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Update

Hass im Netz: Pöbelei im Schutze der Anonymität

Obszönitäten, Rassismus, Mobbing - Beleidigungen im Netz sind alltäglich. Woher kommt das Phänomen – und was kann man dagegen tun?

Es ist der Ton, der sie verbindet. Und auch die Zielrichtung. Die Motivation aber ist unterschiedlich. Pöbeleien im Netz gibt es, seit es das Internet gibt, aber sie rücken jetzt stärker ins Bewusstsein.

Da gibt es seit einigen Wochen beispielsweise die Montagsdemos. Zu Zeiten des Umbruchs in der DDR trugen diese Zusammenkünfte zum Fall der Mauer bei. Später versammelten sich unter diesem Namen Demonstranten mit unterschiedlichsten Anliegen. Seit Mitte März gibt es jetzt die „Montagsdemos 2.0“, die sich selbst als Friedensbewegung ansehen, aber von Kritikern eher als Ansammlung von Verschwörungstheoretikern und zum Teil Rechtsradikalen gesehen wird. Sie agieren auf der Straße, aber auch im Netz, in dem sie Foren vor allem klassischer Medien zu kapern versuchen. Ihre Kritik richtet sich an die Politik, aber auch an die etablierten Medien.

Es gibt im Netz aber auch diejenigen, die nur auf das Pöbeln aus sind. Jüngstes Opfer wurde die Kandidatin Aminata der Fernsehsendung „Germany’s Next Topmodel“, die in Foren des Senders aufs Übelste rassistisch beleidigt wurde. Und auch in Schulen klagen Lehrer über Mobbing im Netz.

Ist Anonymität im Netz ein Problem?

Viele Kommentare werden im Netz mit Pseudonymen gepostet. Das soll in erster Linie Schutz bieten, etwa vor Verfolgung, aber auch wenn es um Kritik am eigenen Arbeitgeber geht. Doch diese Schutzfunktion wird auch ausgenutzt, um unter dem Deckmantel der Anonymität zu hetzen. Wirksame Alternativen gibt es kaum. Einige Medien haben zwar eine Klarnamenspflicht eingeführt, was aber ebenso problematisch ist, da die Identität nur sehr kompliziert feststellbar ist. Der Deutsche Presserat, die freiwillige Selbstkontrolle der Presse, arbeitet an neuen Regeln für Online-Kommentare. Im Zentrum steht dabei die Moderation. Eine Klarnamenspflicht empfiehlt das Gremium nicht. Die Herkunft eines Kommentars kann in der Regel auch über die IP-Adresse des Users herausgefunden werden, was vor allem bei möglicherweise strafrechtlich relevanten Kommentaren wichtig ist. Außerdem soll es künftig möglich sein, sich beim Presserat auch über Kommentare in Foren von Zeitungen und Zeitschriften zu beschweren.

Welche gesetzlichen oder moralischen Maßstäbe gibt es für Netzinhalte?

Wegen der Anonymität ist es schwer, die Täter zu verfolgen. „Theoretisch kann bei beleidigenden oder volksverhetzenden Äußerungen beispielsweise auf Facebook Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt werden“, sagt Medienanwalt Christian Schertz. Facebook müsste in einem solchen Fall die E-Mail-Adresse des Nutzers an die zuständigen Behörden geben. In der Praxis sei dies kaum durchsetzbar. „Faktisch kann der Staat das Individuum im Netz nicht schützen“, sagt Schertz. Umso wichtiger sei, dass jeder Nutzer in Internetkompetenz geschult werde.

Facebook selbst betont, dass rassistische Hetze auf der Plattform „nicht toleriert“ werde. Wie oft Nutzer deshalb aber gesperrt oder tatsächlich juristisch belangt werden, teilt eine Sprecherin nicht mit. Sie verweist lediglich darauf, dass die Nutzer selbst Verstöße gegen die Richtlinien von Facebook melden können. Unter den „Community Standards“ gebe es dazu Hilfestellung. Als nicht problematisch sieht das soziale Netzwerk dagegen die jüngsten Äußerungen zu den sogenannten „Montagsdemos“ an, über die derzeit vielfach in den Kommentarspalten auf Facebook diskutiert wird. „In der Vergangenheit hat es immer wieder Aufrufe mit kontroversem Inhalt auf Facebook gegeben, unter anderem auch gegen Facebook selber.“ Solange kontroverse Debatten den Richtlinien entsprächen, sollten sie auf Facebook stattfinden, sagte ein Sprecher.

Wer steckt hinter der jüngsten Bewegung, den Montagsdemos?

Die Bewegung ist recht diffus. Zuletzt versammelten sich etwa 1000 Personen am Potsdamer Platz in Berlin. Auch in anderen Städten gab es Kundgebungen. Dabei kamen unterschiedlichste Personen zusammen: Väter, Mütter, Kinder, Professoren, aber auch Verschwörungstheoretiker und bekannte Rechtsradikale wie der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke. Die Ukraine-Krise gilt als Ausgangspunkt für die Bewegung. Sie hält den Medien vor, die russische Position zu ignorieren. Die Vertreter geben sich selbst als „Putin-Versteher“ aus. Zu den Köpfen der Bewegung zählen der 34-jährige Berliner Lars Mährholz sowie der ehemalige RBB-Moderator Ken Jebsen, der wegen antisemitischer Äußerungen aufgefallen war, weshalb sich der Sender von ihm trennte.

Das Misstrauen gegenüber etablierten Medien - woher kommt es?

Woher kommt das massive Misstrauen gegenüber etablierten Medien?

