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Die meisten Dresdener sind von den Pegida-Demonstranten und ihren Vorwürfen genervt. Sie vertrauen ihrer „Sächsischen Zeitung“.
© imago/epd

„Sächsische Zeitung“ gegen "Lügenpresse"-Vowurf: Nichts als die Wahrheit

Besonders laut wird „Lügenpresse“ in Dresden skandiert. Darunter müsste die „Sächsische Zeitung“ besonders leiden. Das Gegenteil ist der Fall.

„Lügenpresse“ und „Mainstream-Medien“, so lauten die Vorwürfe aus dem Lager von AfD und Pegida gegen die Medien. „Ich glaube, dass diese pauschale Verurteilung überhaupt nicht zutrifft“, hielt dem nun Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem wöchentlichen Video-Podcast entgegen und ergänzte: „Die Qualität deutscher Zeitungen sei auch im internationalen Vergleich sehr gut.“

Die Rufe auf den Montagsdemonstrationen der Islamfeinde sind zwar laut, aber offenbar längst nicht so wirkungsvoll wie befürchtet, wie die in Dresden und dem Umland erscheinende „Sächsische Zeitung“ zeigt. So sank deren Gesamtauflage (226 000 Exemplare) mit minus 3,6 Prozent im Jahresvergleich nur halb so stark wie im Branchendurchschnitt. Wenn man die ländlichen Regionen vor allem im Osten Sachsens mit der dort starken Abwanderung herausrechnet, steht die „Sächsische Zeitung“ sogar noch besser da. „Im Ballungsraum Dresden hat sie nur sehr geringe Verluste“, bestätigte der Leipziger Zeitungsforscher Michael Haller dem Tagesspiegel.

„Wenn es eine positive Botschaft im Zuge von Pegida gibt, dann: Man kann eine klare Haltung bewahren ohne Leser zu verlieren. Im Gegenteil: An den Dienstagen nach den Demos haben wir Verkaufszuwächse gehabt wie seit Jahren nicht mehr“, stellt Uwe Vetterick, der Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung“ fest. Auf dem Onlineportal wurden an den Montagabenden Zugriffszahlen erreicht, wie sonst nur bei Naturkatastrophen wie der Elbeflut. „Und das obwohl Leute auf den Demos mit ,Sächsische Zeitung abbestellt!‘-Schildern durch die Stadt gezogen sind.“

Die Treue der Leser zu ihrer Zeitung, die nach der Wende deutlich weniger an Auflage verloren hat als andere ehemalige SED-Bezirkszeitungen hat unterschiedliche Gründe. „Die Redaktion hat ihre Zeitung im November und Dezember 1989 selbst befreit, ihre Chefredaktion ausgetauscht und sich von der SED losgelöst. Die positive Wirkung dieses Emanzipationsprozesses spürt man bis heute. Hier herrschen ein Unabhängigkeitswille und eine hohe Sensibilität gegenüber Einflussnahme von außen“, erklärt Vetterick die spürbare Verankerung der Zeitung in der sächsischen Metropole. In der Nachwendezeit habe es die Zeitung verstanden, dicht bei den Lesern zu bleiben, deren Sorgen aufzunehmen und als Orientierungsgeber zu funktionieren, ohne sich mit ihnen gemein zu machen, sagt Vetterick, der vor neun Jahren bei der „Sächsischen Zeitung“ auf Hans Eggert folgte.

Den harten Kern der „Lügenpresse“-Schreier könne die Zeitung nicht mehr erreichen, meint der Chefredakteur. Doch es gebe ein deutlich größeres Umfeld, mit dem es sich zu reden lohnt. Um diese Menschen zu Wort kommen zu lassen, habe die „Sächsische Zeitung“ die Leserbriefseite geöffnet. „Es ist wichtig, positive Echoräume zu schaffen. Wir werden auch einen Leserbeirat einrichten, um dem noch mehr Raum zu geben“, kündigte Vetterick an. Von zentraler Bedeutung sei aber, die Wirklichkeit abzubilden, wie sie ist, auch wenn das der eigenen Klientel nicht immer genehm ist.

