Porträt eines Community-Albtraums: „Moderatoren und Trolle sind sich ziemlich ähnlich“
Petra moderiert, kommentiert, provoziert: Dafür schlüpft sie in Internet-Foren in verschiedene Rollen - als Troll und Albtraum eines jeden Community-Managers.
Große Pause war nie Petras* Ding. Wenn die anderen Kinder mit Brot und Apfel bewaffnet auf den Schulhof zogen, versteckte sich Petra im Klassenzimmer. Die Lehrer sperrten die Räume ab, damit nichts wegkam – kein Mathebuch, kein Taschengeld. Petra ließ sich miteinschließen. Manchmal, wenn die Lehrer sie übersahen, gelang ihr das. Drehte sich der Schlüssel im Schloss, wusste sie: „Jetzt habe ich Internet.“ Ein paar Minuten. Ungestört. Da war Petra noch in der Grundschule: Klasse eins bis vier.
Heute ist Petra 22, Studentin, irgendwo am Bodensee. Sie muss sich nicht mehr einschließen lassen, um surfen zu können. Das Netz ist in ihr Zimmer gewandert. Petra muss auch nicht mehr tagsüber große Pausen abwarten, um ins Internet zu gehen. Auch das ist ihr recht, sie surft jetzt gern spät abends oder nachts; es wird dann ein Uhr, zwei Uhr, vier Uhr früh. Doch Petra surft nicht einfach irgendwo und irgendwie. Petra moderiert in Foren. Und Petra trollt in Foren. Auch denselben, in denen sie moderiert – nur unter anderen Nicknames.
Internet-Trolle haben ein denkbar schlechtes Image: Sie sind es, die Diskussionen in Web-Foren zum Entgleisen bringen, andere Nutzer beleidigen und diffamieren. Eine im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Studie kanadischer Wissenschaftler, die unter dem Titel „Trolls just want to have fun“ erschien, bescheinigt Trollen – konträr zur nett klingenden Überschrift – „sadistisch-narzisstische Charakterzüge“ und stempelt sie zu „Netzpsychopathen“. Trolle sind der Albtraum jedes Community- und Social-Media-Managers: Sperrt man sie, melden sie sich unter neuem Namen wieder an und machen dort weiter, wo sie aufgehört haben. Oder suchen sich ein neues Schlachtfeld. Trolle provozieren und ärgern die anderen Nutzer, suchen gierig nach Aufmerksamkeit. Ein Troll will im Mittelpunkt stehen. So heißt es.
"Als Troll wird man geboren"
Schwierig, sagt Petra: „Troll wird man nicht. Als Troll wird man geboren.“ Petra, das ist ziemlich sicher, ist von der jüngsten Studie nicht optimal getroffen. Sie trollt, sagt sie, „aus schlichter Langeweile. Immer nur konstruktiv arbeiten ist auf Dauer öde. Dann kommt irgendwer, der was Dummes sagt, und schon überlegt man sich, wie man demjenigen am besten schaden kann.“
War da nicht was? Stimmt, Petra ist auch Online-Moderatorin, kurz „Mod“. Also eine von den Guten. Eigentlich. Sie kümmert sich um die Community, auf Wikipedia, im Heise-Forum, ist bei Diaspora ebenso aktiv wie in diversen IRC-Chats („Internet Relay Chats“, rein textbasierte Chatsysteme). „Moderatoren und Trolle sind sich ziemlich ähnlich“, glaubt sie. „Bei beidem muss man seine Gesprächspartner schnellstmöglich gut einschätzen können“. Doch wenn ein User die Moderatorin Petra in einem Forum zu sehr nervt, switcht sie um. Meldet sich unter einem zweiten oder dritten Nickname an. Und treibt ihr virtuelles Gegenüber mit bissigen Kommentaren aus der Diskussion – oder ganz von der Plattform. „Wegtrollen“ nennt sie das. „Das ist oft zielführender, als zu versuchen, Leute zu moderieren“.
Wenn Petra zur Uni muss, trollt sie wenig. In den Semesterferien läuft sie dagegen zu Hochform auf. Bis zu 30 Kommentare setzt sie dann täglich ab. Wo sie trollt, hängt von ihrer Tagesform ab: „Mit genug Langeweile kann man alles trollen“. Einzige Bedingung: Eine Diskussion darf nicht „tot“ sein, es muss genügend Mitredende geben, die ihr Angriffsfläche bieten. Bei einigen Themen geht das besonders gut. Fragt man Petra, wo sie momentan aktiv ist, listet sie ihre Troll-Chart auf: „Ukraine und Russland. IS. Auch Waffenlieferungen sind generell immer super. Da tummeln sich genügend Idioten“. Mit Idioten meint Petra „Menschen ohne die Bereitschaft, auf Argumente anderer einzugehen.“ Und sich, durch Sticheleien angeheizt, schnell in etwas hineinsteigern. Ab einem bestimmten Punkt muss Petra gar nichts mehr tun: „Dann bekriegt sich die ganze Community untereinander. Man selbst muss nur noch zuschauen.“
Neun Mal wurde Petra bisher gesperrt, nicht wirklich oft angesichts ihrer jahrelangen Troll-Karriere. Passiert es tatsächlich einmal, findet sie es nicht schlimm: „Der Account ist dann eben verbrannt“. Neu anmelden, neuer Nickname. Petra hat eine Liste mit Nicknames, alle bisher unbenutzt. Die Liste ist lang.
"Don't feed the troll!"
Nur: Was hat Petra davon? „Ob du als Troll Erfolg hast, hängt von deinen Zielen ab. Trollen aus Langeweile ist erfolgreich, weil es Spaß macht. Leute wegzutrollen ist erfolgreich, sobald sie weg sind und nicht wiederkommen. Und man nicht selbst gesperrt wird“. Trolle wie sie, sagt Petra, bekomme man nur in den Griff, wenn keiner auf sie reagiere. Daher der Spruch: „Don’t feed the troll“. Noch besser sei es, Trolle ernst zu nehmen – und ihnen sogar Verantwortung zu übertragen: „Wenn man Trolle bittet, eine Erklärung zu ihrer Position zu schreiben: Das hilft. Oder man lässt den Troll moderieren“. Ob sie übers Trollen zum Moderieren kam oder umgekehrt: geheim.
Petra hat noch einen anderen Job. Auch daran hat ihre Aktivität als Troll einen gewissen Anteil. „Ich hatte früher wahnsinnige Schwierigkeiten, mich irgendwo zu bewerben. Oder überhaupt einen Brief zu schreiben.“ Also ging sie die Sache lockerer an – und verschickte Troll-Bewerbungen. „Ich habe mich bei einer Gärtnerei als Pflanzenvernichtungsmittel beworben. Und bei einem Nachtwächterdienst mit der Frage, wo man denn dort schlafen kann. Manchmal tun einem die Leute leid, die das bearbeiten müssen. Aber es kommen erstaunlich oft Zusagen zurück. Weil sie die Kreativität gut finden, oder so“.
Bei einem Hotel bewarb sich Petra mit der Bitte, vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen zu können. Sie bekam den Job. Morgens serviert Petra jetzt Kaffee und Brötchen am Frühstücksbuffet. 400 Euro, monatlich. Irgendwo am Bodensee.
* Name von der Redaktion geändert
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