Drehen mit und nach Corona: Nachruf zu Lebzeiten
Ältere Schauspieler sind in der Coronakrise besonders betroffen: Werden über 60-Jährige aus Drehbüchern gestrichen, weil sie zur Risikogruppe zählen? Davor warnt Renan Demirkan in einem offenen Brief.
Es sterben ja immer mal Menschen, die man nicht persönlich, aber aus dem Fernsehen kennt. Man fand sie gut und hat sie gern gesehen, nun steht plötzlich ein Nachruf in der Zeitung. Das schmerzt. Wie soll es weitergehen mit dem „Großstadtrevier“ ohne Jan Fedder, mit dem Familienfilm ohne Hannelore Elsner, und es gibt doch Rollen, die nur Dieter Laser spielen könnte. Man vermisst die Toten, man vergisst sie aber auch.
Neue Charakterköpfe treten an ihre Stelle, the show must go on. Manchmal kommt ein Film zum Beispiel mit Hannelore Elsner noch mal ins Programm, und dann erinnert man sich. So schnell sterben Schauspieler im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit ihrer Kunst dann doch nicht. Während die Show weitergeht, fährt der Tod dazwischen, aber das Gedächtnis des Publikums hebt seine Lieblinge auf. Ein normaler Vorgang, sozialverträglich und systemrelevant. Die Versöhnung mit unser aller Sterblichkeit sollte überall stattfinden, auch im Fernsehen.
In der Coronakrise ist die Sterblichkeit ein großes Thema geworden. Wir werden TV-Filme zu sehen bekommen, die von Seuchen handeln, vielleicht auch (Neu-)Verfilmungen der großen Werke über die Pest von Boccaccio oder Manzoni. Bitte gerne. Doch wie werden die Drehbücher aussehen? Werden darin alte Damen und würdige Greise auftauchen, nachgebildet also in etwa der Hauptzielgruppe unserer öffentlich-rechtlichen Sender?
Die Autorin und Schauspielerin Renan Demirkan hat einen offenen Brief an ihren Landesvater Armin Laschet geschrieben und ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass auch alte und ältere SchauspielerInnen weiterhin Rollen erhalten. Der 64-Jährigen war zu Ohren gekommen, dass man sich in den Sendeanstalten Gedanken darüber mache, die alte Garde der darstellenden Kunst möglichst nicht mehr zu beschäftigen, denn sie gehöre ja zu einer Hochrisikogruppe, deren Ausfall niemand bezahle.
Man stelle sich vor, das Drehbuch für den Mehrteiler „Corona“ ist fertig, die Dreharbeiten haben begonnen, und der betagte Star, der darin einen kämpferischen Virologen spielt, gibt auf einer Intensivstation den Löffel ab. Katastrophe! Der ganze Film muss neu konzipiert werden, die Verluste gehen in schmerzhafte Höhen. Keine Versicherung, die sich selbst als Wirtschaftsunternehmen versteht, wird so einen Schadensfall abdecken wollen.
Die Logik der Produktionsfirmen, die Geld verdienen wollen, und die Ansprüche gealterter Schauspieler
Unversehens ist Altsein für SchauspielerInnen zu einem doppelten Risiko geworden. Ihr Immunsystem kann sich, erstens, schlechter gegen das Virus wehren, und deshalb kriegen sie, zweitens, keine Rollen mehr, denn ihr Ausfall käme zu teuer.
Was ihnen droht, sind Nachrufe zu Lebzeiten. Denn ehe ihr Siechtum die Kalkulationen der Produktionsfirmen über den Haufen wirft, streicht man sie lieber gleich ganz von den Besetzungslisten. Ist das absurd? Oder bloß kaufmännisch richtig gedacht?
Es ist beides, beziehungsweise, es zeigt, dass das Denken in kaufmännischen Kategorien absurd werden kann. Unser Thema heißt Sterblichkeit. Dieses Wort und das Allzumenschliche, Schicksalhafte, das es heraufruft, verträgt sich schlecht mit der Risikoabwägung von Versicherungen und deren Profitstrategien.
Aber irgendwie muss beides zusammenkommen, die Logik der Produktionsfirmen, die Geld verdienen wollen, und die Ansprüche gealterter Schauspieler, die, ob krank oder gesund, ihren Beruf ausüben möchten, zu schweigen vom Anrecht des Publikums, allen Generationen im Fernsehen zu begegnen.
Geht das? Ja. Renan Demirkan hat ihren Brief nicht umsonst an Armin Laschet geschrieben. Es ist der Staat oder auch: das Gemeinwesen, die Kulturstaatsministerin oder wer immer in diesem Felde der Öffentlichkeit und der Kunst hier verantwortlich ist, die sagen müssen: Wir sorgen dafür, dass sich unsere Kultur, unsere Schauspielkunst der Mitwirkung ihrer alten Generation gewiss sein kann.
Ehe Versicherungen, zu deren Kunden Filmfirmen zählen, alle miteinander pleitegehen, springen wir ein. Das ist es uns wert. Unsere Stars sind systemrelevant und je älter, desto mehr.
Das Thema Sterblichkeit ist natürlich breiter. Und seine Berührung mit dem Thema Wirtschaftlichkeit hochempfindlich. Die Vorstöße des Tübinger Bürgermeisters Boris Palmer, die da hießen: Wir müssen doch alle mal abtreten, und um ein paar besonders Anfällige, sprich Alte, davor zu bewahren, an Corona zu sterben, können wir nicht die ganze Wirtschaft dichtmachen, gehen thematisch in dieselbe Richtung. Man muss das durchdiskutieren, denn es kann ja auch junge Unternehmer geben, die sich aus Angst vor dem Ruin das Leben nehmen. Hochrisikogruppen lauern überall.
Doch der Versuch, das erhöhte Risiko der Sterblichkeit bei älteren Darstellern dadurch zu minimieren, dass man sie ganz wegstreicht, wäre ein fürchterlicher Bumerang. Wir bewältigen die Krise nicht nur dadurch, dass wir gut rechnen, sondern erst recht dadurch, dass wir sie zu guten Filmstoffen verarbeiten.
Wenn die betagten Opfer der Krise, die in den zu erwartenden Corona-Filmen ausdrucksstark aus dem Leben scheiden, gar nicht mehr auftreten, weil ihre Verkörperung zu teuer wäre, werden wir später szenisch und darstellerisch nicht mehr nachvollziehen können, was im Jahre 2020 (und womöglich ff.) los gewesen ist. Auf dem Bildschirm wären nur noch junge Leute unterwegs. Mehr Fake geht nicht.
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