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Gerne fremd. Uwe Kockisch lebt in Madrid, dort erkennt ihn keiner.
© ARD

Porträt: Schauspielerei ist Denken

Der Stasi-General Hans Kupfer, der Commissario Brunetti: Facettenreich sind die Figuren des Kockisch, filmreif ist seine Biografie.

Die Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet, aber Uwe Kockisch sieht für einen Moment unglücklich aus. Es ist warm und er nimmt den Zipfel seines Jacketts, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Eine Fernsehreporterin will ihm ein paar Fragen stellen. Verlegen schaut er zu seiner Frau, die ein paar Schritte von ihm entfernt steht, als suchte er ihre Zustimmung, als bräuchte er ihren Halt. In der „Astor“-Lounge am Kurfürstendamm findet an diesem Tag die Vorpremiere zur ARD-Serie „Weissensee“ statt. Uwe Kockisch spielt eine der Hauptrollen. Aber er fühlt sich gerade nicht wohl in seiner Haut. Ihm fällt es schwer, Gast in seiner eigenen Vorstellung zu sein.

Seit Mitte September läuft die Familiensaga dienstags in der ARD. Man sieht den Schauspieler in einer Rolle, in der man ihn wohl am wenigsten erwarten würde, als Stasi-General. Er trägt Uniform, hat eine Brille, die ihn streng erscheinen lässt, er ist glatt rasiert. Eigentlich das Gegenbild zu Uwe Kockisch: ergrauter Mehrtagebart, etwas längere, dunkle Haare, gut sitzender Anzug. Man könnte ihn für einen wilden Künstler halten, der plötzlich aufsteht und die Wände rot streicht. Stattdessen redet er mit seiner tiefen Stimme so besonnen, als würde er eine Hörspiel-CD aufnehmen. So kennt man ihn auch als Commissario Brunetti: In den DonnaLeon-Verfilmungen gibt er seit sieben Jahren den italienischen Ermittler mit Sonnenbrille, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. „Lasset die Kinder zu mir kommen“ heißt der neue Fall am 7. Oktober im Ersten, und Brunetti löst ihn mit der Unaufgeregtheit einer venezianischen Gondel, die ohne große Stürme übers Wasser gleitet. Vielleicht ist es die Gelassenheit des Alters, die Uwe Kockisch so cool macht. Oder aber die Kunst, nur eine Spur von dem zu hinterlassen, was sich tatsächlich hinter einem Menschen verbirgt.

Der Eintrag von ihm bei Wikipedia ist auf das Nötigste reduziert. Er gleicht einer Geburtsurkunde, einem kurzen Vermerk darüber, dass er überhaupt existiert. 1944 wurde Uwe Kockisch in Cottbus geboren, er ist jetzt 66 Jahre alt. „Ich neige dazu, die Vergangenheit nicht mit in die Gegenwart hineinzuziehen“, sagt er. Über „Schnee von gestern“ möchte er eigentlich nicht mehr reden. Er erzählt lieber von seinen Rollen als von seiner Person. „Ich tauge nicht für Interviews“, behauptet er. Seine Frau schmunzelt. Wir sitzen zu dritt an einer langen Tafel im Alt-Berliner Biersalon am Kurfürstendamm. Er trinkt eine Cola, seine Frau auch.

Uwe Kockisch hat eine Biografie, die filmreif ist. Im ungeteilten Berlin vorm Mauerbau bewegte er sich als Teenager zwischen dem Kaugummigeruch des Westens und der Friedenstaube des Ostens hin und her. Er kaufte im sowjetischen Sektor Spiegelreflexkameras, die er im Westen verscherbelte, das Geld für das Fünf-, Sieben- oder sogar Zehnfache in Ostmark „umrubelte“. Das freie und unbeschwerte Leben endete, als 1961 die Grenze dichtgemacht wurde. Uwe Kockisch war damals 17 Jahre alt und plante einen Fluchtversuch. „Das Thema mag ich nicht sonderlich“, sagt er, „aber der Anlass der Flucht war kein politisches Manifest, sondern eher einer Konfusion zu verdanken. Plötzlich war wieder alles auf Stunde null zurückgedreht. Ich fühlte mich beengt.“

In Prerow an der Ostsee mietete er sich mit drei älteren Freunden eine kleine Ferienhütte. Sie beobachteten die Lage am Strand, an dem die Kutter an Land gezogen wurden. Keiner von den Jungs wusste, wie so ein Ding überhaupt funktioniert, wie man es fährt, aber es schien ihnen das geeignete Transportmittel zu sein. Bevor es zur Flucht kam, wurden sie verhaftet. Knapp ein Jahr saß Uwe Kockisch in Haft. Wie sich später herausstellte, hatte die Verlobte eines Freundes den Fluchtversuch bei der Polizei angezeigt. Uwe Kockisch war das Opfer eines Verrats geworden. „Ein Racheakt“, sagt er, „ein Klassiker. Ich meine, genau genommen hatte ja der Freund seine Verlobte verraten, indem er einfach abgehauen ist. Er hatte ihre Liebe verraten.“

