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Längst gesellschaftsfähig? T-Shirts mit "Lügenpresse"-Aufdruck werden nicht mehr nur verschämt, sondern in aller Öffentlichkeit getragen
© picture alliance / dpa

Wissenschaftler zum "Lügenpresse"-Vorwurf: "Misstrauen gegenüber Medien gab es immer"

Stimmen die Umfragen, dass die Glaubwürdigkeit der Medien weiter und weiter sinkt? Ein Interview mit dem Mainzer Kommunikationsforscher Oliver Quiring zu den Ursachen und Gründen.

Herr Quiring, laut einer Forsa-Umfrage im "Stern" teilen 44 Prozent der Deutschen den "Lügenpresse"-Vorwurf von Pegida. Nach einer Infratest dimap-Umfrage für den Radiosender WDR 5 hält jeder fünfte Bundesbürger die Medien für "Lügenpresse". Das sind doch stark voneinander abweichende Werte. Woran liegt das: Stimmen die Umfragen nicht oder schwankt das Meinungsbild der Deutschen von Tag zu Tag?

Die Umfrageergebnisse stimmen sehr wahrscheinlich schon. Auch wenn kleinere Abweichungen aufgrund der gewählten Methode möglich sind, würde ich den Instituten da prinzipiell vertrauen. Allerdings muss man schon genau hinsehen, was gefragt wurde. Im Falle der Forsa-Umfrage lautete das Statement: „Die von oben gesteuerten Medien verbreiten nur geschönte und unzutreffende Meldungen“. Im Prinzip kann nun jeder zustimmen, der die Medien für „von oben gesteuert“ hält und/oder ihre Berichterstattung als geschönt und/oder unzutreffend ansieht.

Es sind drei Aussagen in einer vermischt. Und gerade der letzte Vorwurf, nämlich unzutreffende Meldungen zu verbreiten ist etwas ganz anderes als die Unterstellung, bewusst zu lügen. Er schließt auch nicht-willentliche Falschmeldungen ein, zum Beispiel handwerkliche Fehler. Und von denen hatten wir in der letzten Zeit tatsächlich einige, bei denen sich die entsprechenden Medien aber auch öffentlich korrigierten und entschuldigten. Das muss möglich sein. Infratest dimap fragte hingegen direkt, ob die Befragten von „Lügenpresse“ sprechen würden, wenn sie an Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschland denken. Das kommt der Sache schon näher. Aber auch hinter dieser Aussage können viele verschiedene Vorstellungen stecken.

Was aber trotz der riesigen Unterschiede in den Ergebnissen ankommt: Es gibt bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung Misstrauen. Und sicherlich hängt das auch von der aktuellen Ereignislage ab.

Oliver Quiring ist Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz und leitet den Lehr- und Forschungsbereich für Kommunikationswissenschaft
Oliver Quiring ist Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz und leitet den Lehr- und Forschungsbereich für Kommunikationswissenschaft
© Richard Lemke

Auf der Zeitachse betrachtet: Ist die Glaubwürdigkeit der Medien tatsächlich auf einem Tiefpunkt?

Das würde ich so nicht sagen. Misstrauen gegenüber den Medien hat es schon immer gegeben. Und das ist auch gut so. Wir haben in Deutschland eine schmerzvolle Historie, was Manipulation mittels gesteuerter Medien angeht. Unter anderem im "Dritten Reich" und in der DDR. Zudem schwankt das Vertrauen natürlich auch vor dem Hintergrund einzelner Fehlleistungen, wie beispielsweise voreiligen Meldungen beim Germanwings-Absturz oder aus der Ukraine, bei denen dann zurück gerudert werden musste. Wer kritisiert, muss sich auch kritisieren lassen.

Gibt es Unterschiede zwischen den Mediengattungen?

Es gibt sehr klare Unterschiede. Die Umfragen zeigen, dass den Nachrichten der öffentlichen-rechtlichen Sender sowie den klassischen Qualitäts- und Tageszeitungen tendenziell hohes Vertrauen entgegen gebracht wird. Den privaten Anbietern, Internetquellen hingegen weniger. Das zeigt aber auch, wie wenig durchdacht die Vorwürfe sind. Einerseits hält man die Medien für gesteuert, andererseits bringt man gerade den Etablierten viel Vertrauen entgegen. Ich glaube, dass die entsprechenden Meinungen nicht besonders gefestigt sind, sondern stark davon abhängen, wie sehr die aktuelle Berichterstattung gerade ins individuelle Weltbild passt.

Worauf führen Sie das grassierende Misstrauen zurück?

Der Begriff „grassierendes Misstrauen“ ist deutlich zu hoch gehängt. Ihre Frage erklärt aber auch gleich einen Teil des Problems. Wir können seit Jahrzehnten beobachten, dass in der medialen Darstellung immer mehr die negativen, sensationellen, skandalösen und dramatischen Aspekte herausgearbeitet werden oder zumindest so formuliert wird. Eine Bevölkerung, der täglich mehr oder minder hysterisch die nächste Schreckensmeldung präsentiert wird, sieht natürlich erstmal genauer hin. Und meldet sich seit geraumer Zeit auch lautstark in den sozialen Medien zu Wort. Auch dort werden dann vorrangig die besonders „Lauten“ wahrgenommen.