Was im Netz geschrieben wird, ist nicht die Mehrheitsmeinung. Im Gegenteil, sagt Klaus Beck, Professor für Kommunikationspolitik an der FU Berlin. Weil das Internet gerade in seiner „Artikulationsfunktion“ genutzt wird, dominierten dort automatisch die Unzufriedenen, beziehungsweise nehmen überproportional viel Raum ein. Das Misstrauen gegenüber den etablierten Medien hält er deshalb für gar nicht so groß – auch wenn die Leserkommentare auf Nachrichten-Websites oder auf Facebook eine andere Sprache sprechen. Beck beruft sich dabei auf langfristig angelegte Studien – beziehungsweise geht davon aus, dass das Vertrauen in die klassischen Medien in den vergangenen Jahren nicht signifikant gesunken ist.

Tatsächlich verändert hat sich die Möglichkeit, sich zu äußern. Wo früher nur eine kleine „Elite“ an der Debatte beteiligt war, zu der Joachim Trebbe, ebenfalls FU-Professor, die klassischen Medien zählt, kann sich heute im Prinzip jeder äußern. Und ist möglicherweise umso frustrierter, geht das eigene Statement nicht in der selbst favorisierten Länge und Breite in der Berichterstattung auf. Aber nicht jeder nutzt das technische Potenzial zur Artikulation. Nach Ansicht von Klaus Beck dominieren jüngere Männer, die technisch versiert sind, Zeit und einen gewissen Bildungsgrad haben – und denen sonst gar nicht daran gelegen sei, sich in politische Debatten einzumischen.

Im Zusammenhang damit wird die Frage, was Journalismus und wer Journalist ist, heftig diskutiert. Können Aktivisten Journalisten sein – wie es zum Beispiel Glenn Greenwald, einer der Snowden-Vertrauten und früherer Mitarbeiter des „Guardian“ explizit fordert? Dies stünde auf jeden Fall im Kontrast zum Objektivitätskriterium, dem sich Journalisten verpflichten. Möglicherweise werden Blogs für bestimmte Spezialthemen künftig eine immer stärkere Rolle spielen. Vielleicht, spekuliert Klaus Beck von der FU, finden aber auch gerade Gruppen, die bisher auch aufgrund mangelnder Ressourcen keinen direkten Zugang zu Politik und klassischen Medien hatten, über die verschiedenen Kommunikations- und Plattformen im Netz mehr Aufmerksamkeit und darüber auch Zugang zu den „elitären“ Debatten. Jedoch hat er hier keine besonders hohen Erwartungen: Bereits vor 20 Jahren habe man große Hoffnungen auf „das Netz als Befreiung von institutionellen Zwängen“ gesetzt. Damals sei nur statt der sogenannten sozialen Medien Chats und Newsrooms diese Rolle als neuen Foren der Partizipation zugeschrieben worden.

Wie geht der Tagesspiegel mit dem Hass im Netz um?

Die Aktivisten der neuen Montagsdemos versuchen auch die Foren klassischer Medien zu kapern. Welche Erfahrungen macht der Tagesspiegel, und wie geht er auf seinendigitalen Kanälen damit um?

Wie digitale Flugblätter wurden Parolen kopiert und in unseren Facebook- und Twitterkanälen oder in den Kommentarspalten auf Tagesspiegel.de verbreitet. Termine zu bevorstehenden Montagsdemos wurden wahllos unter allen aktuell verfügbaren Texten eingefügt. Staatsnahe Propaganda, Kriegshetze durch eine gleichgeschaltete Journaille lautete dann die Kritik in Hunderten von Kommentaren oder E-Mails, die oft auch Drohungen oder Beleidigungen enthielten. Die angebliche Geheimhaltung von Ufo-Sichtungen oder das Versprühen sogenannter „Chemtrails“, die als „tödliche Kondensstreifen“ morgens zu erkennen seien und unter anderem der Bevölkerungsreduktion dienen sollen, mischten sich auch darunter.

Termine zu Demos wurden unter allen aktuell verfügbaren Texten eingefügt

Kommentare auf unserer Webseite werden zunächst von unserer Community-Redaktion überprüft, ob sie beispielsweise beleidigend oder ehrverletzend sind. Erst nach der Prüfung werden sie freigeschaltet. Viele der Kommentare dieser Bewegung konnten nach diesen Maßstäben nicht publiziert werden. Andere Sympathisanten dieser Gruppe versuchten aufzuklären und positionieren sich gegen Nazis, für den Weltfrieden und Multikulti und unterstreichen ihren Anti-Antisemitismus, indem sie explizit alle Juden einladen, an dieser Bewegung teilzunehmen. Wurden derartige Kommentare in sachlichem Ton zu themennahen Artikeln verfasst, haben wir sie freigegeben. Um eine Debatte schien es ihnen nicht zu gehen, auf Reaktionen gab es keine Antwort. Ziel schien nur die größtmögliche Verbreitung ihrer Botschaft zu sein.

Auch eine Facebookgruppe mit dem Slogan: „Hallo Welt! Wir sind Anonymous. Wir sind viele. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Erwartet uns“ hat zu Aktionen auf unserer Webseite aufgerufen. Bei genauerer Betrachtung diverser Facebookprofile in der Gruppe, die immerhin das Interesse von rund 400 000 Facebooknutzern weckt, fällt auf, dass auch viele junge Erwachsene, mit sonst geringem politischem Engagement in sozialen Medien, sich der Aktion angeschlossen haben und vorgefertigte Texte für die Verbreitung auf unserer Seite nutzten.

Rassistische Kommentare, wie sie die Model-Kandidatin Aminata erlebte, haben wir auf unserer Facebookpräsenz nachträglich entfernt (eine Vorabmoderation ist bei Facebook nicht möglich) und werden sie auf unserer Onlinepräsenz gar nicht erst freigegeben. (Tsp)

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