TV-Langzeitdokumentation: Sieg des Sisyphos
Seit 2012 mit der Kamera dabei: Eine TV-Dokumentation beschreibt den langen Weg zum neuen EU-Datenschutzgesetz.
„Daten sind das neue Öl. Das Öl des 21. Jahrhunderts. Das stimmt, wenn man bedenkt, wie Öl unsere Welt geformt hat. Öl hat unser Leben verändert, und Daten werden dasselbe tun. Aber wer keine Daten hat, hat auch kein Öl.“ Dieses neue Öl, die Daten, unsere Daten, ist für sie Gold wert. Sie, das sind die großen globalen Datenkraken – Microsoft, Yahoo, Facebook, Amazon, LinkedIn, Apple und wie sie sonst noch alle heißen. Sie wollen, wie es in David Bernets 90-minütigem Dokumentarfilm „Im Rausch der Daten“ so schön heißt, gar nicht mal unbedingt wissen, wer neben uns im Bett liegt oder wie wir nackt aussehen, nein. Aber sie wollen unsere Daten, und davon so viele wie nur irgend möglich. Je mehr Daten diese Konzerne über die Bürger haben, desto gläserner wird er, der neue moderne entindividualisierte gleichgeschaltete Mensch des 21. Jahrhunderts. Desto manipulierbarer. Desto fremdbestimmbarer. Denn genau das ist eine mögliche Vision der direkt vor uns liegenden Zukunft à la George Orwell.
Filmautor Bernet geht in seinem Dokumentarfilm zurück in den Januar 2012. Von diesem Moment an begleitet er den jungen EU-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht und die damals noch amtierende EU-Kommissarin Viviane Reding über einen längeren Zeitraum und dringt während der mehrjährigen Dreharbeiten tief ein in die zutiefst bürokratischen langsam mahlenden Mechanismen der undurchdringlich wirkenden Brüsseler Machtapparatur. Noch nie war bis dato ein Filmteam über einen solch langen Zeitraum und mit einer solchen Nähe im Inneren des EU-Getriebes.
Wenn David über Goliath obsiegt
Albrecht und Reding haben ein gemeinsames Anliegen, ein gemeinsames Ziel: den politischen Kampf um ein neues Datenschutzgesetz für die EU. Diesen Kampf, den Albrecht und Reding da antreten, er mag wirken wie ein weiterer Kampf David gegen Goliath, vielleicht auch wie Don Quijote gegen die Windmühlen. Denn ihre Gegner formieren sich alsbald: Es sind mächtige Lobbyisten, Wirtschaftsvertreter und Juristen, denen eine neue Datenschutzverordnung alles andere als willkommen ist und die Bürgerrechte herzlich einerlei zu sein scheinen.
Bernet nimmt in den folgenden Monaten und Jahren an unzähligen Sitzungen hinter verschlossenen Türen teil – sowohl bei engagierten Datenschützern als auch bei ihren entschlossenen Gegnern. Es ist ein Gesetzgebungsprozess, der – so hat es zwischendurch mehrfach den Anschein – nie enden wird. Sitzungen über Sitzungen. Zwischendurch montiert David Bernet immer wieder Kameraeinstellungen ein, die die kalten, abweisenden Fassaden der Brüsseler EU-Behörden zeigen, die schier endlosen labyrinthischen Gänge mit ihren Abzweigungen, Zimmern und Hinterzimmern. Eine kafkaeske Welt.
Der spannende Aspekt an „Im Rausch der Daten“ mag dabei sein, dass das Übergeordnete mit dem Persönlichen verquickt wird: Die Kamera ist dicht an Albrecht dran, der seinem Kollegen Ralf Bendrath, leitender politischer Berater in Albrechts Büro, einmal ein verzagtes „Wir schaffen das nie“ entgegenseufzt. Als schließlich der Gesetzestext in erster Textfassung vorliegt, gibt es nach dessen Bekanntgabe unfassbare 4000 Änderungsanträge. Berge an Papieranträgen liegen auf den Tischen. Eine Sisyphos-Arbeit.
Als der Fall um Edward Snowden publik wird, nimmt die Sache Fahrt auf. Es hat den Anschein, als gebe Snowden den Datenschützern im EU-Parlament Rückenwind. Als Albrecht und Reding sich schließlich nach der letzten Abstimmung in den Armen liegen, als über den wirklich letzten sensiblen Paragrafen abgestimmt ist, da ist es tatsächlich geschafft: Das neue Gesetz ist beschlossen. Am 15. Dezember 2015 einigen sich Parlament und Rat auf einen gemeinsamen Gesetzestext. „Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist Datenschutz der neue Umweltschutz“, heißt es an einer Stelle der Doku.
Am 25. Mai 2018 wird nun die neue Datenschutz-Grundverordnung der EU wirksam. Es ist jenes Gesetz, für das Jan Philipp Albrecht und Viviane Reding über Jahre so sehr gekämpft haben.
„Im Rausch der Daten“, ARD, Mittwoch, 22 Uhr 50