Kurzfristig weckt eine dramatisierende Berichterstattung zwar Aufmerksamkeit und die Nachrichten lassen sich erstmal gut verkaufen. Langfristig beruht das Geschäftsmodell der Medien aber auf Vertrauenswürdigkeit und nicht auf wohltemperiertem Schrecken. Hinzu kommt, dass die Medien selbst aktuell das Thema „Misstrauen“ derart prominent präsentieren, dass immer mehr Menschen sich damit beschäftigen. Ein wenig weniger Nabelschau würde wohl zur Beruhigung der Gemüter beitragen.

Hysterie der Medien, Nabelschau der Medien - war's das?

Wir haben weitere tatsächliche Probleme. Da ist einerseits die massive Unterfinanzierung vieler Medien. Das muss zwangsläufig hin und wieder zu Lasten der Qualität gehen. Anderseits versuchen zahlreiche Medien, mit der Aktualität des Internet mitzuhalten. Das führt oft zu vorschnellen Nachrichten, die dann wieder korrigiert werden müssen. Oder einer recht einseitigen Verengung der Perspektiven. Man könnte aktuell vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik den Eindruck gewinnen, Griechenland sei gerettet und in der Ukraine passiert auch nichts mehr… Diese stetigen Wechsel erwecken wenig Vertrauen.

Wie sieht das im internationalen Maßstab aus: Ist das Glaubwürdigkeitsproblem in Deutschland größer als in anderen Ländern?

Nein, eher nicht. Es gibt Medien in nicht wenigen anderen Länder, die – oft zurecht – ein deutlich größeres Problem haben. Auch wenn Journalisten und Forscher ihrem Publikum immer wieder gerne unterstellen, sich mit Medien nicht wirklich auszukennen, nehme ich bei vielen Lesern und Sehern an, dass sie ein grundlegendes Gefühl für Qualität haben. Das beinhaltet auch Vertrauen in qualitativ hochwertige Medien.

Was weiß die Kommunikationswissenschaft: Wenn die Medien mehr und mehr misstrauisch beäugt werden, welche Institutionen sind für die skeptischen Bürger überhaupt noch glaubwürdig?

Nochmal: Es gibt aktuell ein Problem. Das ist aber nicht neu. Und es ist teilweise hausgemacht. Die Medien sollten sich allerdings nicht zu sehr grämen. Ihnen wird zwar weniger vertraut als der Polizei oder dem Bundesverfassungsgericht. Die meisten klassischen Qualitätsmedien auf dem Print- und Rundfunksektor liegen damit aber noch immer deutlich vor z.B. dem Bundestag bzw. der Bundesregierung. Das erschreckt dann mich.

Sind die Urteile der einheimischen "Medien-Skeptiker" nur Vorurteile oder müssen sich die Medien wirklich gravierende Fehler anrechnen lassen?

Es kommt darauf an, welche „Medien-Skeptiker“ sie meinen. Der „Lügenpresse-Vorwurf“ ist sicher überzogen und bei genauer Betrachtung auch nicht wirklich logisch formuliert. Gravierende handwerkliche Fehler lassen sich sicher auch finden, wenn man lange genug sucht. Das Haus der Eltern des Germanwings-Copiloten zwei Stunden später live im Fernsehen sehen zu können, halte ich zumindest für ethisch sehr fragwürdig. Aber da bin ich parteiisch, weil ich selbst die Medien immer wieder gerne kritisiere. Das bedeutet aber nicht, dass die Berichterstattung per se nicht vertrauenswürdig wäre.

Das Meinungsklima hat sich nicht nur extrem aufgeheizt, es wird von einem Klima zur Gewaltbereitschaft begleitet. Journalisten werden bedroht, Journalisten werden geschlagen. Was ist da umgeschlagen?

Es treffen Enttäuschte und Verunsicherte auf Demagogen, die ihnen einfache Lösungen für komplexe Probleme einreden. Und die suchen gemeinsam einen Sündenbock. Dafür kann es zwar Erklärungen geben, aber kein Verständnis und keine Entschuldigungen. Es ist nicht zu tolerieren.

Ist das jetzt bodenloser Pessimismus oder eine reale Gefahr: Eine freie Gesellschaft sagt, dass sie keine freie Presse mehr braucht?

Das ist bodenloser Pessimismus. Hoffe ich.

Können die Medien in angemessener Weise reagieren?

Ich denke ja. Sie könnten sich wieder etwas mehr auf das besinnen, was sie prinzipiell sehr gut können: uns mit dem vertraut zu machen, von dem wir noch keine Ahnung haben. Aber dann bitte ausgewogen, mit der gesamten Vielfalt der Argumente und so sachlich wie möglich. Die aktuellen Entwicklungen sind weltweit dramatisch genug. Man muss sie nicht weiter dramatisieren. Aber auch für diese Tugenden sehe ich in der Berichterstattung der klassischen Qualitätsmedien genug Beispiele. Man muss nur hinsehen wollen.

Das Interview führte Joachim Huber.

Oliver Quiring ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Universität Mainz und leitet den Lehr- und Forschungsbereich für Kommunikationswissenschaft.

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