Interview über die Macht der Follower: „Social-Media-Kanäle können auch eine Belastung sein“
Wozu Follower gut sind, welche Risiken sie bergen und warum manches Modell zur Meinungsbildung out ist: Social-Media-Experte Jan-Hinrik Schmidt im Gespräch.
Herr Schmidt, Barack Obama hat auf Twitter 102 Millionen Follower und auf Facebook 55 Millionen Likes. Bei Mesut Özil sind es auf Twitter und Facebook zusammen knapp 54 Millionen. Wofür braucht ein Prominenter oder ein Fußballer denn so viele Follower?
Brauchen tut er sie nicht, aber zu einem Prominenten gehört eine Fangemeinde. Er hat sie, weil er sie haben kann.
Was macht man damit?
Bei Prominenten sind die Follower ihr Publikum, Interessierte und Fans, aber auch Leute, die auf dem Laufenden bleiben wollen. Zu denen können sie über soziale Netzwerke direkt sprechen und sind nicht auf Journalisten angewiesen. Eine Besonderheit dieser persönlichen Öffentlichkeiten ist außerdem, dass man einen Resonanzraum hat, in dem sich Posts durch Likes oder Kommentare weiterverbreiten. In den meisten Fällen dienen diese Social-Media-Öffentlichkeiten den Prominenten zur Vermarktung. Davon können sie mittelbar finanziell profitieren, weil sie zum Beispiel mit Sponsoren besondere Deals eingehen.
Entsteht durch eine so große Followerschaft eine Meinungsmacht?
Soziale Netzwerke eröffnen die Möglichkeit, eine große Kontrolle über die Botschaft zu haben, die man senden will. Aber die Kontrolle endet an dem Punkt, wo das Statement in einen weiteren Diskurs einfließt. Es wird kommentiert, aufgegriffen, weiterverbreitet, neue Debatten entstehen.
Wo kann so eine Debatte enden?
Aus der Özil-Debatte hat sich zum Beispiel in Form von #metwo eine Debatte über Alltagsrassismus entwickelt. Die Annahme, jemand sende seine Meinung und beeinflusse damit eins zu eins die Meinung anderer, ist nicht haltbar. Dieses Modell von Meinungsbildung war schon in den 1960ern veraltet.
Wäre es denkbar, dass Social Bots, also falsche gekaufte Profile, die man aus dem Bereich der politischen Propaganda kennt, auch für oder gegen Prominente oder Politiker Stimmung machen?
Ja, das ist prinzipiell denkbar, zum Beispiel kann auf jeden Tweet eines Prominenten automatisch mit einer Reihe von Tweets geantwortet werden, die auf kritische Webseiten verweisen oder anderweitig Kritik üben.
Die Sängerin Katy Perry hat allein auf Twitter 107 Millionen Follower, Donald Trump rund 55 Millionen und der Papst immerhin 18 Millionen. Warum sind das so unfassbar viele?
Wir haben es hier mit den Inbegriffen von Prominenz zu tun. Auch wenn der Papst oder sein Stab nicht twittern würden, sind die Dinge, die er sagt oder tut, von öffentlichem Interesse. Dadurch ist ein weiterer Kommunikationsraum hinzugekommen. Bei Politikern ist es ähnlich. Bei Trump muss man davon ausgehen, dass manche Tweets tatsächlich von ihm sind, bei anderen Beispielen sind professionelle PR-Stäbe zwischengeschaltet. Aus Sicht der Follower besteht der Reiz darin, dass man näher dran ist an den Personen und gleichzeitig mit allen anderen mitbekommt, was sie posten.
Also kommen die Follower automatisch, weil diese Promis so bekannt sind, und diese müssen gar nichts dafür tun?
Sie müssen etwas dafür tun. Ein Account, auf dem anfangs ein Foto auftaucht, und dann monatelang gar nichts mehr, wird nicht verbreitet. Menschen folgen einem Account, weil dort etwas passiert, das sie interessiert.
Was sind denn die Nachteile von so vielen Followern?
Es mag von den einzelnen Personen abhängen, aber so ein Kanal kann als persönliche Belastung empfunden werden, weil man ihn ständig bedienen muss. Es gibt außerdem Fälle, in denen man durch einen Post Konflikte aufreißt. Zum Beispiel, wenn ein Sportler verletzt ist und auf Instagram ein Foto postet, auf dem er mit einem Bier am Strand liegt. Dass man unbedacht Dinge veröffentlicht, die den Kontext sprengen oder Erwartungen verletzen, ist für Promis folgenreich, weil die Beobachtung größer ist und es zu Shitstorms kommen kann.
Im Juli wurde bekannt, dass Twitter 70 Millionen Fake-Profile und Bots gelöscht hat. Was bringt es, falsche Follower zu kaufen?
Durch gekaufte Follower wirkt die eigene Reichweite größer und motiviert auch echte Menschen zum Folgen. Interessant wird es aber, wenn es um gekaufte Anschlussinteraktionen wie Likes geht. Das sind Indikatoren, die die Algorithmen der Plattformen heranziehen, um den Inhalt auch anderen Nutzern anzupreisen. Gefakte Resonanz kaufen, um in Zukunft mehr echte Resonanz zu erzeugen, kann ein Beweggrund sein. Aber so etwas findet eher bei weniger prominenten Personen statt.
Jan-Hinrik Schmidt ist Soziologe und Medienforscher am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg.
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