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Regionalniveau. Das politische RBB-Magazin „Kontraste“ könnte nach Ansicht des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler ebenso wie das MDR-Angebot „Fakt“ aus dem ARD-Programm gestrichen werden.
© RBB

Studie zu politischen Magazinen im Fernsehen: Medienexperte empfiehlt Aus für "Kontraste" und "Fakt"

Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler wirft politischen TV-Magazinen Etikettenschwindel vor und rät dringend zur Ausdünnung des Angebots. Ein Interview über Entpolitisierung, Enttäuschung und das Ende von „Kontraste“ und „Fakt“.

Herr Gäbler, Sie haben in einer Studie für die Otto-Brenner-Stiftung die sechs politischen Magazine im Ersten, „Frontal 21“ vom ZDF und „Spiegel-TV“ bei RTL untersucht. Was ist das: die Deskription eines Niedergangs oder die Analyse eines Programmformats in schwierigem medialem Umfeld?

Die Diagnose zeigt, dass es beides ist. Zu häufig ist nicht drin, was draufsteht - nämlich Politik. Es dominieren Themen aus den Bereichen Gesundheit und Soziales. Viele Beiträge sind service-orientiert oder dienen dem Management von Emotionen. Dagegen werden große politische Themen – etwa Europa, Ziel und Zweck der Bundeswehr oder auch die Digitalisierung der Arbeit – viel zu selten bearbeitet. Oft gibt es auch zu wenig Bezug zu innenpolitischen Debatten. Die Studie soll einen Anstoß geben, überhaupt wieder über Inhalte und Machart der Magazine zu streiten. Notwendig ist, etwas pathetisch gesagt, eine Re-Politisierung der politischen Magazine oder in Marketingsprache: eine viel bessere Markenpflege durch die Sender.

Auf Ihrer Skala: Was sind derzeit die stärksten politischen Magazine?

Am ehesten Mut zu „großen“ und kontroversen politischen Themen haben „Panorama“ und „Monitor“, während „Spiegel-TV“ – trotz einiger Berichte zum IS-Terror und zu Ebola – weitgehend zu einem bunten Gesellschaftsmagazin mutiert. Die größten Möglichkeiten zu vielfältiger Gestaltung und Abwechselung hat „Frontal 21“, die das Magazin aber nicht immer nutzt.

Haben Sie Mängel festgestellt, die über alle Sendungen hinweg auftauchen?

Es gibt viel zu oft das, was im Englischen „patronising journalism“ genannt wird. Man kümmert sich also um einen Kranken, der seine Medikamente von der Krankenkasse nicht bezahlt bekommt; um den Rentner, der von der Bank übervorteilt wurde; klagt mit Betroffenen, dass sie hohe Straßengebühren zahlen sollen. Entsprechende Interessenvertretungsverbände liefern die „krassen“ Fälle, deren Juristen lassen sich dann als „Experten“ interviewen – fertig ist der Beitrag. Man kann das auch Recherchesimulation nennen.

Immer wieder werden einzelne Missstände unangemessen skandalisiert. Bei Betroffenen wird so gut wie nie nach möglicher Eigenverantwortung gefragt, und permanent wird an Staat und Politik appelliert. Bei „Report Mainz“ gibt es viel Service, „Report München“ ist häufig arg boulevardesk. Die beliebteste vorwurfsvolle Formulierung der Moderatoren lautet, dass wieder „jemand allein gelassen“ werde. Das zeigt: Die Magazine geben sich kritisch, sind aber staatsgläubig. Der Staat soll sich um alles kümmern – egal, ob es zu viele Raupen im Wald gibt oder Menschen, die im Alter alleine sind.

Medienwissenschaftler Bernd Gäbler.
Medienwissenschaftler Bernd Gäbler.
© picture alliance / dpa

Nun ist es ja nicht so, dass „Report Mainz“ oder „Panorama“, „Frontal 21“ oder „Spiegel-TV“ kein Publikum mehr haben. Wer schaltet ein?

Je nach Sendeplatz zwischen acht und 13 Prozent der Zuschauer - im Schnitt sind sie zwischen 59 und 64 Jahre alt.

Resonanz, die aus Relevanz resultiert?

Zu einen guten Teil auch schlicht aus dem Vorprogramm. In der ARD haben die Magazine am Donnerstag rund eine Million Zuschauer weniger als dienstags. Exakt um so viel stärker wird im Durchschnitt das Vorprogramm eingeschaltet. Nach Show oder Serie sinkt die Quote schlagartig ab, und Quotensieger bei den Magazinen wird, wer es schafft, die Fans der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“, die vorher lief, noch etwas länger bei der Stange zu halten. Also geht es in den ARD-Magazinen am Dienstag mit Gesundheitsthemen los oder Fällen, die dem älteren Publikum das Herz wärmen.

