„Let’s go“:: „Nazi, Nazi“
"Let's go", Michael Verhoevens Film über Juden in der jungen Bundesrepublik, bietet keine preziöse Schauspielkunst, zeigt dafür Menschen in ihrer Glaubwürdigkeit.
Der Film ist nicht auf leichte Konsumierbarkeit angelegt. Kann er nicht, will er nicht. „Let’s go“ sucht in der Vergangenheit Gründe und Geschehnisse. Das geschieht in einem anspruchsvollen Drama mit Rückblicken und Seitenblicken. Der Zuschauer muss sich konzentrieren, dranbleiben, um über die Filmerzählung zu erfahren, was war, um zu wissen, was ist.
Was war: Majer Steger (Maxim Mehmet) und Helga Mandelbaum (Katharina Nesytowa/Naomi Krauss) haben das Konzentrationslager überlebt, haben geheiratet. Das jüdische Paar lebt im Zwiespalt, zwischen Trauma und Anpassung – der Familienname wird nach „Stöger“ verändert, „das klingt mehr deutsch“ – im Nachkriegs-München. Die Hendl-Braterei läuft gut. Im April 1947 kommt Tochter Laura zu Welt. Auch sie muss eine Lebenslinie finden, wenn man dazugehören möchte und doch nicht dazugehört.
Was ist: Die 21-jährige Laura, die mit ihrem Mann Gabriel in die USA ausgewandert ist, kommt 1968 nach München zurück. Der Vater ist bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt, Friede, seine jüngere Tochter und Lauras Schwester, liegt im Koma. In der Münchner Reformsiedlung Borstei sitzt die erstarrte Mutter. Wie stets, so folgt sie auch bei der Trauer streng den jüdischen Regeln.
Laura trauert mit, zugleich aber hofft sie, dass der gemeinsame Schmerz das unverändert angespannte Verhältnis zur Mutter aufbrechen wird. Zeit ihres Lebens war die Mutter zu keiner Empathie, zu keinerlei Zärtlichkeit gegenüber ihren Töchtern fähig und hat jeden körperlichen Kontakt gemieden. Auch Friede will sie nicht im Krankenhaus besuchen. Aber der Tod des Mannes/des Vaters zwingt die beiden Frauen in die Auseinandersetzung, tief zurück in die Vergangenheit, deren Verarbeitung vielleicht Lösung und Erlösung bringen wird.
"Eine judenfreundliche Aktion"
„Let’s go“ vertieft persönliche Konflikte um Identität und Zukunftsgewinnung vor einem spezifischen Zeithorizont. Jüdische KZ-Überlebende aus Polen treffen auf (Nazi-)Nachkriegsdeutsche. Da verkrampfen sich viele und vieles. Es gibt Gemeinheiten und Gehässigkeiten, es gibt Freundlichkeiten und Fröhlichkeiten. Ein Zeitfenster öffnet sich, dann noch eines und noch eines. Heimat und Heimatlosigkeit, Schrecken und Erschrecken werden sichtbar. Eine Szene steht für andere: Bei ihrem Italienurlaub finden die Stögers ihr Auto beschmiert vor: „Nazi, Nazi“ steht drauf. Vater Stöger sagt: „Aber irgendwie ist das eine judenfreundliche Aktion ...“
Die amerikanische Schriftstellerin Laura Waco schildert ihre eigene Geschichte vom jüdischen Leben im Nachkriegsdeutschland in „Von Zuhause wird nichts erzählt“. Nach Motiven von Wacos Buch hat Michael Verhoeven den Film „Let’s go!“ geschrieben und inszeniert.
Laura wird von sechs Darstellerinnen gespielt. Das ist famos gelöst und zeigt, mit welch genauer wie feinfühliger Hand Regisseur Verhoeven vorgeht. Mit der „Coming of Age“-Perspektive rückt sein Film auch die Gegenwart prägnant ins Bild. Laura ist hin- und hergerissen zwischen ihrer jüdischen Identität, der Liebe zu ihrer Heimatstadt München, zwischen Deutschland, von ihren Eltern als Land der Mörder erlebt, und dem Leben mit ihrem Mann in den Staaten.
Die junge Mutter wird von Katharina Nesytowa, die ältere von Naomi Krauss gespielt, der Vater durchgängig von Maxim Mehmet. Alle Darstellungen, insbesondere die der Alice Dwyer (sie spielt die 18- bis 21-jährige Laura), bestechen durch das Rollenverständnis. Nicht preziöse Schauspielkunst wird geboten, dafür Menschen in ihrer Glaubwürdigkeit gezeigt. Das ist entscheidend, wenn Schicksal nicht deklamatorisch werden soll.
Am Ende dann versteht der Zuschauer. Auch, warum Majer Stöger immer wieder, mal trotzig, mal fordernd, ausruft: „Let’s go!“
„Let’s go“, ARD, Freitag, 20 Uhr 15