Streaming-Dienst expandiert: Netflix will erste Serie aus Deutschland ins Programm nehmen
Adé lineares Fernsehen? Der Streaming-Dienst Netflix hat 2015 mit deutlich mehr Abonnenten abgeschlossen und will auch mit eigenen Serien weiter expandieren.
Meterlange Regale, gestapelt mit DVDs in verschiedenen Räumen, in denen kaum jemand steht. Hinter dem Verkaufstisch ein gelangweilter Mensch. Vor ein paar Jahren gingen hier noch Film- und Serienfans ein und aus, mit festem Blick an den Regalen entlang, sich nicht entscheiden könnend: „Gegen die Wand“, „Wilde Erdbeeren“ oder doch lieber „Terminator 2“? Anspruch oder Zerstreuung? Reed Hastings dürfte dieses trostlose Bild freuen, denn die Frage nach dem passenden Film für den Abend wird längst nicht mehr in so einer Videothek, sondern bei den zahlreichen Streamingdiensten wie Hastings 2007 entstandenem Video-on-Demand-Angebot Netflix beantwortet. Beim Video-on-Demand-Geschäft scheint es keine Grenzen zu geben. Netflix, das gerade die internationale Expansion verkündet hat, gewann im vergangenen Quartal rund 5,6 Millionen Kunden hinzu, so viele wie noch nie in einem Vierteljahr.
Der Umsatz schnellte um 46 Prozent auf 566 Millionen Dollar hoch, wie die Firma aus Kalifornien nach US-Börsenschluss am Dienstag mitteilte. Den Anlegern gefiel das: Sie ließen die Aktie nachbörslich um fast sieben Prozent steigen. Netflix hatte erst Anfang Januar den Start in 130 weiteren Ländern bekannt gegeben. In den bisherigen 60 Ländern hatte Netflix bis Ende Dezember insgesamt rund 75 Millionen Nutzer. Nun ist der Dienst fast überall auf der Welt verfügbar, als einziger relevanter Markt fehlt noch China.
Netflix will eine erste Fernsehserie aus Deutschland ins Programm nehmen
Für das laufende Quartal rechnet der Streamingdienst mit 6,1 Millionen neuen Kunden. Das mag angesichts des Sprungs von 60 auf 190 Länder als zurückhaltende Prognose erscheinen, Netflix stellt sich auf ein langsames Wachstum in neuen Märkten ein. Die globale Expansion erfordere zunächst hohe Marketingausgaben, um den Dienst in Ländern wie Pakistan bekannter zu machen, sagte Gründer und Chef Reed Hastings der dpa am Rande der DLD-Konferenz (Digital-Life-Design) in München.
„Wir wären dort gern so populär wie in den USA. Das wird zehn bis 15 Jahre harter Arbeit bedeuten.“ Gerade der deutsche Markt mit seinen zwei Millionen Kunden und den starken öffentlich-rechtlichen Sendern wird sehr wichtig genommen. Hastings ist wiederholt im Lande. Netflix will noch in diesem Jahr eine erste Fernsehserie aus Deutschland ins Programm nehmen. „Wir sehen uns nach einer Sendung um, haben aber noch nicht das Richtige gefunden“, sagte Reed Hastings.
Während das internationale Wachstum Schwung bekommt, stößt Netflix im stark abgegrasten Heimatmarkt USA an Grenzen. Dort gab es 1,56 Millionen Neuzugänge. Allerdings hat der Dienst dort auch bereits knapp 45 Millionen Kunden, immer noch mehr als die Hälfte aller Nutzer.
„House of Cards“, „Fargo“, „Narcos“, „The Man in the High Castle“
Netflix ist ein Streamingdienst, bei dem Videoinhalte für eine monatliche Abogebühr direkt aus dem Netz abgespielt werden. „House of Cards“, „Fargo“, „Narcos“, „The Man in the High Castle“ – kaum ein Tag vergeht, wo nicht Netflix, Amazon, Watchever, Maxdome oder Sky Go eine neue Serie im Angebot haben.
Die HBO-Dramaserie „Vinyl“ von Martin Scorsese und Mick Jagger beispielsweise läuft ab 14. Februar exklusiv bei Sky. Ähnlich setzt Hastings auf den Kauf von Exklusivrechten für Filme und Serien, um sich von der Konkurrenz abzuheben, und verstärkt auf Eigenproduktionen. In diesem Jahr soll es bei Netflix 600 Stunden an eigenen Inhalten geben.
Netflix ließ es sich nicht nehmen, sich im Quartalsbericht über Äußerungen eines Managers des US-Senders NBC lustigzumachen, der sagte, die Rolle von Onlinediensten werde überschätzt, klassisches lineares Fernsehen sei „TV, wie Gott es vorgesehen hat“. Netflix konterte: „Unsere Investoren sind sich nicht so sicher über Gottes Absichten für das Fernsehen und denken dagegen, dass Internetfernsehen ein fundamental besseres Unterhaltungserlebnis bietet, das für viele Jahre Marktanteile gewinnen wird.“
Wie wichtig Streamingdienste mittlerweile sind, zeigt auch eine aktuelle Forsa-Studie im Auftrag vom media.net Berlin-Brandenburg. 57 Prozent der Berliner nutzen zumindest ab und zu Streamingangebote, vor allem Berliner im Alter zwischen 14 und 44 Jahren und Männer, weniger ältere Berliner und Frauen. Schön auch für Netflix: Von denjenigen Berlinern, die Streamingangebote nutzen, gehen immerhin 36 Prozent auf kostenpflichtige Angebote, zahlen dafür zehn Euro im Monat. Das wird die Videothekenbesitzer nicht freuen.
Markus Ehrenberg