Hat beispielsweise die ARD ihre Magazine nicht auch durch eigenes Zutun geschwächt?

Politiker treten nur mehr selten vor eine Magazin-Kamera, sie folgen lieber den Einladungen in die Talkshows. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist das Paradebeispiel für dieses Verhalten.

Zunächst einmal schwächt die ARD ihre Magazine, weil sechs verschiedene „Marken“ auf zwei verschiedenen Sendeplätzen einfach unübersichtlich sind. Das wirkt kleinteilig und zersplittert. Keiner weiß, wann wer wieder dran ist. Weniger wäre da sicher mehr. Manchmal muss man zwei Monate bis zur nächsten Ausgabe „seines“ Magazins warten. Sobald Fußball ist, ein Gesangswettbewerb oder die Bambi-Verleihung, fallen die Magazine aus.

Wenn nach der „Tagesschau“ ein „Brennpunkt“ läuft, werden sie gekürzt. So geht man nicht mit einem Format um, wenn man es für wichtig hält. Und weil die dreißigminütigen ARD-Magazine so kurz sind, ist auch kaum eine variable Gestaltung, etwa ein mehrminütiges Live-Gespräch, möglich. Ein Politiker will aber nicht nur mit einem Satzfetzchen zitiert werden und weicht dann dorthin aus, wo ihm eher eine Bühne bereitet wird. Frau von der Leyen hat das so gemacht, als es um die Beschaffungsprobleme der Bundeswehr ging, Sigmar Gabriel bei TTIP.

Ihre Studie endet mit „Handlungsempfehlungen“. Zwei Magazine, „Fakt“ vom MDR und „Kontraste“ vom RBB, sollten wegfallen. So könnten die übrigen vier an Qualität und Durchschlagskraft gewinnen. Warum sind „Fakt“ und „Kontraste“ nach Ihrem Urteil die „inhaltlich schwächsten“?

In meinem Beobachtungszeitraum haben diese beiden Magazine kaum Beiträge gezeigt, die über das Niveau eines Regionalmagazins hinausgingen – oder sie haben sich verhoben: „Fakt“ hat einen haltlosen Verdachtsbericht über militante Tierschützer gezeigt und ebenso das Reiseunternehmen Unister angeklagt, ohne selbst Fakten beizubringen. „Kontraste“ hat mit unnötigen Anonymisierungen über den Görlitzer Park berichtet und bei den Toten durch Krankenhauskeime ein paar zehntausend zu viel genannt. Hier reicht die Kraft offenbar nicht aus zu eigener Recherche.

Zweiter, noch kühnerer Vorschlag: Ein Magazin am Montag um 20 Uhr 15. Eher werden Ostern und Weihnachten zusammengelegt als dass sich die ARD-Anstalten auf diese Kraftanstrengung verständigen, oder?

Warum soll das ein abwegiger Gedanke sein? Die Idee, dass es im linearen Fernsehen um 20 Uhr 15 zunächst einmal um jeden Preis um Masse geht, ist nur noch für eine begrenzte Zeit tragfähig. Warum soll es da nicht sinnvoll sein, journalistische Kapazitäten und Recherchekompetenzen geballt einzusetzen für ein starkes politisches Magazin, das zum Agendasetting fähig ist? „Rote Rosen“ und Pilawa-Shows werden nicht den Unterschied ausmachen, mit dem die ARD der schwelenden Legitimationskrise entgegentreten kann.

Aber unter dem Strich bleibt: Nur ein Fernsehen mit Politmagazinen ist ein gutes Fernsehen?

Es kann auch gutes Unterhaltungsfernsehen oder sinnvolle Service-Sendungen geben. Aber es sollte immer drin sein, was draufsteht. Zum Kern eines öffentlich-rechtlich verfassten Fernsehens gehört es meines Erachtens, den Nutzer nicht als Konsumenten anzusprechen, sondern als Bürger. Dafür ist eine Selbstverständigung über Politik und Gesellschaft unerlässlich – mit Information und Investigation. Zu den besten Traditionen dieses Fernsehens gehört das zeitkritische Magazin. Jetzt besteht die Aufgabe darin, dieses Format in neue mediale Umgebungen zu überführen und in einer veränderten politischen Landschaft wirksam werden zu lassen.

Die Fragen stellte Joachim Huber

Bernd Gäbler arbeitet als Medienwissenschaftler. Im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung, der Wissenschaftsstiftung der IG Metall, hat er die politischen Fernsehmagazine untersucht.

Bernd Gäbler: „… den Mächtigen unbequem sein“. Anspruch und Wirklichkeit der TV-Politikmagazine. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt a. M. 2015.

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