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TV-Serie: Polizeiruf: Die Kinder von Rostock

Rostock wird zum "Polizeiruf"-Schauplatz: Die Stadt ist neu, die Kommissare sind neu, die Russenmafia nicht.

Die Rostocker haben ohnehin nie verstanden, dass Schwerin Landeshauptstadt wurde. Es liegt doch nicht mal am Meer. Und die Nachwende-„Polizeirufe“ bekam Schwerin auch. Sogar Wismar besaß irgendwann eine eigene Sonderkommission im Fernsehen.

Inzwischen muss der „Polizeiruf“ im Ersten nichts mehr beweisen. Und im Jahr 20 der Einheit wird nun also auch Rostock zum „Polizeiruf“-Schauplatz. Der gebürtige Ire Eoin Moore ist für den ersten Fall in Text und Regie verantwortlich und erspart der Stadt sowie den beiden neuen Kriminalisten nichts.

Sie heißen Alexander Bukow und Katrin König.

Er ist der Bodenständige, ein gebürtiges Nordlicht, das eher nichts sagt, und wenn es doch etwas sagt, klingt das ungefähr so: „Ich bin hier aufgewachsen, in der Dostojewski-Straße“ – Blick auf die neue Kollegin – „war’n russischer Schriftsteller.“ Da, wo sie herkommt, kennt man eher nicht so viele Russen. Profilerin! Wenn er das schon hört! Sie ist eben mehr der urban-zeitgeistige Typus. Die Dostojewski-Straße liegt in Rostock- Evershagen, einem jener Neubaugebiete, die gleich nach 1990 zu so trauriger Berühmtheit kamen, dass man Mühe hatte, Ausländern zu erklären, dass der Aufenthalt in dieser Stadt normalerweise nicht lebensgefährlich ist.

Auch Wikipedia kennt die „Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen“ und nennt sie die „massivsten ausländerfeindlichen“ Übergriffe „der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Das virtuelle Kind aus der Nachbarschaft, der neue Rostocker Kommissar müsste laut seiner „Polizeiruf“-Vita damals ein Jugendlicher gewesen sein. Der Neustrelitzer Gastwirtssohn Charly Hübner, der zuletzt mit Nikita Mikhalkov und Detlev Buck arbeitete und die Fernsehkrimilandschaft längst aus eigener Gastauftrittserfahrung kennt, ist eine gute Wahl. Es gibt ein Naturell, dass kommt wohl nur in Küstennähe vor, und Hübner hat es. Als seine Schauspielagentin ihm mitteilte, er sei soeben Kommissar in Rostock geworden, bat er sie aufzulegen und gleich noch einmal anzurufen. Wegen der Glaubwürdigkeit.

In der DDR konnte man keinen Schauspieler tiefer demütigen als wenn man ihn zum Fernsehkommissar machen wollte – woran man erkennt, dass egalitäre Gesellschaften zugleich viel elitärer sein können. Heute käme diese Wahrnehmung einem selbstauferlegten Berufsverbot gleich. Auch Anneke Kim Sarnau, die bereits als Kommissarin in der Krimi-Comedy-Serie „Dr. Psycho“ auffiel, passt mit ihrem spröden Charme in Ostseenähe. Vor allem aber: Beide passen zusammen. Kriminalistikoberseminar (sie) trifft auf Beinahe-Kriminellen (er), der schnell noch zur Polizei gegangen ist, bevor es ganz zu spät war. Und überhaupt käme ihm ihr Ton bekannt vor. So habe zuletzt seine Sportlehrerin mit ihm gesprochen.

Zeitgleich nach Rostock versetzt, treffen sie also in durchaus telegener gegenseitiger Skepsis aufeinander, kennen kaum die Namen ihrer Kollegen, als an der Warnow schon ein totes Mädchen gefunden wird und kurz darauf ein zweites. Beide stammen aus Evershagen wie Alexander Bukow. Natürlich, der ultimative Krimi der Rostocker Vorstädte ist auch ohne den „Polizeiruf“ längst gedreht worden. Andreas Dresens „Polizistin“ mit Gabriela Maria Schmeide, dieser Fernsehfilm, der noch nachträglich in die Kinos kam, ist wohl nicht zu überbieten.

Dresen hatte den gesichtslosen Plattenbauten zwischen Rostock und Warnemünde ihr Filmgesicht gegeben. Und wieder gleitet die Kamera an den Blocks entlang, blickt in die Fenster und nimmt doch plötzlich wahr, dass auch im Innern solcher Betonwelten Heimat sein kann. Eine Mutter telefoniert mit ihrer Tochter, die winkt aus einem erleuchteten Fenster gegenüber, wo die beste Freundin wohnt. So haben sie es schon oft gemacht, es wird später werden. Eoin Moore hat einen schönen Sinn für Details, die mehr über Menschen und Orte verraten als Worte es könnten. Am nächsten Morgen identifiziert die Mutter ihr totes Kind, 13 Jahre alt. Tod durch Partydrogen, Crystal in „Russenmischung“. Der Verdacht fällt auf die Russenmafia.

Über die real existierende Rostocker Russenmafia sagt die real existierende Rostocker Polizei, sie sei zwar da, aber das sei auch schon so ziemlich alles, was man wisse. Da ist das neue Fernsehkriminalistenpaar schon in seinem ersten Fall erfolgreicher. Für alle, die sich bei den ewigen Ermittlungen dennoch leicht langweilen: Das Wesentliche passiert – im „Polizeiruf“ wie im wirklichen Leben – ohnehin dahinter.

„Polizeiruf 110: Einer von uns“, ARD, 20 Uhr 15

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