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Gleich gilt’s. Benjamin Netanjahu wird für eine Fernsehdebatte vorbereitet.
© ZDF

Arte-Doku über Benjamin Netanjahu: Seine Sicht der Dinge

Kurz vor der Wahl: Eine Arte-Doku rückt den Medienprofi Benjamin Netanjahu ins Licht. Es ist die Geschichte eines besonderen Politikertyps.

Der Mann wirkt unsicher, übernächtigt und unrasiert. Und er hat eine undankbare Aufgabe, soll die schockierenden Bilder des Libanon-Kriegs gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit verteidigen sowie einen militärischen Vorfall zwischen israelischen und US-Soldaten kleinreden. Die Arme vor dem Bauch verschränkt, in der Hand einen Spickzettel, die Augen immer wieder nach unten gerichtet. Es ist der erste offizielle Auftritt des jungen Diplomaten. So unvorbereitet sollte das amerikanische Publikum den Herren nicht noch einmal erleben.

Das war im Frühjahr 1983. Heute ist Benjamin Netanjahu Israels Ministerpräsident, durchgehend seit zehn Jahren. Viele im Land können sich den politischen Alltag ohne „Bibi“ kaum noch vorstellen. Jetzt stellt sich der 69-Jährige wieder zur Wahl. Der Konservative steht zwar unter Korruptionsverdacht, gleichwohl könnte der 69-Jährige zum fünften Mal das Rennen machen. Seine Anhänger halten ihn für alternativlos. Der Populist gilt ihnen als Retter des Volks. Wer ihn nicht als Held verehrt, wird gerne als linker Landesverräter geschmäht.

Der israelische Regisseur Dan Shadur hat sich jahrelang mit Netanjahu beschäftigt, jede Menge unbekanntes Material zusammengetragen und einen sehenswerten Dokumentarfilm gemacht. Es ist die Geschichte eines besonderen Politikertyps. Einer, der den Umgang mit traditionellen Medien perfekt beherrscht, sich zugleich von ihnen schikaniert fühlt. Der Vorwurf: Sie würden gleichgeschaltet Hetzkampagnen gegen ihn inszenieren.

Deshalb hat Netanjahu mithilfe des Internet eine Art Gegenöffentlichkeit erschaffen. Es geht darum, direkt zu kommunizieren und zu kontrollieren. Vor allem auf Facebook kann er ungestört seine Sicht der Dinge kundtun. Mehr als zwei Millionen Menschen gefällt das.

Kritik an seiner Person als Majestätsbeleidigung

In 85 Minuten schafft es der Filmemacher, Netanjahus Karriere so nüchtern wie nötig und facettenreich wie möglich nachzuzeichnen. Entstanden ist das Porträt eines widersprüchlichen Mannes, der eine Menge in seinem Leben erreicht hat, über viele Fähigkeiten verfügt, aber immer wieder aneckt, selbst Gefolgsleute verprellt und Kritik an seiner Person als Majestätsbeleidigung empfindet.

Shadurs Film hat zwei Ebenen. Auf der einen wird Netanjahus Laufbahn beschrieben. Es ist die Geschichte eines Israelis, der seine Jugendzeit in Amerika verbringt und von diesem Land geprägt wird. Und eines jungen Mannes, dessen Bruder Jonathan 1976 beim Anti-Terroreinsatz ums Leben kommt und der sich entscheidet, vom Managerposten einer US-Möbelfirma in die israelische Politik zu wechseln. Der Aufstieg zum Chef des konservativen Likud verläuft rasant. Das politische Naturtalent versteht es, rechte Positionen zu besetzen. 1996 übernimmt er das Amt des Ministerpräsidenten.

Mindestens ebenso spannend ist die zweite Ebene. Dan Shadur zeigt, wie Netanjahu lernt, mit den Medien umzugehen und sie für seine Zwecke zu nutzen. Aus dem einst unbeholfenen, um Worte ringenden, schwitzenden Mann wird ein Profi, der heute bei Fernsehinterviews sogar über Makeup und Raumtemperatur entscheidet. Einen großen Anteil an dieser selbstherrlich anmutenden Souveränität dürfte Lilyan Wilder haben.

Bei der amerikanischen Rhetoriktrainerin hat Netanjahu in den Achtzigern Sprechunterricht genommen. Von ihr lernte er in sieben Schritten, angstfrei zu reden. Netanjahu richtet sich ein kleines Studio ein, übt bis zur Perfektion. Heute nutzt der Premier vor allem soziale Medien, um sich direkt an die Israelis zu wenden. Fernsehen und Radio umgeht er so weit wie möglich. Sie gelten ihm als voreingenommen, ja, feindselig. Dagegen setzt Netanjahu seine Version. Es ist zugleich seine Wahrheit.

„Benjamin Netanjahu“, Montag, Arte, 22 Uhr 10

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