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Indonesien, Palu: Menschen gehen eine Straße entlang in der Nähe des Ortes, wo ein Schiff während des Tsunamis an Land gespült wurde. Rund 5000 Menschen werden nach den Erdbeben und dem Tsunami in Indonesien noch immer vermisst.
© dpa

Katastrophen und Medienberichterstattung: Sind wir von Empathielosigkeit befallen?

Die Zahl der Toten steigt, die Zahl der Medienberichte sinkt, das Interesse des Publikums lässt nach. Weil wir alle im Katastrophenkarussell mitfahren. Ein Kommentar.

Die Zahl der Toten steigt, die Zahl der Berichte sinkt. Zwei Erdbeben und ein Tsunami haben vor zehn Tagen die indonesische Insel Sulawesi verwüstet. Mindestens 1700 Menschen sind ums Leben gekommen, die endgültige Opferzahl ist längst nicht klar. Aber das Ausmaß von Tod und Verwüstung war und ist größer als die Aufmerksamkeit der Medien und der Mediennutzer. „Welt“-Autor Daniel-Dylan Böhmer schreibt dazu: „Dass uns der Tsunami in Indonesien kaltlässt, ist gefährlich.“
Stimmt das, hat uns Empathielosigkeit befallen, vielleicht, weil wir von Katastrophenberichten übersättigt sind?

Bis zu Erdbeben und Tsunami war Sulawesi eine von mehr als 17 500 Inseln, die Indonesien ausmachen. Das Land liegt innerhalb des Pazifischen Feuerrings und wird sehr häufig von Erdbeben erschüttert. Entsprechende Meldungen sind nahezu alltäglich, erst die Zerstörungswucht der aktuellen Beben und des anschließenden Tsunamis brachten nennenswerte Ausschläge auf der (internationalen) Medienskala.

Die Berichterstattung gestaltet sich schwierig. Die Insel ist selbst für die global agierenden Networks und damit auch die deutschen Nachrichtensender und -sendungen nur mit Mühe erreichbar, zugleich die Dimension der Verwüstung die Bewegungs- und Berichtsfreiheit enorm einschränkt. Damit ist auch die Autorität des (Fernseh-)Bildes unterminiert, dito das Urvertrauen in die Beweismittel der Katastrophe auf Sulawesi erschüttert. Die Kommunikationswissenschaftlerin Liane Rothenberger stellt zu Recht fest, „für die meisten Leser und Zuschauer ist ein Bild die Wirklichkeit“.

Opfer dürfen durch Bilder nicht wieder Opfer werden

Was die Frage nach der Art und Weise der Bilder provoziert. Im Pressekodex heißt es: „Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.“ Ein schmaler Grat, denn ins Land geschleuderte Boote, Autos auf Dächern, Menschen, die sichere Aufenthaltsorte suchen, dokumentieren zwar unmögliche Lebensbedingungen, taugen aber nur bedingt, dass sich das Leid der Betroffenen mit dem Mitleid der Nichtbetroffenen koppelt. Der Tod wäre dafür das stärkste Instrument, wäre er nicht auch ein Verführer zu unhaltbarem Voyeurismus.

Mitleid braucht Nähe, geografisch, mental, als Erfahrungsschatz. Eine Sturmflut an der US-Ostküste ist dem Europäer, dem Deutschen nachvollziehbarer als ein parallel tobender Taifun in China. Der Tsunami auf Sulawesi erinnert viele stärker an den Tsunami 2004 in Südostasien als er selbst Interesse auf sich ziehen konnte. Die Meldungsfloskel „Deutsche unter den Opfern“ trifft 2018 nicht zu, 2004 waren es mehr als 500 tote Deutsche. Das ließ keinen in Deutschland kalt, wer kein Opfer kannte, der kannte einen, der ein Opfer kannte. Nach dem Tsunami kam die nicht enden wollende Berichtsflut mit Spenden- und Talkshow.

Immer mehr Katastrophen?

Medienkonsum ist Katastrophenkonsum. Was den Eindruck hervorruft, die Zahl der Katastrophen würde ständig steigen. Beweisen kann das keiner, wahr aber ist, dass es schon dem (Medien-)Eindruck nach so ist. Es gibt eine Konkurrenz der Katastrophen, eine Gewöhnung an Katastrophen und eine individuell unterschiedliche Wahrnehmung, was eine Katastrophe ist. Was dem einen oder anderen beispielsweise globale Erwärmung ist, ist für eine wachsende Zahl mit der Klimakatastrophe gleichzusetzen. Die Vertreibung der Rohingya aus Myanmar, das befürchtete Massaker beim Kampf um Idlib in Syrien, der mörderische Feuersturm nahe Athen – durch die Medien rast eine Katastrophe nach der anderen.

Für die Leser, Hörer und Zuschauer stellt sich die Frage, welche der Katastrophen sie mehr als nur registrieren. Die Antwort liegt in der individuellen Risikoabschätzung. Wie sehr gilt eine Katastrophe als Faszinosum, als „genaues Gegenbild zum funktionierenden System der modernen Gesellschaft“, wie es Medienwissenschaftler Norbert Bolz ausdrückt?

Im Katastrophenkarussell kann ein derartiges Ereignis an Relevanz verlieren, wie bei den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer tritt ein Gewöhnungseffekt ein, selbst wenn wieder von hunderten Toten die Rede ist. Es gibt ein Leben mit der, mit den Katastrophen. Abstumpfung wäre ein böses, wohl falsches Wort, weil sich bei der nächsten Katastrophe wieder Empathie, Trauer und Mitleid einstellen können.

Es kommt bei der persönlichen Reaktion auf die Katastrophe an. Wenn sie zu Haltung, vielleicht zur Neuorientierung herausfordert. Der Anschlag in Berlin, die Nuklearkatastrophe in Fukushima, allein der Umfang der Berichterstattung verdeutlicht dem Publikum die Relevanz des Ereignisses, das dann seine Standpunkte und Einstellungen zu überdenken beginnt. Was keine Katastrophe sein muss.

Joachim Huber

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