. Aber genauso wie Townshends differenzierte Darstellung federn die Reaktionen im Blog den Voyeurismus des Boulevards ab. Die intellektuelle Ambition seiner Reflexionen wird immer wieder durch anekdotenhaft leichte Episoden aufgebrochen.

Dass er eine Freundin wegen ihres Leopardenoutfits nicht mit in seine durchgestylte Mod-Clique nehmen mochte, wird in zahlreichen Zuschriften belustigt kommentiert. Seine sensible Wahrnehmung setzt Townshend in ausdrucksvolle Sprache um. Wie sterbende Tiere hätten die Gitarren aufgejault, wenn er sie am Ende der Auftritte zertrümmerte. Wenn dann Sätze folgen wie „Ich hatte einen Sound, aber noch keine Worte“, wird die Entstehung der Popmusik aus dem Lebensgefühl der 60er Jahre heraus plötzlich greifbar. „Eigentlich hatten wir eine Art von Journalismus im Sinn.“

Townshends Aktivitäten zeigen, dass die Möglichkeiten des Internet für ambitionierte Künstler noch gar nicht ausgelotet sind. Hierzulande suchen die Erfinder von E und U immer noch den exponierten Ort. Heinz Rudolf Kunze äußerte seine heftige Medienschelte im Februar lieber im Insiderblatt „Politik und Kultur“. Dass reges Interesse besteht, beweisen die Reaktionen auf Sven Regeners Blog bei Zeit Zünder, das nach 24 Einträgen endete. Vielleicht hat bald jemand wie Judith Holofernes Lust auf die gute alte Nachbarschaft. Sabine Pamperrien

Die Blogs im Internet:

www.jamesblunt.com/blog

www.petetownshend-whohe.blogspot.com; journal.davidbyrne.com

www.franzferdinand.co.uk/blog.php

www.belleandsebastian.com/

diarylist.php

Sabine Pamperrien

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