"Lindenstraße" in der Krise: Mit der Bratpfanne gepudert
Die „Lindenstraße“ macht es Kritikern derzeit ziemlich einfach. Wenn Soap-Autoren erst zur Bratpfanne greifen müssen, steht es schlecht um ein TV-Format. Was über die Zukunft der 28 Jahre alten Serie spekulieren lässt.
Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz unter Soap-Autoren: Wenn erst die Bratpfanne herausgeholt werden muss, ist dem Schreiber nichts Besseres eingefallen. So gesehen hätte die „Lindenstraße“ ihren Kritikern in einer August-Folge keinen größeren Gefallen tun können als mit dieser einen Szene, in der „Lindenstraßen“-Bewohnerin Lisa mit der Pfanne gegen die Wohnungstür eines Nachbarn schlägt, mit dem sie wegen häuslicher Ruhestörung im Clinch liegt.
Schon länger gibt es dieses vage Gefühl, dass da irgendetwas zu Ende gehen könnte, bei einem der Klassiker der Fernsehunterhaltung. Selbst den hartgesottensten Anhänger der ARD-Familienserie, der in 28 Jahren jede Quoten- und Glaubwürdigkeitskrise mitgemacht, sich den frühen Sonntagabend immer frei gehalten hat, geht es ähnlich wie einem Fan im „Lindenstraße“-Forum nach jener Bratpfannen-Folge 1442. „Das war das schlimmste Soapformat aller Zeiten, ich will die gute alte Lindenstraße zurück! Für mich war’s eine Quälerei, bis zum Ende zuzusehen, leider.“
Trotz einiger kleinerer Schwächen sieht eine richtig schlechte Fernseh-Soap dennoch anders aus. Es ist dem Produzenten und Erfinder Hans W. Geißendörfer nicht hoch genug anzurechnen, dass er immer wieder versucht, realgesellschaftliche, realpolitische Entwicklungen aufzugreifen und kritisch widerzuspiegeln: Emanzipation der Frau, erster Schwulenkuss in einer deutschen TV-Serie, Homo-Ehe, Umweltproblematik, Ausländerhass, Rechtsextremismus oder zurzeit der Versuch des im Rollstuhl sitzenden Dr. Dressler, sich als Bürgerkandidat einer Partei für die Bundestagswahl aufstellen zu lassen.
Die „Lindenstraße“ ist keine trashig konstruierte Parallelwelt, sieht aber leider zunehmend so aus. Dieses gute Autorengespür für die richtige Mischung aus realpolitischem Engagement und Kleinbürgeralltag scheint abhanden gekommen zu sein. Das macht es selbst Fans schwer mit jeder Form von Teilhabe an den Nöten der Beimers, Zenkers & Co. Ein bisschen schlicht das Ganze, gerade in den vergangenen Wochen. Da hauen sich Nachbarn Bratpfannen um die Ohren, taucht die jähzornige Frau eines gewissen Philipp Sperling kurzerhand auf und wieder ab, oder es werden lesbische Singles nach dem Speeddating-Prinzip verkoppelt. Zu guter Letzt drohen im „Akropolis“ die Lichter auszugehen, jenem griechischen Restaurant in der „Lindenstraße“, wo seit dem 8. Dezember 1985 diverse Konflikte bei einem Bier oder Ouzo beigelegt werden konnten.
Mittlerweile scheint auch bei der ARD der Glaube an die ewige „Lindenstraße“ verloren zu gehen, an die große Feier zum 30. Geburtstag im Dezember 2015. Unvorstellbar im Grunde für jeden Fan, der mindestens einmal am Set in Köln- Bocklemünd war. Die ARD-Intendanten kommen Mitte September wieder zusammen. Das Thema dürfte dann auf der Agenda stehen. Die Zeit drängt. Der aktuelle Vertrag mit der „Lindenstraße“ läuft bis Ende 2014. Es besteht zwischen Geißendörfer und der ARD Einigkeit darüber, dass anderthalb Jahre vor dem Auslaufen eines Vertrages über die Zukunft debattiert wird. „Zur Zukunft der Serie: Die Fortsetzung steht nicht infrage“, betonte eine WDR-Sprecherin erneut. „Wir sind optimistisch, dass wir auch über 2014 hinaus zu einem guten Abschluss kommen werden.“
Stellt sich dann nur die Frage: zu welchen Konditionen? 185 000 Euro soll eine Folge der „Lindenstraße“ kosten. Zuletzt soll Hans W. Geißendörfer zwei Folgen aus eigener Tasche bezahlt haben, die der WDR aus Kostengründen streichen wollte. Dem WDR, der den Fernseh-Klassiker produziert, sei die Reihe angeblich zu teuer, meldete „Bild“. Offiziell kommentiert wird das nicht. Während der Leichtathletik-WM fiel dann auch noch eine Episode ersatzlos aus, unter großem Protest der Fangemeinde. Rund 2,9 Millionen Zuschauer waren es zuletzt – immerhin mit guten Marktanteilen bei den 14- bis 49-Jährigen –, zu besten Zeiten in den 1990er Jahren sahen an die zehn Millionen zu.
Sieht so der langsame Abschied von der "Lindenstraße" aus?
Eine gute Gelegenheit für Fundamentalkritiker, denen der Geißendörfersche Geist von ’68, verbunden mit kleinbürgerlicher Piefigkeit, jeden Sonntagnachmittag im Fernsehen schon immer ein Dorn im Auge war, nicht nur in Bayern. Jetzt droht auch noch die Bratpfanne, weil die Parkettverleger bei Carsten und Käthe oben in der Lindenstraße Nummer 3 die Trittschalldämmung vergessen haben, was die drunter wohnenden Dagdelens wehrhaft mit Lisas Küchenutensilien gegen die Lärmbelästigung zur Tat schreiten lässt. Als Nächstes kommt die Tortenschlacht. Und Mutter Beimer verliebt sich auf ihre alten Tage noch mal in ihren Exmann Hans, der vor Jahren vor seiner gluckenden Frau Reißaus genommen hat und zu Anna geflohen ist, die ihn nun mit einem Baby im Regen hat stehen lassen.
Sieht so der langsame Abschied von einer medialen Institution aus? Für Geißendörfer ist seine Serie immer noch zeitgemäß. „Warum soll ,Lindenstraße‘ nicht auch mal trashig sein. Die letzte Folge war es teilweise mit Genuss.“ Über die Zukunft der „Lindenstraße“ und wie sie aussehen werde, rede er dann, wenn über diese Zukunft formal entschieden wurde. „Dauert ja nicht mehr lange …“
„Lindenstraße“, ARD, Sonntag um 18 Uhr 50
Markus Ehrenberg
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