Medien: Philipp Wagner schweigt
„Wolfsburg“, ein Film von Christian Petzold, erzählt vom Leben in der Enge
Sie streiten sich. Er sitzt im Auto und hat das Handy auf Mithören umgestellt, am anderen Ende ist seine Freundin, die gerade auflistet, was ihr an ihm alles nicht passt. „Und jetzt, jetzt sind wir am Ende der Liste angelangt.“ Katja (Antje Westermann) legt auf. Philipp Wagner (Benno Fürmann), Autohändler aus Wolfsburg, ist erhitzt, ist, und das kommt bei ihm selten vor, nicht mehr cool. Dann fällt das Handy aus dem Halter. Er greift danach, fährt, ohne auf die Straße zu sehen weiter. Plötzlich dieser dumpfe Rumms. Am Straßenrand liegen ein Fahrrad und daneben ein bewegungsloser Junge. Philipp überlegt, will aussteigen, bleibt sitzen, noch mal ein Blick in den Rückspiegel. Dann fährt er weiter. Fahrerflucht. Ein schlechtes Gewissen, das ihn verfolgt. Katja, mit der er sich mehr schlecht als recht wieder zusammenrauft, erzählt er nichts. Geht auch nicht zur Polizei. Erst geht das gut, denn der Junge erwacht aus dem Koma, und Philipp und Katja machen einen Liebesurlaub auf Probe, verloben sich gar. Dann stirbt der Junge, und seine Mutter Laura (Nina Hoss) beginnt, den Täter auf eigene Faust zu suchen. Früher oder später müssen sich Laura und Philipp begegnen: der Täter und die Mutter des toten Kindes. Wieder erzählt Philipp nichts.
Spätestens seit dem mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichneten Kinofilm „Die innere Sicherheit“ (2000) ist Regisseur und Autor Christian Petzold (43) kein Unbekannter mehr. Danach folgte „Toter Mann“, einer der besten Fernsehfilme des Jahres 2002, schließlich „Wolfsburg“, sein sechster Langfilm, der auch für den diesjährigen Deutschen Filmpreis nominiert war.
„Wolfsburg“ ist ein beinahe hermetisches Kammerspiel, obwohl es auch draußen spielt, auf Landstraßen, Firmengeländen. Doch selbst draußen ist alles eng, zumal Philipp, der Autohändler, meist im Auto sitzt und fährt. Phobische Enge. „Wolfsburg“ spielt in Wolfsburg, und doch sieht der Zuschauer nichts von der durch die VW-Werke dominierten Stadt, nichts vom langweiligen Niedersachsen. In „Wolfsburg“ scheinen alle und alles unter Druck, unter Anspannung zu stehen. Das war schon in „Toter Mann“ so, der in und bei Stuttgart spielte. Wo man eine Ahnung vom blitzeblanken Schwabenleben bekam, aber nichts davon konkret sah. Dennoch zeigen nur wenige ein so präzises und subtiles Bild bundesrepublikanischer Wirklichkeit, wie dies eben Christian Petzold tut.
Filme von Christian Petzold sind äußerlich ganz leise und still, innerlich dafür aber sehr laut und tobend. Petzold selbst: „Es ist ein Kammerspiel, das unter Druck gerät. Das finde ich am französischen Film so fantastisch, diese unter Druck geratenen Kammerspiele, die trotzdem noch diese Sinnlichkeit haben. Das habe ich auch hier versucht.“ Er findet es ja skandalös, dass solche Filme bei uns meist gar nicht oder nur eine Woche im Kino laufen.
So, wie Petzold das Psychogramm einer gescheiterten Ehe anlegt, wie er Philipp und Katja in ihren Verhaltensmustern nachgeht, so zeichnet er ein genaues Abbild ihrer sozialen Umgebung. „Wolfsburg“ ist auch ein Film über Lebensformen junger Menschen im Deutschland von heute. Im wirtschaftsschwachen Schröder-Land. Überall Stagnation. Und natürlich ist da der „Fall“ des toten Jungen, bei dem der Täter von Anfang an bekannt ist. In „Toter Mann“, wo die heute 28-jährige Nina Hoss („Das Mädchen Rosemarie“, „Nackt“) auch mitgespielt hat, wird erst am Ende gelüftet, worin das Geheimnis ihrer Figur besteht.
Das macht „Wolfsburg“ nun jedoch nicht minder spannend, denn irgendwann muss Philipp platzen, vor Druck, vor Schuld, vor lauter Weglaufen. Damit knüpft Petzold an klassische Suspense-Traditionen an und lässt die Kamera (Hans Fromm) dabei wieder ganz langsam, in langen, ruhigen Einstellungen beobachten.
„Das Fernsehen ist ja so eine Art Ratgeber", sagt Petzold, „im Fernsehen werden Menschen vorgeführt, denen man, was weiß ich, die Schädeldecke entfernt und wie die damit weiterleben und trotzdem noch Glück haben. Das ist für mich 20 Uhr 15. Irgendwie geht es weiter, und das ist alles ganz toll. Das zwölfjährige Kind schafft es, nach neun Jahren Baby-Strich wieder zurück in die Welt zu finden. So in dieser Art.“ Filme wie „Toter Mann“ oder „Wolfsburg“ seien so ziemlich das Gegenteil davon, Filme mit ungeheuren Rissen. „Diese Risse schließen sie aber nicht, sondern lassen sie wie Fragen stehen. Und dann sind die Filme auch zu Ende. Vielleicht ist das ja etwas, was sie von anderen Filmen unterscheidet, die um diese Sendezeit ausgestrahlt werden.“
„Wolfsburg“ ist verdammt gutes Kino! Der Fernsehfilm „Toter Mann“ war es auch schon. Kino und Fernsehen, Christian Petzold beherrscht beide Formate.
„Wolfsburg": Arte, Freitag, 25. Juni,
20 Uhr 45
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