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Stefan Raab bei seiner Polit-Talkshow "Absolute Mehrheit".
© dpa

"Absolute Mehrheit": Sido gewinnt gegen Buschkowsky bei Raabs Polit-Show

Drogen, überzogene Gehälter und Jugendliche: Die Themen bei Stefan Raabs Talkshow „Absolute Mehrheit“ lagen innerhalb von Sidos Kernkompetenz. Buschkowsky und Co. blieben dagegen blass. Dass der Rapper so deutlich gewann, hatte aber noch andere Gründe.

Wäre die Zuschauerschaft von ProSieben repräsentativ für die deutsche Gesellschaft, Sido wäre wohl schon Bundeskanzler. Dass sie es nicht ist, ist zwar ein Segen, aber das extrem gute Abschneiden des Rappers bei Stefan Raabs Polit-Talkshow „Absolute Mehrheit“ sollte etablierten Politikern durchaus zu denken geben. 56 Prozent der Zuschauer riefen für den Ex-Gangsta-Rapper aus Prenzlauer Berg an und verhalfen ihm so zum Sieg - und zu 300 000 Euro Preisgeld. Das, obwohl mit Heinz Buschkowsky (SPD) und Jens Spahn (CDU) zwei medienerfahrene Profis mit in der Runde saßen. Den Erfolg deshalb nur Sidos Popularität als Musiker zuzuschreiben, läuft fehl. Denn eines hatte Sido den anderen Diskutanten voraus: Er nahm die Zuschauer ernst.

Drei große Themen sollten am Sonntagabend in der Sendung diskutiert werden: 1. Wie geht eine moderne Gesellschaft mit Drogen um? 2. Was spricht für ein Wahlrecht ab 16? 3. Darf der Staat die Spitzengehälter in der freien Wirtschaft begrenzen? Gleich beim ersten Themenkomplex disqualifizierte sich Heinz Buschkowsky selbst, der als Bezirksbürgermeister von Neukölln und Bestsellerautor sonst eigentlich nicht um klare Worte verlegen ist. Stattdessen schwadronierte er darüber, wie er einmal in einem Kibbuz in Israel an einem Joint gezogen und sich danach übergeben habe. Trauriger Höhepunkt seiner Argumentation war schließlich die unanfechtbare Aussage, Kiffen sei „nicht wie Fußnägelschneiden“. Weil Marihuana - anders als Fußnägelschneiden - nämlich eine Einstiegsdroge sei. Oder so.

Auch Jens Spahn, der als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU im Bundestag wahrlich substanzielle Argumente gegen eine Legalisierung von Drogen hätte vorbringen können, wandte sich an die junge potenzielle Wählerschaft vor dem Fernseher mit der Weisheit, Alkohol und Tabak seien anders als Marihuana legale Drogen, weil das eben immer schon so gewesen sei.

Um in dieser Runde zu gewinnen, musste Sido nicht brillieren, es reichte völlig, nichts Dummes zu sagen. „Ich finde Alkohol viel schlimmer als Gras. Man müsste Alkohol und Zigaretten auch verbieten. Das wäre konsequent.“, sagte Sido. Er hantierte nicht mit Zahlen und Historie, er verglich nicht Äpfel mit Fußnägeln. Er stellte sich nur die gleichen Fragen wie der Wähler vor dem Fernseher und sagte seine Meinung, die ja niemand teilen muss. Schon nach der ersten Themenrunde war klar, dass er das Rennen machen würde. Fast 60 Prozent der Zuschauer hatten zu diesem Zeitpunkt schon für ihn angerufen. Buschkowsky lag da bereits abgeschlagen auf Rang vier, gerade noch vor dem Grünen Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der sich in der Runde vor allem durch Schweigen auszeichnete.

Wirklich symptomatisch für die Politikverdrossenheit in Deutschland wurde die Debatte aber erst bei der Frage, ob eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sinnvoll sei.

„Nein“, sagte Buschkowsky diesmal etwas klarer und argumentierte wieder zielsicher an der Frage vorbei: Zehnjährige (!) könnten nicht abschätzen, welche Folgen ihre Entscheidung hätten. Und Spahn ging sogar noch weiter, als er sagte, das Wahlrecht ab 18 sei ein guter Kompromiss, weil man so davon ausgehen könne, dass die „Allermeisten“ die Themen „wenigstens ansatzweise“ überblicken könnten. Zwei Einschränkungen in einem Satz und ein klares Statement, wie viel Vertrauen der CDU-Mann in das Urteilsvermögen seiner Wähler hat. Sido muss nur noch verwandeln. „Habt ihr denn Angst, die wählen dann die Falschen?“, fragte er und setzte nach: „Ich bin dafür, dass jeder wählen kann. Wenn ich mir Gedanken mache und wählen will, ist es doch egal, wie alt ich bin.“

Politisch, das wird an diesem Abend klar, fühlt sich Sido bei Grünen und Linken zu Hause. Auch, wenn er das selbst vielleicht noch nicht wusste und über sein Wahlverhalten lediglich verrät, dass er sein Kreuz „definitiv nicht bei der CDU“ macht und Buschkowsky eher in seiner Eigenschaft als „Berliner Urgestein“ schätzt denn für dessen Politik. Nur bei der Frage nach den Managergehältern blieb Sido konservativ. Das Geld für seine Platten und Songs will er behalten. Von wegen staatlich begrenzte Spitzengehälter. Was Sido nun mit den 300 000 Euro Preisgeld macht, blieb am Sonntag offen. Er ist der erste, der es schafft, die „Absolute Mehrheit“ zu erringen. Mit etwas über 40 Prozent Zustimmung unter den Zuschauern war zuletzt Wolfgang Kubicki (FDP) am nächsten daran, den Jackpot zu gewinnen. Viel tun musste Sido für diesen Erfolg freilich nicht. Denn es ist ja nicht verwunderlich, dass ein erfolgreicher Entertainer bei einer Abstimmung, die auf Zuschaueranrufen basiert, in einer Unterhaltungssendung die meisten Stimmen erhält. Dass es aber vier Berufspolitikern nicht gelungen ist, einen Rapper, dessen Name eine Abkürzung für „Super-intelligentes Drogenopfer“ ist, argumentativ aus der Reserve zu locken, sagt mehr über die Politik aus als über Sido oder den viel kritisierten Unterhaltungsanspruch von Stefan Raabs Sendung „Absolute Mehrheit“. 

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