Diesen Prozess hat Zeitungsforscher Haller ebenfalls beobachtet: Anfangs habe die „Sächsische Zeitung“ im Umgang mit den Pegida-Demos die gleichen Fehler gemacht wie andere Zeitungen, in dem sie die Bewegung pauschal ausgegrenzt und fast polemisch abgekanzelt hat. Die Demonstrationen wurden wie ein Heuschreckenschwarm beschrieben, der immer montags über Dresden herfällt und Dienstagfrüh wieder verschwunden ist. Im Laufe des vergangenen Jahres hat die Redaktion früher als andere gelernt, dass man damit anders umgehen muss, dass man differenzierter aufzeigen sollte, was an dieser Bewegung demokratiefeindlich ist, aber gleichzeitig auch deutlich macht, warum es in dieser Gesellschaft ein Demonstrationsrecht gibt und die Menschen ihren Unmut oder Protest öffentlich zeigen dürfen. Trotzdem sei klar Kante gezeigt worden, in dem die Lokalreporter der Zeitung sehr kritisch über Wortführer wie Lutz Bachmann und deren Demagogie schreiben und Behauptungen der Pegida-Führer als Lügen demaskieren.

Gegenpolemik: Die "Sächsische Zeitung" hat den Blog "Lügenpresse" eingerichtet

Den harten Kern der „Lügenpresse“-Skandierer schätzt Haller im Ballungsraum Dresden auf vielleicht noch ein paar Hundert. „Das nervt inzwischen einen wachsenden Teil der Dresdner Einwohner, die sich an die Seite der Zeitung stellen“, so Haller. „Die Zeitung hat inzwischen auf die notorischen Schreier mit Gegenpolemik reagiert, indem sie einen Blog ,Lügenpresse‘ eingerichtet hat.“

Die Stärke der „Sächsischen Zeitung“ in ihrem Markt hat jedoch auch verlegerische Gründe. „Es ist der Zeitung in den zurückliegenden zehn, fünfzehn Jahren gelungen, die Marke mit einer Korona von Dienstleistungen zu umgeben, die das Image von Verlag und Zeitung stärken. Das reicht vom Fahrradverleih über ein gut gemanagtes Reisebüro und eine Werbeagentur bis zu einem Taxibetrieb“, erläutert Haller das wirtschaftliche Konzept. Die Idee dahinter: Wenn schon ein aufwändiges Kunden-, Abonnenten- und Vertriebssystem betrieben wird, dann sollte man diese Infrastruktur sinnvoll erweitern und für weitere Dienstleistungen nutzen. „Der Verlag macht aus dem Zeitungshaus den Medien- und Kommunikationsexperten der Region“, sagt Haller.

Zudem hat sich die Zeitung mit sozial-empirischen Forschungsinstrumenten beschäftigt, um die Erwartungen der Leser - der tatsächlichen und der potentiellen - besser zu verstehen; um zu erfahren, was sie interessant oder langweilig finden. Dazu hat der Verlag das Reader-Scan-Verfahren weiterentwickelt zu einem eigenen System mit dem Namen „Lesewert“. Mit diesem wird in den verschiedenen Lokalausgaben gemessen, wie sich blattmacherische Veränderungen auswirken, ob Themenfelder ausgebaut oder ein Ereignis weiter verfolgt werden soll oder nicht. „Es ist nicht so, dass man nun mit der Wurst nach der Speckseite wirft, also nur noch solche Geschichten macht, die gut ankommen.“ Es gehe vielmehr darum, „die Themen so aufzubereiten, dass sie auf größeres Lese-Interesse stoßen“, so der Zeitungsforscher.

Mit weiteren Verfahren – etwa der Blickverlaufsmessung – wird festgestellt, ob das Layout einer Zeitungsseite verstanden wird und die Bilder genutzt werden. Zu den Zielen gehört, die Verweildauer speziell bei den jüngeren Lesern zu erhöhen. „Unseren Vergleichsdaten zufolge weist die ,Sächsische Zeitung‘ in Dresden die mit Abstand höchste Verweildauer auf – nämlich im Mittel länger als 30 Minuten.“ Bei vielen anderen Regionalzeitungen, die Hallers Team gemessen hat, liegt der Wert inzwischen im Bereich von nur mehr 20 Minuten. Diese Zeit wird nicht nur genutzt, um sich über Pegida und ihre Vorwürfe zu informieren.

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