MÄNNER-TV: Raue Schale
„Der Seewolf“, die zehnte: Sebastian Koch als faustischer Kapitän
Wenn ein Stoff zehn Mal verfilmt wird, öfter als die „Buddenbrooks“ oder der Untergang der „Titanic“, dann muss schon etwas dran sein an dem Stoff. Der Seewolf. Der Seewolf! Fernsehmuseum, Kindheitserinnerungen. Für viele ist das immer noch und immer wieder die legendäre rohe Kartoffel, die Raimund Harmstorf in dem Weihnachtsvierteiler von 1971 in einer Szene mit bloßen Händen zerdrückt. Für Sebastian Koch, den neuen Seewolf im ZDF-Zweiteiler, ist die Geschichte des Kapitäns Wolf Larsen, der, erhaben über alle Regeln des menschlichen Miteinanders, auf einem Robbenfängerschiff im Pazifik seine Mannschaft tyrannisiert, eine „faustische Angelegenheit“. Der Seewolf, der sogenannte Böse, der immer nur das macht, was wir Guten uns nicht trauen oder zu sagen wagen.
So eine Type, so eine Geschichte kann man eigentlich nicht total versenken. Der Larsen erinnert von ferne ein bisschen an den Einzelgänger Gregory House, jenen neunmalklugen US-Serienarzt, dessen Beliebtheit bei den Zuschauern proportional zu seiner schlechten Laune und Misanthropie steigt, Dienstag für Dienstag auf RTL. Der Seewolf hat natürlich deutlich mehr Muskeln, und Grimme-Preisträger Sebastian Koch macht da als Hauptdarsteller nach einem mehrwöchigen Training eine gute Figur.
Dennoch, auch wenn in diesem Seewolf die Robben bluten, die Crew gequält und Seemannsgarn gesponnen wird, die Gischt stürmt, Fäuste und Messer fliegen – Koch setzt die Linie fort, die schon Thomas Kretschmann in der Seewolf-Adaption von Pro7 aus dem vergangenen Jahr eingeschlagen hatte: weg von der körperbetonten Darstellung eines Raimund Harmstorf, weg von der puren Abenteuergeschichte, mehr moralphilosophische Dialoge, mehr Vergeistigung.
Schwer zu sagen, ob sich das Jack London 1904 wirklich dabei gedacht hat. „Der Seewolf“ sei ja nicht unbedingt was für Frauen, heißt es öfters, und da diese bevorzugt Fernsehen vor allem in der Primetime schauen, gerade am Rosamunde-Pilcher-Sonntagabend im ZDF, verwundert der Mut der Fernsehmacher schon ein wenig, der x-ten Adaption des „Seewolf“ hier noch einen draufzusetzen. Die Produzenten haben, anders als heutzutage bei Hollywood-Piratenfilmen üblich, fast vollständig auf Computeranimationen verzichtet und die verführerische Rolle der Schriftstellerin Maud Brewster (Neve Campbell) ausgebaut, die als Schiffbrüchige an Bord von Larsens Schiff, der „Ghost“, kommt und zwischen den Seewolf und den ebenfalls schiffbrüchigen Dandy Humphrey van Weyden (Stephen Campbell-Moore) gerät. Eine Art Gretchen sozusagen, wenn wir schon mal beim „Faust“ sind. Dazu kommt noch, romangetreu, die Geschichte des verhassten Larsen-Bruders Death Larsen (grandios: Tim Roth), ebenfalls ein Robbenfänger, der in den bisherigen Verfilmungen keine so große Rolle gespielt hat.
Der skrupellose Seemann mit der Seele eines Philosophen also, die Wiedereroberung eines Stückes Weltliteratur. In fast jeder der insgesamt 180 Minuten, jedem Dialog, jeder Szene will durchscheinen, wie bedeutsam, wie grundlegend die Geschichte und ihre Protagonisten sind. Das muss man nicht unbedingt mögen. Alles in allem ist das aber schon ein geglückter, durchaus neuartiger „Seewolf“ (Regie: Mike Barker) in anderer Perspektive und internationaler Besetzung, dem Sebastian Koch, einer der gefragtesten deutschen Schauspieler und Spezialist für eher feinfühlige Charaktere („Stauffenberg“, „Die Manns“, „Das Leben der Anderen“, „Speer und Er“), über weite Strecken die richtige Mischung zwischen Kneipenschlägerei und Moralphilosophie verleiht.
Manchmal etwas weniger Mephisto, dafür mehr Temperament, mehr menschliche Bestie hätten dem Film gutgetan. Es muss ja nicht gleich die roh zerquetschte Kartoffel sein.
„Der Seewolf“, ZDF, 20 Uhr 15; der zweite Teil am Mittwoch, 20 Uhr 15
Markus Ehrenberg
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