Uwe Kockisch betrachtet eine Sache gerne von allen Seiten. „Dialektisch“ nennt er das. Er denkt lange nach, bevor er etwas sagt und ob er es überhaupt sagt. Auch Schauspielerei ist für ihn Denken. Anders könne man sich gar nicht einer Figur nähern, sagt er. Nimmt er eine Rolle an, beschäftigt er sich manchmal zwei bis drei Monate mit ihr. Als man ihm den Stasi-General Hans Kupfer in der Familiensaga „Weissensee“ anbot, fing er an, sich im Fernsehen Dokumentationen über Geheimdienste anzuschauen. Er sagt: „Das Interesse verschiebt sich, und selbst beim Kaffeetrinken läuft die Figur nebenher, sie wird immer facettenreicher.“

Genau genommen begann seine Schauspielkarriere am Theater in Cottbus. Dort fand Uwe Kockisch nach seiner Haft einen Job als Nachtpförtner, und er schaute unerlaubt bei den Proben zu. Wie dort ein Stück, Szene für Szene, erarbeitet wurde, faszinierte ihn. Er fuhr nach Berlin und bewarb sich an der Schauspielschule. Nach seinem ersten Vorsprechen schmiss ihn die Lehrerin mit den Worten raus „Kommen Sie nie wieder“. Ein Jahr später, da hatte er sich am Theater schon zum Hilfsgarderobier hochgearbeitet, sprach er wieder vor. Diesmal wurde er genommen.

Zwanzig Jahre spielte er am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Er gehörte zu den Stars des Ensembles. Als das Theater in den 80er Jahren zu einem Gastspiel in die Bundesrepublik eingeladen wurde, berief die Intendanz wegen ihm eine Sitzung ein. Uwe Kockisch galt als unsicherer „Reisekader“, sein Fluchtversuch stand noch in der Personalakte. Die Theaterleitung befürchtete, er könnte im Westen bleiben. Dass er doch mitfahren durfte, verdankte er ausgerechnet der Staatssicherheit. Ein IM hatte in einem Bericht vermerkt, dass der Schauspieler in der Kantine öfter erwähnt habe, seine Söhne niemals in der DDR zurückzulassen. Er hatte recht: Uwe Kockisch wollte kein Vater sein, der Westpakete an seine Kinder schickt.

Uwe Kockisch schaut seine Frau an und fragt: „Kann ich die Geschichte mit dem Käse erzählen?“ Sie nickt. Also erzählt er: „Da war ich dann im Westen im Supermarkt und sah eine riesige Theke mit verschiedenen Sorten von Käse, ich meine, mir reicht ja Rügener Badejunge. Und die hatten alle ein Verfallsdatum. So etwas kannte ich aus der DDR nicht. Ich fragte, wie der Käse anschließend verwertet wird. Und die Antwort lautete ganz einfach: wegschmeißen! Meine Begegnung mit dem Westen war also auch ernüchternd, ich bekam die ganzen Nebenwirkungen mit.“

Nach der Wende spielte er unter den „Weltmeistern“ der westdeutschen Regisseure Luc Bondy und Robert Wilson an der Berliner Schaubühne. Im Fernsehen wurde er mit der Serie „Zappek“ bekannt, er trat in Hauptrollen in Matti Geschonnecks „Die Nachrichten“ und in dem RTL-Zweiteiler „Die Grenze“ auf. Seine Filme als Commissario Brunetti werden in ganz Europa geguckt. Demnächst wird er in dem dritten ZDF-Krimi aus dem Spreewald „Die Tränen der Fische“ zu sehen sein. Uwe Kockisch ist oben angekommen. Er wohnt in Madrid, wo er vor drei Jahren seiner Frau begegnete. Er genießt es, dass ihn dort keiner kennt. Vier bis fünf deutsche Zeitungen liest er, jeden Abend schaut er sich die „Kulturzeit“ auf 3sat an.

In ein paar Minuten muss Uwe Kockisch über den roten Teppich gehen, Hände schütteln, ins Blitzlichtgewitter der Fotografen lächeln. Es ist die Arbeit des Schauspielers, die ihm am wenigsten liegt. Man sieht ihm die Zurückhaltung vor dem Premierentrubel an. Aber es geht ja um etwas. Nicht nur um eine Rolle, sondern auch um den Blick auf ein Leben und auf ein Land. Über die Figur des Generalmajors der Staatssicherheit sagt er: „Ich habe diesen Hans Kupfer als jemanden gesehen, der sich nach dem furchtbaren Krieg, nach der Ermordung seiner Eltern im KZ, einer neuen Gesellschaftsordnung zugewandt hat, aber im Laufe seiner Biografie dann doch feststellen muss, das für ihn diese Ideale immer öfter Fragen aufwerfen.“ Uwe Kockisch zeigt nicht bloß einen „Apparatschik“, sein Stasi-General ist kein Dämon in Uniform, sondern vielmehr ein Ritter von trauriger Gestalt. Es ist fast so, als habe Uwe Kockisch dieser Figur etwas von seinem eigenen Wesen geliehen, von seiner stillen Würde und seiner scheuen Freundlichkeit.

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